"Der Kran von Schachty" ist tot
Seit 1989 besteht zwischen der russischen Stadt Schachty, was soviel bedeutet wie Schacht oder Zeche, und der Stadt Gelsenkirchen eine Städtepartnerschaft. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Städte ähnliche Strukturen und waren geprägt durch die Kohle. In den 22 Jahren der Städtepartnerschaft hat sich auf beiden Seiten vieles verändert. Was aber Bestand behalten hat, sind die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Bürgern der beiden Städten.
Von Silke Sobotta
GE. Heutzutage hat das Gewichtheben nicht mehr den Stellenwert, den es noch vor einigen Jahrzehnten hatte. Trotzdem erinnern sich sicherlich noch viele ältere Gelsenkirchener an die Erfolge des Russen Wassili Iwanowitsch Alexejew, der in den 70er Jahren mehrfach Olympiasieger, acht Mal Weltmeister, mehrfach Europameister war und 80 Weltrekorde aufstellte. Was aber vermutlich die wenigsten wissen: Alexejew lebte in Gelsenkirchens Partnerstadt Schachty, denn dort befindet sich das russische Leistungszentrum der Gewichtheber.
Am 25. November verstarb Wassili Iwanowitsch Alexejew im Alter von 69 Jahren in einem Münchener Krankenhaus, wohin er verlegt wurde, weil man hoffte, dass ihm dort eine bessere medizinische Hilfe widerfahren würde. Leider kam diese zu spät.
Über die Nachricht seines Todes zeigen sich die Gelsenkirchener Axel Barton, Alexander Dell und Lutz Dworzak betroffen, denn sie pflegten freundschaftliche Beziehungen zu dem Ausnahmesportler.
Partnerstadt & Freunde seit 21 Jahren
„Die erste Delegation aus Schachty war 1990 zu Gast in Gelsenkirchen. Aus dieser Zeit müsste auch noch ein Eintrag im Goldenen Buch der Stadt den Besuch von Wassili hier bezeugen“, erzählt Axel Barton, der mit einer Delegation der Stadt Gelsenkirchen im Jahr 1997 zum ersten Mal zu Gast in Schachty war.
„Axel war insgesamt fünf Mal in Schachty und davon waren wir drei Mal zusammen dort zu Gast“, schildert Lutz Dworzak, der noch in diesem Jahr Gast im Haus von Alexejew war. „Man merkte ihm bei diesem Besuch schon an, dass er nicht gut zurecht war, aber dass dies unser letztes Zusammentreffen mit ihm sein würde, hätten wir nicht gedacht.“
Besonders beeindruckend für die beiden Gelsenkirchener war das Wohnzimmer des Sportlers, das regelrecht mit Pokalen und Medaillen „zugepflastert“ war. „Das Wohnzimmer ist riesengroß und rundherum sind alle Wände mit den Auszeichnungen verziert. Mit seinen 645 kg im Dreikampf 1972 stellte Wassili einen Rekord auf, der nie wieder gebrochen werden konnte, weil dies das letzte Jahr war, in dem der Dreikampf aus drücken, reißen und stoßen durchgeführt wurde. Darum hat er bei Autogrammen immer die 645 hinzugesetzt, weil das sein ganzer Stolz war“, erzählen die Gelsenkirchener.
Während ihrer Besuche bei Alexejew wurden sie immer von einem Dolmetscher unterstützt, weil der Russe es nicht mit Sprachen hatte und kaum Englisch sprach, obwohl er als Aushängeschild der UdSSR Reisefreiheit genossen hatte. So traf der Gewichtheber auch auf Mohammed Ali als er noch Cassius Clay hieß.
Die Stadt Schachty machte Alexejew zu ihrem Ehrenbürger, benannte eine Schule nach ihm und druckte anlässlich seines 60. Geburtstags eine Festschrift mit seinen Erfolgen und beeindruckenden Fotos seiner Karriere. „Schachty steht auch im Guinessbuch der Rekorde, weil es bezogen auf seine Einwohner die meisten Olympiasieger und Weltmeister als Bürger verzeichnet“, berichtet der als Russland-Deutscher seit 17 Jahren in Gelsenkirchen lebende Alexander Dell, der selbst in der Jugend Gewichtheber war und in die olympische Schule in Schachty eingeladen war: „Vor einigen Jahren wurde auf dem etwa ein Kilometer langen Boulevard in Schachty alle Olympiasieger, die dort leben oder lebten, mit einem Plakat geehrt. Angefangen bei Rudolf Pflugfleder, dem Olympiasieger von 1964 im Gewichtheben bei der Olympiade in Tokio.“
Finanzielle Anreize für sportliche Höchstleistung
Natürlich gab es auch reichlich Anreiz für solche Leistungen, denn wie Alexander Dell erzählt, gab es für eine Landesmeisterschaft 500 Rubel, für einen Europameister-Titel 500 Dollar, für den Weltmeister-Titel 1.000 Dollar und für einen Olympiasieger gar 4.000 Dollar als Prämie. „Heute soll jeder russische Olympiasieger von Staatspräsident Wladimir Wladimirowitsch Putin einen Audi Q7 erhalten“, verrät Dell im Stadtspiegel-Gespräch.
Dell merkte aber, dass er in diesem Sport an seine persönlichen Grenzen stieß und entschloss sich, zu studieren anstatt zu trainieren. In Schachty lernte er auch den Weltmeister kennen. In Gelsenkirchen fungierte Alexander Dell sieben Jahre lang als zweiter Vorsitzender im Förderverein der Städtepartnerschaft Gelsenkirchen-Schachty und war weitere elf Jahre Mitglied des Vereins.
Lutz Dworzak, der Anfang der 90er Jahre zum ersten Mal in Schachty zu Besuch war, erinnert sich noch an diese Zeit und die Entwicklung der Stadt bis heute: „Damals kam es im Hotel häufiger vor, dass der Strom ausfiel. Dann bekam man an der Rezeption einen Kerzenstummel, denn mehr gab es zu dieser Zeit nicht, und man musste zusehen, wie man im Dunkeln sein Bett gefunden hat. Die Stadt hat seitdem eine rasante Entwicklung erfahren.“
Dem stimmt Barton zu: „Es gibt heute zwar immer noch häufiger Rohrbrüche, als wir es hier gewöhnt sind, aber der Straßenverkehr hat sich seitdem verfünffacht und aus den damals lediglich drei Restaurants ist bis heute eine Vielzahl entstanden. Dabei ist das soziale Gefälle zwischen arm und reich sehr weit auseinander gegangen.“
Das Haus des Sportlers liegt mitten in der Stadt zwischen dem Theater und dem Rathaus und ist, wie die drei Gelsenkirchener beschreiben durch eine Mauer und ein Stahltor gesichert. Darin hat der Mann mit der Statur „eines Bullen und einer unglaublich tiefen Stimme“ seine Freunde empfangen.
„Wassili hat sich immer viel Zeit für uns genommen und uns eine Spezialität als Snack kredenzt: tiefgefrorenen in Scheiben geschnitten Fisch. Denn wir waren meist im Sommer zu Gast in Schachty und dann war es sehr warm und dieser Snack eine echte Erfrischung“, erinnert sich Dworzak.
„Er hat gern mal den Bullemann gespielt, was ihm angesichts seiner Statur und eben der Stimme ja auch leicht viel. Aber er hatte auch sehr viel Humor“, erinnert sich Barton.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Russen, durfte Alexejew aber auch seine Meinung äußern, auch wenn sie nicht immer entsprechend dem Parteiedikt ausfiel, wie Alexander Dell feststellen konnte. „Andererseits war er auch durch und durch Russe, wie wir bei einer Diskussion über den Jugoslawienkrieg feststellen konnten. Da gingen unsere Meinungen doch schon weit auseinander“, weiß Axel Barton.
Als typischer Russe ging der Gewichtheber auch sehr gern auf die Jagd und zum Angeln. „Wassili hatte aber auch eine tolle Gesangsstimme, wie er bei einem Besuch in Gelsenkirchen im Schalker Gymnasium bewiesen hat“, erinnert sich Dell.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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