Ultra-Marathon in Kapstadt mit der Gelsenkirchenerin Kerstin Peller-Tölle
„20 Kilometer um den Möhnesee herum laufen, ist wie ein Tag Urlaub.“ Während so mancher Spitzensportler sich vor einer anstehenden Saison hier quält und fit machen will oder Besucher an einem sonnigen Tag die Ruhe und Natur genießen wollen, kombiniert Kerstin Peller-Tölle beides, wenngleich es keine Qual für sie ist. Die 45-jährige Gelsenkirchenerin liebt es zu laufen und zu joggen.
Ein Beispiel gefällig? Am vergangenen Wochenende nahm Peller-Tölle am Bödenfelder Hollenmarsch teil, der 100 Kilometer lang ist! Der Start war am Freitagabend um 19 Uhr. „Ich denke, dass ich 22 bis 23 Stunden brauchen werde“, so die Gelsenkirchenerin im Gespräch mit dem Stadtspiegel Gelsenkirchen, die mit circa 100 anderen Laufbegeisterten unterwegs war. „Seit meine Kinder da sind, ist es extremer geworden“, sagt Peller-Tölle lachend.
Reiten und Radfahren ist für die 45-Jährige zu anstrengend
Ihre beiden Mädchen sind mittlerweile 14 und 17 Jahre alt. „Wenn ich zwei Tage lang nicht laufen war, fragen sie mich schon immer, ob mit mir alles in Ordnung ist.“ Andere Sportarten kommen aber anscheinend überhaupt nicht in Frage. „Ich war mal beim Reittraining über 90 Minuten dabei und ich dachte, dass ich sterben muss.“ Neben dem Pferd scheint auch der Drahtesel (noch) nicht der größte Freund von der Gelsenkirchenerin zu sein. „Da meine Knie das Laufen ja nicht ewig mitmachen, bin ich zuletzt aufs Rad umgestiegen und habe bei zwei RTFs (Radtourenfahrt) über je 75 Kilometer mitgemacht. Da habe ich aber noch nicht so wirklich Blut geleckt. Nicht so, wie die Irren bei der City Nacht von Beckhausen“, so der liebevoll gemeinte Kommentar.
Wie „eine Irre“ läuft Kerstin Peller-Tölle dafür. Und das nun schon seit über 20 Jahren. „Damals fing ich in der Oberstufe der Schule an, allerdings mehr als Ausgleich. Mittlerweile mache ich es ja, um mir bewusst Freiräume zu schaffen.“ Es folgten Halbmarathons und auch Marathons. Zwei Operationen am rechten Knie zwangen die Gelsenkirchenerin aber nicht zum Aufhören. Der erste Marathon mit Anfang 40 war in Bertlich. „Da ging es mir nur ums Durchhalten“, sagt Peller-Tölle rückblickend und lacht dabei. Dabei war der Marathon eigentlich gar nicht so zum Lachen. Ihr Kollege und Fitnesstrainer (!) bekam nach ungefähr 30 Kilometern einen leichten Schlaganfall, wie nach dem Rennen diagnostiziert wurde. Dennoch lief er die restlichen knapp zwölf Kilometer zu Ende. Kerstin Peller-Tölle brach wenige Meter vor dem Ziel leicht zusammen und kroch auf allen Vieren ins Ziel. „Alles halb so wild“, beruhigt Peller-Tölle, die danach noch mehr wollte. „Für mein Ego wollte ich einen Ultra-Marathon laufen.“
Ein Ultra-Marathon ist eine Strecke, die länger als ein Marathon ist
Ein Ultra-Marathon ist eine Strecke, die länger als ein Marathon ist. Also länger als 42,195 Kilometer. „2014 habe ich beim Herbstwaldlauf von Bottrop rund um die Prosper Haniel mitgemacht. Der Start war an der Zeche. Eine wunderschöne Strecke über 50 Kilometer.“ Diese Meinung dürfte Peller-Tölle beinahe exklusiv haben. Dass es aber noch extremer geht, beweist sie ein Jahr später, als sie alte Kontakte aufleben lassen und Freunde in Südafrika besuchen will.
Aus dem Familien-Urlaub mit Mann und den beiden Töchtern wurde ganz nebenbei ein sportliches Ereignis. 56 Kilometer lang! „Andere geben ihr Geld für Autos aus. Wieso also warten“, so die rhetorische Nachfrage der Gelsenkirchenerin. Als die Familie in Richtung Kapstadt aufbrach, war noch nicht einmal der Start gesichert. „Wir sind in kürzester Zeit aufgebrochen und sind in den Osterferien dort hingeflogen. Ich wusste noch nicht einmal, ob ich noch eine Startnummer kriegen kann.“ Die bekam Peller-Tölle aber noch. Aber da stand fest, dass 56 Kilometer durch Kapstadt auf sie warteten. „Ein bisschen Schiss hatte ich dann doch.“
„Von dieser Inbrunst und Begeisterung bekam ich Tränen und Hühnerpelle.“
Am Karsamstag ging es los. Insgesamt 22.000 Teilnehmer in allen Disziplinen waren dabei. „Zwischen 11.000 und 12.000 waren es beim Ultra-Marathon“, schätzt die Gelsenkirchenerin, die kurz vor dem Start noch einen Leipziger neben sich kennenlernt. Bei kalten 5 Grad warteten die Teilnehmer in kurzer Kleidung ab 5 Uhr morgens auf den Start. „Es wurden erst noch ein paar Reden gehalten und dann wurde sogar plötzlich die Hymne gespielt, die alle mitsangen.“ Ein Moment, den Kerstin Peller-Tölle nie vergessen wird. „Das passiert bei mir sonst nicht häufig. Aber in dem Moment bekam ich Tränen und eine Hühnerpelle, so berührt war ich von der Inbrunst und Begeisterung der Einheimischen.“
Unter leichtem Regen ging es um 6.30 Uhr endlich los. Die Temperatur sollte an diesem Tag unter 20 Grad bleiben. „Für uns Europäer optimale Laufbedingungen. Die Afrikaner waren weniger begeistert“, erinnert sich Peller-Tölle, die sich kein festes Ziel für ihren zweiten Ultra-Marathon vornahm. „Ich wollte einfach nur ankommen. Klar stellt man sich vor, dass unter sechs Stunden eine gute Zeit wäre. Aber ich hätte auch kein Problem damit gehabt, in sieben Stunden ins Ziel zu kommen.“
„Bus-Läufer“ sorgen stundenlang für Unterhaltung beim Laufen
Dabei war das Rennen an sich noch einmal ein zusätzliches Abenteuer. „Es gab für verschiedene Zeit-Einläufe im Ziel sogenannte „Bus-Läufer“. Bei manchen klebte hinten auf dem Rücken ein Zettel mit der Angabe sechs Stunden, bei anderen sieben Stunden und so weiter. Du wusstest, dass, wenn du dich an die hältst, dass du auch exakt zu dieser Zeit ankommen wirst“, zeigte sich Peller-Tölle begeistert. Doch dabei blieb es nicht. „Sie riefen immer wieder alle paar Kilometer „Hands up in the Air“ und fingen an Lieder zu singen und gute Stimmung zu verbreiten. Wir Läufer klatschten dann einfach mit, während wir weiterliefen. Sie pushten uns so, wie ich es sonst nur aus den amerikanischen Filmen, wo im Miltär-Lager gemeinsam gesungen wird. Wenn wir die steilen Berge hochlaufen mussten, hörten wir immer wieder ein „Easy! Easy!“. Die Emotionen waren einfach nur irre. Das habe ich sehr bewusst wahrgenommen. Eine einmalige Geschichte.“
Einmalig war die Strecke auch an sich. „Absperrungen gab es nicht. Stattdessen wunderte ich mich immer wieder, warum ich die Einzige war, die auf der rechten Seite lief. Dann machten mich immer wieder Kinder am Wegesrand nett darauf aufmerksam, dass es doch besser sei, auf der linken Seiten zu laufen. Und in der Tat musste ich auch schon einmal einem stehenden LKW ausweichen. Das würde es so hier nie im Leben geben. Immerhin gab es alle fünf Kilometer so Art Pilonen, wodurch du wenigstens wusstest, nicht auf einer falschen Fährte zu sein.“
5:55 Stunden für 56 Kilometer
Nach 5:55 Stunden kam Kerstin Peller-Tölle schließlich ins Ziel. „Ich kam völlig locker an, ohne Druck. Das habe ich noch nie erlebt.“ Es versteht sich beinahe von selbst, dass am Tag danach die Freunde wieder in Beschlag genommen wurden und weitere Besichtigungen anstanden. Peller-Tölle brauchte keine Pause. Ihr tat auch nichts weh. Es war alles so wie immer. Zumindest fast. „Ich habe mir einen Traum erfüllt.“
Ob es der letzte Ultra-Marathon war, weiß die 45-Jährige nicht, wenngleich ein Marathon im Ausland immer reizvoll ist. „Wenn der Stadtspiegel mich sponsert, habe ich sicherlich noch einige Ideen“, lacht Peller-Tölle, um im nächsten Moment wieder ernst zu werden. „Der Jerusalem-Marathon würde mich reizen. Die Stadt und einfach das Land ... das wäre toll.“
Bis dieser nächste Traum denn tatsächlich angegangen wird, vergeht aber noch Zeit. Und viele Schuhe müssen auch dran glauben. „In Kapstadt hatte ich nur ein Paar dabei. Aber im Schnitt verbrauche ich vier bis fünf pro Jahr.“
Autor:Raphael Wiesweg aus Gelsenkirchen |
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