Schiedsrichter Alex Feuerherdt von Collinas Erben freut sich auf ein Experiment

Alex Feuerherdt ist Schiedsrichter und leitete Partien bis in die Oberliga. Nach wie vor ist er verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln und ist Schiedsrichterbeobachter im Fußballverband Mittelrhein. | Foto: Stefanie Fiebrig
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  • Alex Feuerherdt ist Schiedsrichter und leitete Partien bis in die Oberliga. Nach wie vor ist er verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln und ist Schiedsrichterbeobachter im Fußballverband Mittelrhein.
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Podcasts-Downloads gehen seit Monaten durch die Decke. Ganz gleich, welche Branche betreffend. „Collinas Erben“ ist Deutschlands einziger Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Letzterer ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Partien bis zur Oberliga. Nach wie vor ist er verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln und ist Schiedsrichterbeobachter im Fußballverband Mittelrhein.

Über 25.000 Menschen folgen „Collinas Erben“ auf Twitter. Mehr als 13.000 sind es nochmal bei Alex Feuerherdt. Der 49-Jährige schreibt für „n-tv“, den „Spiegel“, „web.de" und wird demnächst auch mit „Sport1“ in Zusammenhang gebracht werden können. Zu Saisonbeginn trat er mit dem Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich gemeinsam im Podcast „Bohndesliga“ von „Rocket Beans TV“, dem über 152.000 Menschen auf Twitter folgen, auf. Im Interview mit dem Stadtspiegel Gelsenkirchen spricht Feuerherdt, Lektor und freier Publizist, über Markus Merk und 2001, den WM-Eklat um den Ex-Schalker Mladen Krstajic und den Videobeweis.

Stadtspiegel: Herr Feuerherdt, was war ursprünglich ihr Gedanke, als Sie gemeinsam mit Klaas Reese am 21. Oktober 2012 die erste Podcast-Folge für „Collinas Erben“ aufgenommen haben?
Alex Feuerherdt: „Ursprünglich wollten wir nur die 17 Fußball-Regeln erklären. Wir bekamen damals sehr schnell gutes Feedback, so dass schnell klar war, dass wir mehr als nur die klassische Regelkunde betreiben würden. Dabei dachte ich, dass das nur etwas für Nerds wäre. Der Podcast steht nach wie vor an erster Stelle. Aber wir kommentieren beispielsweise mittlerweile Entscheidungen in Echt-Zeit.“

Der Name „Collinas Erben“ kommt nicht von ungefähr, vermutlich. War und ist Pierluigi Collina für Sie der beste Schiedsrichter aller Zeiten?
„Er war so etwas wie der erste Pop-Star unter den Schiedsrichtern. Der Glatzkopf mit den blauen Augen, der sehr authentisch wirkte und im Umgang mit den Spielern anders war als andere zuvor. Ob er ein Idol war? Damit tue ich mich schwer.“

Ist in Deutschland Markus Merk vergleichbar mit ihm?
„Das ist nicht so einfach zu sagen. Der bekannteste Schiedsrichter in Deutschland ist er sicherlich, was auch damit zu tun haben dürfte, dass er durch seine Arbeit bei „Sky“ nach wie vor regelmäßig zu sehen ist. Zu seiner aktiven Zeit hatte er zudem einen sehr markanten Stil, war mutig und forsch, war international angesehen und hat sicherlich neue Maßstäbe gesetzt. Ich bevorzuge trotzdem jemand anderes.“

Wen denn?
„Meine persönliche Vorliebe liegt bei Knut Kirchner, der immer eine große Ruhe ausgestrahlt und nie den großen Zampano gespielt hat.“

Ihre positive Beschreibung von Markus Merk dürfte bei den Schalke-Fans auf einen Sturm der Entrüstung treffen, wenn man an 2001 zurückdenkt. Merk entschied auf einen noch heute viel diskutierten indirekten Freistoß für Bayern München im Strafraum des HSV, weil Torwart Mathias Schober einen vermeintlichen Rückpass aufnahm.
„Vollkommen klar. Aus S04-Sicht ist es nachvollziehbar, dass Markus Merk ein rotes Tuch ist. Rational und Sachlich kann man nicht mit den Schalke-Fans über die damalige Szene in Hamburg diskutieren. Das hat aber nichts mit dem Schalke-Fan an sich zu tun. Jeder Vereinsfan hat seine Spezies.“

Sie können die Reaktionen also nachvollziehen?
„Selbstverständlich. Ich bin kein Schalke-Fan, sondern Fan von Bayern München. Aber das hat mich natürlich berührt, als ich gesehen habe, wie S04-Fans weinend zusammengebrochen sind und sich schon am Ziel wähnten. Das kann keinen Fußball-Fan kalt gelassen haben. Ich fand es grausam, obwohl ich nur indirekt betroffen war.“

Hat Markus Merk damals falsch entschieden?
„Nein. Schober hätte den Ball einfach nur wegdreschen müssen. Markus Merk hatte damals keinen Spielraum.“

Sind die technischen Hilfsmittel heutzutage Fluch oder Segen für die Schiedsrichter?
„Ob es die Funk-Fahne, die Headsets, das Freistoß-Spray oder der Videobeweis waren und sind: Anfangs sagten immer alle oder zumindest viele, dass das Quatsch sei. Jetzt ist es ein Segen.“

Waren Sie überrascht, dass der Videobeweis bei der Weltmeisterschaft so gut funktionierte?
„Ja. Meine Überraschung rührt aber daher, dass bei einer Weltmeisterschaft auch Schiedsrichter aus kleineren Verbänden aktiv sind. Manche hatten keinerlei Erfahrung mit dem Videobeweis, auch wenn es vorher theoretisch lange geübt wurde. Nichts ersetzt aber ein Jahr Praxis-Erfahrung in der heimischen Liga.“

Wie überrascht waren Sie von der Aussage des serbischen Nationaltrainers Mladen Krstajic, der nach der 1:2-Niederlage gegen die Schweiz zur Leistung des deutschen Schiedsrichters Felix Brych meinte, dass man ihn nach Den Haag schicken solle, in Anlehnung an den Sitz des Internationalen Gerichtshofs?
„Ich war sehr überrascht. Natürlich aufgrund des Inhalts. Noch dazu aber, dass er es nicht in einer ersten Emotionalität gesagt hat, was auch zu verurteilen gewesen wäre, sondern einen Tag später. Unabhängig davon gibt es kaum andere Vergleiche, die schlimmer sind. Das war ganz harter Tobak und hatte noch einmal eine andere Dimension, die ich nur scharf verurteilen kann.

Die FIFA setzte gefühlt mit ihrer Sanktion noch einen drauf.
„Die Geldstrafe über 5.000 Franken war ein völlig falsches Zeichen und stempelt die Aussage als Lappalie ab.“

Hätten Sie sich gerne noch mehr Reaktionen seitens des DFB gewünscht, um Brych zu schützen?
„Schiedsrichter-Boss Lutz Michael Fröhlich hat deutlich reagiert. Aber er hat auch keine Handhabe, was die FIFA angeht.“

Was wird in der kommenden Saison aus Schiedsrichter-Sicht in der Bundesliga neu sein?
„Zwei Sachen. Erstens wird es kalibrierte Abseitslinien für den Videoschiedsrichter geben, nachdem sie bei der Weltmeisterschaft gut funktioniert haben. Zweitens werden Grafiken auf der Anzeigetafel darstellen, warum welche Entscheidung nach einem Videobeweis getroffen wurde. Es werden aber keine Bewegtbilder als Wiederholungen gezeigt.“

Warum nicht?
„Weil die Vereine sich dagegen ausgesprochen haben.“

Was würden Sie sich von allen Verantwortlichen zur neuen Saison wünschen?
„Bei der WM hat man leider eine negative Tendenz erkennen können: das unsportliche Verhalten. Das Zeichnen von Monitoren in der Luft ist jetzt schon zur Unsitte geworden. Dazu kommt noch permanentes Meckern und starkes Bedrängen der Schiedsrichter, was weniger werden sollte. Ähnliches trifft auf Trainer zu, die mit abfälligen Gesten Stimmung ins Spiel bringen.“

In England werden nun Verwarnungen in Form von Karten auch gegen Trainer ausgesprochen.
„Die Idee finde ich ausdrücklich gut. Wenn das Experiment glückt, wovon ich ausgehe, wird es das in zwei bis drei Jahren auch in der Bundesliga geben.“

Was Spieler und Trainer verbessern sollten, haben wir nun schon gehört. Bleiben noch die Schiedsrichter.
„Da würde ich mir mehr Transparenz wünschen. Der DFB hat sich schon geöffnet. Es gibt mehr Interviews, mehr Statements, mehr TV- oder Podcast-Besuche. Aber die Schiedsrichter könnten sich noch mehr öffnen und Fehler im Nachgang zugeben sowie erklären.“

Alex Feuerherdt ist Schiedsrichter und leitete Partien bis in die Oberliga. Nach wie vor ist er verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln und ist Schiedsrichterbeobachter im Fußballverband Mittelrhein. | Foto: Stefanie Fiebrig
„Collinas Erben“ ist Deutschlands einziger Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. | Foto: Privat
Autor:

Raphael Wiesweg aus Gelsenkirchen

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