Daumen drücken!
Er ist 43 Jahre alt, 175 cm groß und 68 kg schwer. Alles in allem eine sportliche Erscheinung und eigentlich ist es kein Wunder, dass er gern und viel Sport treibt. Eigentlich, wäre da nicht die Tatsache, dass Heiko Vüllers seit seiner Geburt behindert ist und seinen geliebten Sport wie auch sein tägliches Leben mit einer Beinprothese betreibt.
Von Silke Sobotta
GE. Es gibt ja diese Typen, die wissen ganz genau, was sie wollen, und kämpfen und boxen sich durchs Leben, um das zu erreichen. So einer ist auch der Gelsenkirchener Heiko Vüllers, dem vom 22. bis 26. November alle Gelsenkirchener die Daumen drücken sollten. Denn dann fährt der 43-Jährige zur Behinderten-Badminton-Weltmeisterschaft nach Guatemala und hofft, als Weltmeister zurückzukehren.
Sein sportlicher Lebenslauf beinhaltet vorsorglich nur die „Höhepunkte“ seiner sportlichen Karriere, ansonsten wäre er vermutlich unendlich. Angefangen haben diese Erfolge mit seinem Beitritt zur Behindertensportgemeinschaft Witten, wo er Fußballtennis spielte. Das war im Jahr 1989, zwei Jahre später war er Landesmeister und Deutscher Vizemeister in dieser Sportart. Die Landesmeistertitel errang er ebenso in den Jahren 92, 97, 98 und 99.
Parallel dazu spielte er ab 1991 Volleyball in der BSG Witten. Während er 94 in die Länderauswahl zum Fußballtennis berufen wurde, kam der Ruf in die Volleyball-Nationalmannschaft im Jahr 1995. Im gleichen Jahr errang er den Länderpokal im Fußballtennis und wurde als Auswahlspieler in dieser Sportart bis heute sechs Mal Zweiter im Länderpokal.
Seit 2008 widmet sich Vüllers dem Badminton, wozu er der Reha- und Behindertensport-Gemeinschaft Dortmund (RBG) beitrat. Im gleichen Jahr errang er Platz 3 bei den Deutschen Meisterschaften im Badminton. Bei der WM in Südkorea holte er 2009 beim Team Event ebenfalls den dritten Platz. Im Jahr 2010 errang er Platz 4 bei der Europameisterschaft im Doppel und Platz 6 im Einzel.
Seine jüngsten Erfolge sind der 1. Platz im Doppel der Spanish International und der fünfte Rang im Einzel. Bei der German International kam er im Doppel auf den 2. Platz und und im Einzel auf den 5. Damit steht er im Doppel auf Platz 1 der Weltrangliste und auf Platz 8 im Einzel.
Und weil er ein Rundum-Talent ist, wurde er in diesem Jahr auch zum Tainer der Länderauswahlmannschaft NRW im Fußballtennis berufen.
„Meine Prämisse war immer: mit wenig Aufwand viel erreichen. Okay, der Aufwand ist mehr geworden, aber der Erfolg auch“, erklärt der gelernte Schuhmacher, der drei bis vier Mal in der Woche trainiert und zwar in Recklinghausen, Solingen, Velbert und Dortmund. Nicht immer gerade um die Ecke, so viel zum Aufwand. Aber das weiß auch Vüllers, wenn er sagt: „Man muss schon ein wenig verrückt sein.“
Bei der Behinderten-Badminton-Weltmeisterschaft tritt er im Team Event für Deutschland an sowie im Doppel- und Einzelwettbewerb. „Das Mixed wäre vermutlich der kürzeste Weg zur Medaille, weil es nur wenige Frauen in der Sportart gibt, aber das ist mir zu viel“, lacht der smarte Gelsenkirchener.
Das bedeutet aber auch, dass er an jedem Tag der WM auch spielen wird: „Das macht nichts. Lieber schnell nacheinander als mit Pausen dazwischen. Das war in Südkorea so, da gab es immer eineinhalb Tage Pause zwischen den Spielen. Dadurch verliert man das Gefühl für den Platz.“
Dabei ist sich der sportverrückte auch im Klaren darüber, dass er international mehr Erfolge hätte feiern können, hätte er sich aufs Volleyballspielen konzentriert. „Aber das wäre auch viel zeitintensiver gewesen. Und jetzt bin ich zu alt für Volleyball“, gibt Vüllers zu bedenken. Ansonsten kann er in Sachen Sport eigentlich alles, was ein Nichtbehinderter auch könnte: „Außer Schlittschuhfahren. Das geht nur im Kreis.“
Man merkt, dass er sich mit seiner Behinderung arrangiert hat, aber das war nicht immer so. „Ich hatte schon bei der Geburt ein Problem mit der Hüfte. Früher wurde man dann in eine Spreizhose gesteckt, das hat bei mir aber nicht gerreicht. Also wurde ich operiert und dabei wurde mir die Wachstumsfuge durchtrennt, was dazu führte, dass mein Oberschenkel irgendwann nicht mehr mitgewachsen ist. So fehlen mir jetzt quasi 40 Zentimeter Bein, die nun durch eine Prothese ausgeglichen werden. Heute gäbe es so was nicht mehr. Da werden solche Operationen erst in der Pubertät durchgeführt.“
Irgendwann wollte er der Sache auf den Grund gehen und für sich feststellen, ob es sich um einen Ärztepfusch gehandelt hat, aber die Unterlagen waren im Krankenhaus nicht mehr auffindbar.
Doch derzeit steht die Weltmeisterschaft im Fokus seines Lebens. „Die Spanier, Holländer und Asiaten werden sehr gut unterstützt. Die fliegen mit einem ganzen Stab von Leuten und bekommen auch alles bezahlt. Ich muss die Anreise, also den Flug, die Unterkunft und auch das Startgeld selbst zahlen. Darum organisiere ich auch alles selbst, weil das gleiche Hotel über den Ausrichter gebucht gleich ein paar hundert Euro teurer ist“, schildert Vüllers.
Dazu kommt eine spezielle Prothese für den Hochleistungssport. „Die Prothese ist aus Carbonmaterial, weil sie nicht schwer sein darf. Früher hatte ich eine, die hat 8 Kilogramm gewogen, meine derzeitige wiegt 2,5 Kilogramm und das ist immer noch viel“.erklärt der Sportler.
Natürlich lehnt die Krankenkasse zunächst jede neue Prothese ab, im Endeffekt zahlt sie aber doch, denn Heiko Vüllers braucht die Prothese als Beinverlängerung auch für sein alltägliches Leben und ohne gutes Material würde es ihm körperlich sehr viel schlechter gehen, was vermutlich auch der Krankenkasse teurer käme.
Im Sanitätshaus Morant hat der Gelsenkirchener einen Partner gefunden, der ihn unterstützt und das nicht nur indem er ständig an seiner Prothese herumtüftelt und das Beste dabei herausholt. „Morant hat eine Kooperation mit Bauerfeind, einem Hersteller für medizinische Hilfsmittel von Bandagen über Orthesen und medizinische Kompressionsstrümopfe bis zu orthopädischen Einlagen, vereinbart und so kann ich bei den Kosten für die Reise zur Weltmeisterschaft unterstützt werden“, schildert Vüllers.
Er weiß auch, dass ein guter Orthopädietechniker das wichtigste ist, wenn es um die richtige Vorbereitung und Einstellung der Prothese für ein solches Event geht. Praktisch ist auch, dass seine Freundin in dem Gelsenkirchener Sanitätshaus arbeitet und man sich so sehen kann, wenn an der Prothese Arbeiten anstehen. Denn ansonsten lässt die junge Dame dem sportlichen Engagement Heiko Vüllers freien Lauf und kümmert sich, während er Badminton, Fußballtennis oder doch mal wieder Volleyball spielt, um ihr Pferd. „Das ist auch ein zeitintensives Hobby und somit passt es gut“, strahlt der Allround-Sportler.
Natürlich hofft man auch bei Morant auf eine gute Platzierung des Gelsenkircheners, der nicht nur seine Position in der Weltranglisten-Einzelwertung verbessern möchte, sondern auch gern den Titel mit in seine Heimatstadt bringen möchte.
Dazu: Toi, toi, toi!
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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