Anders ist jeder - Die geistig behinderte Gisela Jochens erzählt aus ihrem Leben

Gisela Jochens ist glücklich mit ihrer Arbeit in der Werkstatt. | Foto: Gerd Kaemper
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  • Gisela Jochens ist glücklich mit ihrer Arbeit in der Werkstatt.
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,,Es war früher immer schwer für mich Freunde zu finden. Oft reagieren die Leute sehr gemein, wenn sie mich kennenlernen“, sagt Gisela Jochens, die seit ihrer Geburt eine geistige Behinderung hat.

Dabei fällt auf den ersten Blick gar nicht auf, dass die 47-Jährige „anders ist“. Das Gespräch beginnt sie damit, mich und die Referentin des Werkvereins Gelsenkirchen, Henrike Rohloff, darauf aufmerksam zu machen, dass sie momentan ihren Kaffee ohne Zucker trinkt, da sie auf Diät sei - normale Frauenprobleme eben.
Doch Gisela Jochens weiß selbst genau wo ihre Defizite liegen: „Das Lesen und Schreiben fällt mir schwer. Ich kann mich nicht sehr lange konzentrieren und musste dann von der normalen auf die Sonderschule. Da hat es mir aber auch nicht sehr gut gefallen.“ Denn Sonderschule hieß damals, dass die Kinder mit und ohne Behinderung in einem Gebäude, aber in getrennten Trackten unterrichtet wurden. Auch die Schulhöfe waren durch einen Zaun getrennt, so dass das Gefühl des Anderseins, des Schlechterseins noch verstärkt wurde. „Die Kinder auf der anderen Seite des Zauns haben uns oft beleidigt und wollten auch nichts mit uns zu tun haben, weil wir behindert sind haben sie dann immer gesagt.“ Auch die Familienverhältnisse von Gisela Jochens waren sehr schwierig, darum hatte sie nie wirklich jemanden mit dem sie reden konnte, der ihr zuhörte. Dabei hat sie die gleichen Bedürfnisse und Gefühle, wie jeder andere Mensch auch.

In Rente gehen möchte Gisela Jochens noch lange nicht

Um so größer war das Glück für Gisela Jochens, als sie in der Werkstatt in Gelsenkirchen Beckhausen anfangen konnte. Schon seit 30 Jahren arbeitet sie hier und das, obwohl Menschen mit geistigen Behinderungen schon nach 20 Jahren in Rente gehen können.
„Ich arbeite so lange wie es geht. Hier habe ich meine Freunde und was zu tun. Den ganzen Tag zuhause wäre mir total langweilig.“ Auch ihren Ehemann Günther hat sie in der Werkstatt kennen- und lieben gelernt, leider ist er vor knapp vier Jahren verstorben. „Das war sehr traurig. Seitdem habe ich in der Wohnung alles umgestellt und möchte ab jetzt auch keinen neunen Freund. Ich komme gut alleine klar“, sagt Jochens, die in einer betreuten Wohngruppe für Menschen mit Behinderungen lebt. Solange sie selbst putzen oder mit Bus und Bahn zur Arbeit fahren kann, tut sie das aber auch. „Ich bin schon mit 16 in eine Wohngruppe gezogen und habe dort alles gelernt.“
Rohloff fügt hinzu: „Uns ist es auch sehr wichtig die Menschen in den Werkstätten individuell zu fördern. Wir wollen sie voranbringen, aber natürlich auch nicht überfordern. Darum fahren einige etwa selbstständig hierher, andere werden von Bussen abgeholt. Und wenn wir bei jemanden die Möglichkeit sehen, schicken wir ihn oder sie auch auf den freien Arbeitsmarkt.“
Auch Gisela Jochens hat es schon mal im Kinderheim und bei einer Zeitung als Aushilfe versucht, ist aber immer wieder zurück in die Werkstatt gekommen.

650 Menschen arbeiten in der Werkstatt

„Nicht viele bleiben auf dem freien Markt“, sagt Rohloff.
650 Menschen arbeiten derzeit in der Werkstatt in der Braukämperstraße. „Es entscheidet sich sehr individuell wer in welchem Bereich beschäftigt werden kann“, meint Rohloff. In der Abteilung für Menschen mit Schwerstbehinderungen wird zum Beispiel verhältnismäßig weniger gearbeitet - eben ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend. Die Menschen, die dort den Tag verbringen, können sich meist nicht richtig verständigen. Mehr als Laute sind für sie kaum möglich. Auch körperlich sind sie oft sehr eingeschränkt.
Trotzdem werden sie hier als erwachsene Menschen anerkannt und bekommen ihrem Können entsprechende Aufgaben. Es wird mit Musik und Bildern gearbeitet und die Motorik wird gefördert, damit Verbesserungen auftreten oder der Zustand der Menschen sich zumindest nicht verschlechtert.
Die anderen Arbeitsbereiche umfassen eine Schreinerei, eine Computergruppe, Kleinteilmontage, eine Näherei oder den internen Dienstleistungsbereich. Gisela Jost arbeitet in der Cafeteria, außerdem ist sie Mitglied des Werkstatt-Rates, ein Betriebsrat für Menschen mit Behinderungen und damit sehr zufrieden.

Werkstatt-Produkte hohe Qualität

„Mir ist wichtig, dass die Menschen wissen, dass unsere Produkte stets von hoher Qualität sind. Viele große Firmen wissen unsere Arbeit zu schätzen. Es ist keinesfalls so, wie es in den Köpfen mancher noch verankert ist, dass hier ein bisschen Holzspielzeug gebastelt wird“, betont Rohloff.
Die Organisation in der Werkstatt läuft einwandfrei. Jeder kennt seine Aufgaben und erledigt sie mit Fleiß, mittags wird in der Kantine gegessen und abends geht es nach Feierabend wieder nach Hause. Ein ganz normaler Arbeitstag eben. Und das Wichtigste: Die Menschen fühlen sich hier wohl und ernst genommen. „Für mich sind alle hier einfach Kollegen, die ich wie Erwachsene behandel und vor denen ich Respekt habe, ich wünschte das würden alle Menschen tun“, sagt Rohloff.

Noch viel Veränderung nötig

Von 18 bis zum Rentenalter kommen hier Menschen ein und aus, erledigen ihre Arbeit und treffen Freunde. Die Werkstätten arbeiten eng mit Schulen zusammen und bieten nach dem Abschluss dann die Möglichkeit im Berufsbildungsbereich zu starten. Wer dann noch ambulant betreut in der „Lebenswelt Gabriel“ wohnt, bekommt jegliche Unterstützung im alltäglichen Leben, und auch Ausflüge werden gemeinsam unternommen. „Ich war sogar schon zwei Mal auf Mallorca“, lächelt Jochens.
Den Menschen mit geistiger Behinderung geht es in Gelsenkirchen viel besser als noch vor einigen Jahren, aber es ist noch immer viel Verbesserung und Entwicklung nötig und die muss im Kopf jedes Einzelnen beginnen.

Gisela Jochens ist glücklich mit ihrer Arbeit in der Werkstatt. | Foto: Gerd Kaemper
Gisela Jochens bei ihrer täglichen Arbeit in der Cafeteria der Werkstatt in Gelsenkirchen-Beckhausen. | Foto: Gerd Kaemper
Autor:

Laura da Silva aus Gelsenkirchen

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