Die letzte Reise

Ihre weißen Handschuhe werfen die Sargträger nach ihrer Arbeit zu dem Verstorbenen in die Grube. Foto: Wiesweg
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Marco Wolf berichtet im Stadtspiegel von seiner Aufgabe als Sargträger

Der Tod ist in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabu-Thema, über das niemand gerne spricht. Kommen wir aber durch einen Verwandten oder Freund mit dem Tod in Verbindung, machen wir uns Gedanken über seine „letzte Reise“ und wünschen uns, dass diese einen ruhigen und ansprechenden Rahmen erhält. Zu diesem tragen unter anderem und im wahrsten Sinne die Sargträger bei. Einer von ihnen berichtet für den Stadtspiegel von seiner Arbeit.

von Marco Wolf

GE. Ich warte mit meinen Arbeitskollegen in einem Nebenraum der Trauerhalle. Wir tragen schwarze Mäntel über schwarzen Anzügen, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Manch einer hat bereits die weißen Handschuhe angelegt. Orgelklänge und Gesang dringen dumpf aus dem Saal, dann plötzlich Stille. Der Geistliche beginnt mit der Aussegnung.
Eine rote Lampe leuchtet auf und signalisiert uns, dass wir eintreten sollen. Wir betreten geschlossen die Halle und bilden eine Phalanx vor dem aufgebahrten Sarg und den dazugehörigen Kränzen und Gestecken.

Rote Lampe gibt
das Signal

Ein leises „Psst“ als Zeichen, gleichmäßig verbeugen wir uns. Darauf setzen wir uns in Bewegung. Ein Kollege räumt die Blumenständer auf der rechten Seite weg, ich kümmere mich um die linke Seite. Die restlichen Träger nehmen die Gestecke auf und legen sie auf dem Kranzwagen ab.
Wir platzieren uns am Kranzwagen, die anderen Träger jeweils am Kopf- und Fußende des Sargs. Sie ziehen die Griffe des Sargwagens hoch, wir den Kranzwagen an der Deichsel und setzen uns in Bewegung. Am Grab angekommen, legen mein Kollege und ich die Hauptkränze am Kopf der Grube nieder und achten darauf, dass die Schleifen leicht einragen.
Dann stellen wir uns auf und erwarten die Ankunft des Sarges. Jeder nimmt seinen Platz ein, wir tragen dieses Mal in der Mitte. Der Sarg wird angehoben, ein Friedhofsgärtner zieht den Sargwagen weg und wir tragen den Sarg über die Grube, legen ihn auf die quergelegten drei Seile und zwei Holzbohlen. Am Kopfende ist der Sarg am schwersten, darum müssen die dort tragenden Kollegen ihn nicht nur heben, sondern auch jeweils zu sich ziehen, damit sie nicht in die Grube fallen.
Der Geistliche beginnt mit seiner Grabrede. Jeder Träger nimmt nun das Seil in die Hand und der Sarg wird auf den Seilen angehoben, wobei wir in der Mitte das Seil mit der linken Hand festhalten und mit der rechten die Holzbohlen leise nach hinten weglegen. Dann ergreifen auch wir das Seil mit beiden Händen und lassen den Sarg gleichmäßig in die Grube hinab.
Zum Schluss ziehen alle Träger ihre Handschuhe aus und überreichen sie den Trägern am Fußende. Diese lassen die zusammengedrehten Handschuhe gleichzeitig in die Grube fallen. Eine letzte synchrone Verbeugung und wir gehen wortlos und geschlossen ab.
Glücklich darüber, dass alles gut verlaufen ist, verlassen wir den Friedhof. Es ist eine ehrenvolle Aufgabe, eine sehr verantwortungsvolle zugleich, denn es gibt nur diesen einen Abschied.
Die Reaktionen meiner Mitmenschen auf diesen Beruf sind durchwachsen. Manche fragen interessiert nach, andere reagieren deutlich entsetzt. Es ist bemerkenswert, wie sehr der Tod in der heutigen Gesellschaft zum Tabu geworden ist. War es früher noch Alltag, dass die Familie den Leichnam gewaschen, eingesargt und beigesetzt hat, so wird durch die zunehmende Distanzierung von familiären Strukturen die Angst vor dem Thema heute umso deutlicher.
Das ist schade, denn der Tod gehört zum Leben dazu und wird jeden ereilen. Es kann daher nicht schaden, sich schon zu Lebzeiten seine Gedanken darüber zu machen.

Autor:

Lokalkompass Gelsenkirchen aus Gelsenkirchen

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