Fußball ist allgegenwärtig

Das Foto zeigt den Sportplatz des Erler SV 08 am Erler Forsthaus Anfang der 30er Jahre. Wer sich den Eintritt nicht leisten konnte, stellte sich mit dem Sonntagsanzug auf einen Pflock und linste über den Zaun. Foto: Franz Weber sen. (1932), Digitalisierung Ralf Klossek
4Bilder
  • Das Foto zeigt den Sportplatz des Erler SV 08 am Erler Forsthaus Anfang der 30er Jahre. Wer sich den Eintritt nicht leisten konnte, stellte sich mit dem Sonntagsanzug auf einen Pflock und linste über den Zaun. Foto: Franz Weber sen. (1932), Digitalisierung Ralf Klossek
  • hochgeladen von silke sobotta

Im Jahre 2002 erschien erstmals im Verlag Die Werkstatt das Buch „Im Land der tausend Derbys. Die Fußball-Geschichte des Ruhrgebiets“. Wen wundert es: Das Buch war schnell vergriffen und musste beinahe zehn Jahre auf seine aktualisierte Fassung warten. Diese liegt jetzt vor und zwar in ergänzter und aktualisierter Neuauflage.

Auf 384 Seiten im DIN A4-Format mit Harcover informiert der Gelsenkirchener Hartmut Hering als Herausgeber über die Anfänge des Fußballs im Revier von etwa 1890, mit der Gründung des ersten Fußballvereins, des Wittener Fußballclub 1892, bis zum Stand der Dinge im Revierfußball des Jahres 2016.
Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 hatte sich Hering zum zweiten Mal nach der Erstauflage des Buches mit dem Fußball befasst und die Ausstellung „Fußballregion Ruhrgebiet“ als Kurator auf die Wanderschaft geschickt und dazu ein Buch in Form eines Kataloges herausgebracht.
„Ermöglicht wurde das durch die Finanzierung, die sich das Land NRW und der DFB teilten und die Ausstellung wanderte rund um die WM durch die Region. Denn es gab ja keine zweite Region in Deutschland, die mit zwei Stadien an der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland beteiligt war“, schildert Hartmut Hering, wie es zu Ausstellung und Buch kam.
Und das alles von einem, der von sich selbst sagt, dass er nicht viel von Fußball versteht. Den Sozialwissenschaftler, der als Lokal-Historiker unter anderem für die Stadt tätig war, interessierte eher die Wechselbeziehung zwischen Fußball und den Menschen in der Region. „Ich habe selten Fußballartikel gelesen, die erklären, warum das Spiel so gelaufen ist, wie es nun mal gelaufen ist. Dafür habe ich Ahnung von Geschichte und den Wechselwirkungen einzelner Faktoren zueinander. Dazu muss ich aber nicht wissen, welche Spieler gerade die Stars in den verschiedenen Mannschaften sind.“

Statt Anekdoten-Sammlung ein Buch mit Fakten

„Es gab ja bis 2002 eher anekdotische Bücher über Fußball, wie „Gib mir die Kirsche“ und so. Darum hatte ich die Idee ein eher sozialgeschichtliches Buch zu machen. Analytisch und emotional mit einem Liebhaberherz, um damit ein Massenpublikum zu erreichen. Quasi über Fußballer berichten und trotzdem die Geschichte der Region vermitteln“, erklärt der Gelsenkirchener.
Herausgekommen ist dabei im Jahr 2002 ein Buch, das Hartmut Hering heute noch sehr gut gefällt. Und vielleicht gerade darum ließ es sich auch gern von dem Verlag dazu anregen, eine Neuauflage herauszugeben. Dabei handelt es sich aber nicht nur einfach um ein Buch, das an das vorhandene noch die Geschehnisse der folgenden 14 Jahre anklöppelt, sondern es stellt auch die schon bekannten Fakten in einen Zusammenhang zu den jüngeren Ereignissen.
Hering führt dabei aus, wie sich die Vereinsanhänger der zig verschiedenen und unterschiedlich erfolgreichen Fußballvereine im Ruhrgebiet im Laufe der Jahrzehnte zu Fans wandelten, wie wir sie heute kennen. So etwa von Joachim Hopp, der als Hochofenarbeiter bei Thyssen sein Geld verdiente und dabei schon ab 1991 als Vertragsamateur für den MSV Duisburg kickte. Im Buch heißt es: „Als er zu den Profis wechselte, ließ er sich von der Wechselschicht befreien und ging „nur noch“ von 6 bis 14 Uhr zur Frühschicht, um nachmittags am Training teilnehmen zu können.“
„In meinem Publizistik-Studium gab es die Aufgabe über `das Wetter´ eine Kommunikation in Gang zu bringen. Im Ruhrgebiet geht das mit dem Fußball genauso. Da ist es egal, ob man gerade das Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden des RWE (Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerkes, nicht zu verwechseln mit Rot-Weiß Essen), einem Politiker oder einem Passanten in der Bahn führt. Fußball geht immer!“, lacht der Autor, der sich sicher ist, dass Fußball im Revier allgegenwärtig ist.

Viel Herzblut pulsiert durch das Buch

Dass Hartmut Hering sehr viel mehr mit Fußball verbindet als er zugibt, stellt man schnell fest, wenn der Gelsenkirchener über seinen Vater redet. Als Bergmann auf Zeche Nordstern tätig, war Lothar Hering nicht nur eingefleischter Fan des STV Horst, sondern hat auch in der Zechenmannschaft gespielt und diese eine Weile trainiert.
Und auch wenn er das fußballerische Talent seines Vaters nicht geerbt hat, so doch die Begeisterung für die damaligen Spieler des STV Horst, die noch Kumpels waren im wahrsten Sinne des Wortes und unter Tage Seite an Seite mit ihren Anhängern malochten. „Früher war der STV Horst eine Spitzenmannschaft und stand in der Oberliga (dem Vorgänger der heutigen Bundesliga, Anm. d. Red.) sogar vor Schalke 04. Mein Vater hat mich oft mitgenommen ins Stadion und da wurde mitgefiebert mit denen von uns, also den Kumpels von Nordstern“, begeistert sich Hartmut Hering.
Und wenn der Autor dann ins Schwärmen gerät, glaubt man nicht mehr wirklich, dass er gar nichts von Fußball versteht: „Fußball ist ein perfektes Spiel. Es gibt kein zweites so athletisches, variantenreiches und spannendes Spiel. Und selbst wenn Gurken Fußball spielen, hat das noch einen humoristischen Wert.“
Und so widmet er sich der Entstehung des Revierfußballs, der eher den besser Betuchten zu verdanken ist, die die Liebe zum runden Leders wie viele andere Ideen des industriell aufstrebenden Großbritannien übernahmen, verfolgt die Entwicklung durch die Jahrzehnte, beleuchtet die Bedeutung der Migrantenvereine, damals der Masuren, Polen und Co. und heute der türkisch-stämmigen Sportfreunde, und schließlich die Polarisierung auf die zwei großen Clubs des Revierfußballs: Schalke 04 und Borussia Dortmund.
Und auch hier gibt es in der aktuellen Auflage von „Im Land der tausend Derbys“ ein Novum: Ein eigenes Kapitel über den BVB, der nach Ansicht Hartmut Herings nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich den FC Schalke 04 hinter sich gelassen hat.
Denn der Blick des Herausgebers gilt immer dem, was hinter den Kulissen und hinter der Tribüne zu sehen ist. Er fragt lieber, warum genau diese Leute auf der Tribüne sitzen und andere nicht. Anders als Anekdoten, die nichts um den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen geben, sucht Hartmut Hering nach der Wahrheit, den Gründen für Entwicklungen und den Bedeutungen für das Revier. Lothar Hering (links mit Hut und Mantel) spielte nicht nur selbst in der "Werks-Elf" der Zeche Nordstern, sondern trainierte später auch das Team der Bergknappen.Foto: Privat

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

12 folgen diesem Profil

2 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.