Der Mann ohne Maske
Reinhold Adam ist ein Horster Urgestein und bei Nordstern fast zu Hause
Ist Reinhold Adam ein Horster Urgestein? Nicht wenige Horster haben seinen Namen als ersten genannt, als sie danach gefragt wurden. „Was ist ein Urgestein?“, fragt sich Reinhold Adam und antwortet auf seine Frage gleich selbst: „So etwas wie ein Fels in der Brandung – ja, das bin ich “, stellt er fest. Wer ihn kennt, gibt ihm Recht.
Horst. Wenn man Reinhold Adam sucht, sollte man ihn zuhause suchen. Das ist in seinem Fall allerdings nicht die Wohnung, in der er mit seiner Frau Elisabeth lebt, sondern die Zeche Nordstern und dort speziell das Geschichtsforum Nordsternpark, das er 2004 mit anderen ehemaligen Bergleuten gegründet hat, um Bergwerksgeschichte und Alltagsgeschichte lebendig zu erhalten. „Elisabeth kann damit leben“, lacht der sympathische 68-jährige. Ein offenes, herzliches Lachen. Authentisch, wie der Mann, von dem es kommt.
Schattengewächs der Nordsternfördertürme
Dass er mit Horst so intensiv verbunden ist, liegt nicht nur daran, dass er hier 1946 in der Rüttgergasse geboren ist. „Ich bin im Schatten der Fördertürme aufgewachsen“, sagt er, da sei das Schicksal vorherbestimmt: Hineingeboren ist Reinhold Adam in eine Arbeiterfamilie, die irgendwie auch aus den Familien der gesamten Straße bestand. Denn „Im Winkel“, wie die Rüttgergasse bis 1928 offiziell hieß, inoffiziell von den Alten aber immer noch so genannt wurde, lebten nur Bergleute und Handwerker, die Kinder spielten auf der Straße, gingen gemeinsam in die Schule, pölten im gleichen Fußballverein – „das war im Fürstenbergstadion vom STV Emscher“. Man kannte sich untereinander. Da musste der junge Reinhold einfach auch Bergmann werden.
„Das Bergwerk“ sagt Reinhold Adam, der bis heute mit Leib und Seele Bergmann ist, „ist die Seele des Ruhrgebietes.“ Und: „Bergmann zu sein ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Bergmann bleibt man ein Leben lang.“
Dabei wäre er, wenn es nach seinem Vater gegangen wäre, gar kein Bergmann geworden. „Mein Vater hatte einige Jahrzehnte auf der Zeche Matthias Stinnes unter Tage gearbeitet. Er war eigentlich Friseur. Nebenbei schnitt er den Kumpels die Haare für einen Schnaps oder 50 Pfennige. Er erzählte viel vom Leben der Bergleute. Möglicherweise wollte er mich damit abschrecken. Stattdessen haben mich die Geschichten von Anfang an fasziniert. Das ist häufig so: Die Väter wollen, dass ihre Söhne etwas Besseres werden, es nicht so schwer haben im Leben. Ich hätte besser Fliesenleger werden sollen oder Schweißer in Bottrop, aber ich meldete mich heimlich auf der Zeche Nordstern an, als Berglehrling – das wollte ich so.“
Und so ging der kleine Mann mit fünf Doppelten in der Tasche (10 Schnitten Brot), der Helm bis an die Ohren in seine erste und zahlreiche andere Schichten.
Später schulte er als Elektriker um, wechselte von der dunkelblauen Bergmannskluft in die Jacke eines „Edelhandwerkers“, wie die Bergleute ihre Kollegen in den hellen Arbeitsklamotten spöttisch nannten.
Kleine Träume
Ob er bestimmte Träume hatte? Reinhold Adam überlegt: „Keine großartigen. Meine Träume bewegen sich in meiner kleinen Welt in Horst. Ich war stolz auf Horst, auf den Fußballverein. Träume? Eine schöne Frau – ich liebe das Lachen der Frauen und der Kinder. Die Arbeit hatten wir sowieso sicher, das war nicht wie heute ... Musik, feiern ... Andere größere Träume hatte man nicht. Heiraten, Kinder bekommen, die Frau auf Händen tragen, den Kindern eine bessere Zukunft geben. Ich weiß nicht, ob ich meine Frau 46 Jahre auf Händen getragen habe. Aber die Ehe mit Elisabeth besteht heute noch. Das liegt wohl daran, dass wir mit dem zufrieden waren, was wir hatten. Das war wenig, aber es war,was ich mit meiner Hände Arbeit verdient habe.“ Deshalb hat Reinhold Adam auch keine großen Ziele, was nicht heißt, dass er sich einfach nur treiben ließe.
„Für mich sind Etappenziele wichtig“, sagt er, denn das bedeute, dass man ständig in Bewegung sein müsse. Sobald ein Ziel erreicht ist, ist das nächste schon in Sicht. Und es gibt viele Projekte, um die sich Reinhold Adam kümmert und noch kümmern will.
Das hat er schon als Betriebsrat getan, sich für die Bergleute eingesetzt, als die Zeche Nordstern geschlossen werden sollte. „Ungerechtigkeiten kann ich überhaupt nicht leiden, da gehe ich auf die Barrikaden“, sagt er von sich. Das hat, was die Zechenschließung betrifft, nichts genutzt. Nordstern wurde dicht gemacht. Aber, darauf ist Adam stolz, kein Bergmann wurde arbeitslos. „Man kann verlieren und trotzdem gewinnen.“
Lebendes Geschichtsbuch
Man mag ihm gern zuhören, wenn er erzählt. Reinhold Adam lacht wieder: „Ich bin eben ein lebendiges Geschichtsbuch.“ Und gleich darauf gibt er zu: „Dabei war ich in der Schule nicht der Hellste“, was man schon deshalb nicht glauben will, weil Adam in seiner geistigen Lebendigkeit sehr altersweise wirkt.
„Lebenserfahrung“, winkt er lapidar ab und erzählt, dass sein Leben auch richtige Abstürze kennt. Da habe er sich herausgerappelt. „Ich habe schon einen Genickbruch überlebt“, erzählt er und meint das im doppelten Wortsinn, „und sehe mich als Glückskind. Obwohl Glück nicht von allein kommt. Das muss man sich erarbeiten, wie man sich alles im Leben erarbeiten muss.“
Der Grund, weshalb ihn die meisten Menschen mögen, ist wohl seine Fähigkeit, Gefühle zu zeigen. Außergewöhnlich für raue kantige Männer, als solche man sich die Bergleute des alten Schlages vorstellt. „Was man fühlt, muss man ausdrücken“, hat sich Adam zu einem Lebensmotto gemacht. Natürlich weiß er und hat es auch schon erlebt, dass man damit sehr angreifbar wird. „Ich bin ein Mensch ohne Maske.“ Und so ist er unentwegt unterwegs: für sein Horst, für die Horster, ganz besonders für Kinder und Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Er mischt sich ein, wird gefragt. Und dafür erhielt er im Dezember vergangenen Jahres auch den „Horster Löwen“, den Bürgerpreis für soziales Engagement. Der steht nun in seinem Zuhause.
Autor:Silvia Dammer aus Hagen |
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