Auf der Flucht vor Bürgerkrieg und Krieg
![Gorye Albakour, Haneen Al. Ruwiee mit Rienad im Kinderwagen und ihre Männer Walad Albakour und Sarmad Al. Ruwiee haben viele Gemeinsamkeiten und bemühten sich auch bei der Wohnungssuche um räumliche Nähe. Foto: Gerd Kaemper](https://media04.lokalkompass.de/article/2015/11/20/1/7681221_L.jpg?1558166412)
- Gorye Albakour, Haneen Al. Ruwiee mit Rienad im Kinderwagen und ihre Männer Walad Albakour und Sarmad Al. Ruwiee haben viele Gemeinsamkeiten und bemühten sich auch bei der Wohnungssuche um räumliche Nähe. Foto: Gerd Kaemper
- hochgeladen von silke sobotta
Tag für Tag strömen die Flüchtlinge aus allen möglichen Kriegs- und Krisenländern in die Bundesrepublik Deutschland. Inzwischen sind viele von ihnen auch in Gelsenkirchen angekommen. Der Stadtspiegel geht der Frage nach, warum all diese Menschen ihre Heimat und Familie verlassen und die Strapazen einer nicht ganz einfachen Flucht auf sich nehmen.
Flucht für ein Leben in Frieden und Freiheit
Sarmad und Haneen Al. Ruwiee flüchteten mit ihrer Tochter Rienad aus dem Irak und waren einen Monat unterwegs bis sie die bundesdeutsche Grenze erreichten. Rund 20 Tage waren Walad Albakour und seine schwangere Frau Gorye aus Syrien unterwegs, um in Deutschland den Kriegswirren in ihrer Heimat zu entkommen. Die beiden Familien hatten gute Gründe ihre Heimat zu verlassen.
Entführungen sind im Irak an der Tagesordnung
Es war im Jahr 2006 als der Vater von Haneen Al. Ruwiee von kriminellen Banden entführt wurde. Trotzdem die Mutter alles verkaufte, was sie hatte, weiß sie bis heute nicht, ob ihr Mann noch lebt. „Mein Vater hat Reisebusse gefahren und war immer zwischen dem Irak und Syrien unterwegs. Eines Tages wurde er entführt als er gerade wieder im Irak angekommen war“, schildert Haneen Al. Ruwiee. Die Entführer forderte 60.000 Dollar für seine Freilassung und die Mutter verkaufte ihr Haus und mehr, um die Lösegeldforderung zu erfüllen. Mit Fotos, die zeigten wie der Vater gefoltert wurde, schüchterten die Entführer die Mutter weiter ein und forderten mehr Geld, doch das hatte sie nicht. Nur noch ein Auto und auch das verkaufte sie, ohne ein Lebenszeichen ihres Mannes zu haben.
„Meine Mutter sucht jeden Tag die Krankenhäuser auf, um zu sehen, ob irgendwo die Leiche meines Vaters auftaucht, weil niemand mehr damit rechnet, dass er noch lebt“, so Haneen weiter.
Dem kleinen Bruder gelang die Flucht
Auch der kleinere Bruder von Sarmad Al. Ruwiee ist entführt worden. Der Junge war damals erst zwölf Jahre alt, er wurde aber freigelassen und konnte nach Deutschland fliehen und lebt inzwischen in Frankfurt.
„Wir sind vor dem Bürgerkrieg geflohen. Wir kommen aus Bagdad und dort ist die Angst vor Enrführungen an der Tagesordnung ebenso wie die vor Autobomben. Die Polizei kann nichts dagegen tun, weil sie selbst Angst hat vor den kriminellen Banden. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine solche Bande vor einer Polzeiwache hält, die stürmt und mit Maschinengewehren alles niedermetzelt“, schildert der Iraker.
Haneen Al. Ruwiee erlebte die Gewalt hautnah
Spätestens nachdem seine Frau auf dem Weg zu ihrer Schule miterleben musste, wie aus einem fahrenden Auto auf das vor ihr fahrende Auto geschossen wurde, war dem Paar klar, dass sie ihre Heimat verlassen müssen, wenn ihre gerade einmal zweijährige Tochter in Frieden aufwachsen soll. Die Familie verkaufte ihr Auto und Gold und lieh sich den Rest, um die rund 3.000 Dollar pro Person zahlen zu können, die die Flucht kostete.
„Als Muslime erhält ein Brautpaar Goldgeschenke, die als Rücklage für schlechte Zeiten dienen sollen. Dabei ist das wirklich die Notreserve und der Verkauf dieses Goldes ist eine reine Notlösung“, erklärt Taufik Eke, der als Sicherheitsmann in der Breddehalle im Einsatz ist und dort durch seine Sprachkenntnisse ein wichtiges Verbindungsglied zwischen den Flüchtlingen und den städtischen Mitarbeitern und nun auch des Stadtspiegel wurde.
Gelsenkirchen als neue Heimat
Die Al Ruwiees sind Gelsenkirchen zugewiesen und konnten kürzlich eine Wohnung beziehen. Nun erhoffen sich der Automechaniker und die Schülerin, dass sie möglichst schnell deutsch lernen können, um Arbeit zu finden und sich ihr Leben in ihrer neuen Heimat finanzieren können. Und natürlich wünschen sie sich, dass ihre kleine Tochter, die Sarmad während der Flucht in einer Bauchtrage vor der Brust getragen hat, nun mit schöneren und ungefährlicheren Erinnerungen aufwachsen kann.
Auf der Flucht von Syrien nach Deutschland
Ursprünglich wollte Walad Albakour die Flucht allein ohne seine schwangere Frau Gorye antreten, doch als er in der Türkei ankam und die Nachrichten aus Damaskus hörte, kehrte er um und holte sie nach, nachdem er sich Geld geliehen hatte, um die Flucht für zwei bezahlen zu können.
Im Schlauchboot von Didim in der Türkei nach Griechenland lernte das Paar einen Jugendlichen kennen, der bereits 17 mal versucht hatte zu fliehen und jedes mal gescheitert war. Sie selbst hatten Glück und konnten vor einer türkischen Polizeistreife fliehen.
Gorye hätte auf der Flucht beinahe schlapp gemacht, trotz der mitgeführten Vitamen und Mineralien, weil die Schwangerschaft sie beeinträchtigt hat. Doch inzwischen konnte sie in Gelsenkirchen einen arabisch sprechenden Gynäkologen aufsuchen und fühlt sich in guten Händen.
„Unsere Tochter Rama, in Anlehnung an den schwarzen Stein in Mekka, soll am 29. Februar geboren werden und wir hoffen, dass sie die Flucht gut überstanden hat. Bis jetzt sieht es so aus“, strahlt Walad, während Gorye schon ganz aufgeregt ist, weil es nun in eine eigene Wohnung geht.
Freundschaften über Staatsgrenzen und politische Machenschaften hinweg
Die beiden Familien haben sich auf der Flucht kennen gelernt und inzwischen sind sie so gut befreundet, dass sie sich in der Breddehalle eine Parzelle geteilt haben und bei der Wohnungssuche den Wunsch geäußert hatten, nahe beieinander bleiben zu wollen. Das machte die Stadt Gelsenkirchen möglich und sie wohnen nun direkt nebeneinander.
„Die Erfahrungen der Flucht verbinden und da ist es egal, woher der andere stammt. Wichtig ist nur, dass man sich versteht. Und dabei spielt es für uns auch keine Rolle, ob wir Schiiten oder Suniten sind, das wäre uns egal“, erklärt Al. Ruwiee.
„Wir helfen einander. Gorye passt auf unsere kleine Rienad auf und ich gebe ihr Tipps zur Schwangerschaft und auch dem, was sie nach der Geburt erwartet“, freut sich auch seine Gattin.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
Kommentare