Wenn sie wie die Kinder werden Selbsthilfegruppe für junge Demenzkranke: Alzheimer ist keine Krankheit alter Menschen

Gabi und Manfred Gottwald stellen sich dem Problem der Krankheit, gehen offensiv damit um und stellen sich auch der Öffentlichkeit. Als aber nach dem Freitod von Gunter Sachs Medienanfragen ohne Ende auf die Eheleute einprasselten, sagten sie diesen ab. Foto: Privat | Foto: Foto: Privat
  • Gabi und Manfred Gottwald stellen sich dem Problem der Krankheit, gehen offensiv damit um und stellen sich auch der Öffentlichkeit. Als aber nach dem Freitod von Gunter Sachs Medienanfragen ohne Ende auf die Eheleute einprasselten, sagten sie diesen ab. Foto: Privat
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Seit dem 17. Februar 2011 trifft sich immer am dritten Donnerstag im Monat die „Selbsthilfegruppe für junge Demenzkranke (40+)“ im Café Lichtblick des Bruder-Jordan-Hauses an der Pfefferackerstraße 67. Denn aus leidvoller Erfahrung wissen die Gründerin der Gruppe Ulrike Bertsch und ihre Mitstreiter, dass Alzheimer keine Krankheit ist, die nur ältere Menschen ereilt.
Von Silke Sobotta

GE. Ulrike Bertschs Ehemann Hasso war gerade einmal 49 Jahre alt, als bei ihm Demenz diagnostiziert wurde. Eigentlich ein Alter, in dem „Mann“ gerade den zweiten Lebensabschnitt betritt, sich langsam auf die ruhigere Zeit nach dem Beruf einstimmt und die Generation 50+, die neuen jungen Alten, auslebt. Doch es kann eben auch anders kommen. Und Hasso Bertsch ist dabei kein Einzelfall.

Sechs Gruppenmitglieder hat die junge Selbsthilfegruppe derzeit, aber es ist zu vermuten, dass es sehr viel mehr in jungen Jahren an Demenz Erkrankte und ihre Angehörigen in Gelsenkirchen gibt. Darum wollen Ulrike Bertsch und ihre Mitstreiter nun für ihre Gruppe werben, die ihnen oft Hilfe und Rückhalt und manchmal auch einfach nur den Austausch unter Gleichgesinnten bietet.
Zwei Jahre nach der erschütternden Diagnose Alzheimer sitzt Hasso im Rollstuhl, weil zunächst die Nerven, später dann auch die Muskeln ihren Dienst verweigerten. „Sein Physiotherapeut tut was er kann, aber von der früheren Muskulatur ist kaum noch was da. Jetzt möchte er mit meinem Mann in den nahen Park gehen, dort soll er dann mit Hilfe eine Gehbockes ein paar Schritte üben, um die Muskulatur zu stärken“, erzählt Ulrike Bertsch, die ihren Mann seit zwei Jahren pflegt und ihn inzwischen kaum noch allein lassen kann.
Dabei haben sie und der ehemalige Asyl-Betreuer bei der Stadt Gelsenkirchen zwei Kinder, die heute 14 und 21 Jahre alt sind und auch noch die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Eltern benötigen. „Sie kommen mal besser und mal schlechter damit zu recht“, berichtet die Frau, die der Krankheit auf die Spur kam, als ihr Mann immer vergesslicher wurde und immer die gleichen Fragen stellte.
„Ich wollte es nicht glauben und bin mit meinem Mann zu vier verschiedenen Ärzten gegangen, bis ich davon überzeugt werden konnte, dass mein Mann mit 59 Jahren an Alzheimer erkrankt sein sollte“, schildert Gabi Gottwald, ein weiteres Mitglied der Selbsthilfegruppe.
Manfred Gottwald, der früher mal ein leidenschaftlicher Hobbykoch war, vergaß mit einem Mal die Schnitzel auch zu würzen, ehe er sie abbriet. Heute, eineinhalb Jahre nach der Diagnose, rührt er keinen Herd mehr an, wie seine Frau erzählt.
Zuvor war er als Kraftfahrer bei der Stadt Gladbeck angestellt. „Als die Diagnose feststand, wurde ihm das Autofahren sofort von seinem Arbeitgeber untersagt.
Jetzt wird er Rentner, zumindest versuchen wir es. Aber es gibt immer wieder Schwierigkeiten, wenn der medizinische Dienst oder die Krankenkasse so tun, als würde er morgen plötzlich wieder geheilt sein“, beklagt die Ehefrau.

Im Moment gibt es uns nur noch im Doppelpack

Sie geht einem Mini-Job nach und hat dabei ihre Arbeitszeiten so reduzieren müssen, dass sie nicht zu lange von zu Hause fort ist. „Wenn Manfred die Spülmaschine ausräumt findet sich hinterher ein Sektglas auch mal im Medizinschrank oder die Tupperschüsseln bei den Kochtöpfen.
Ich kann ihn ja auch nicht nur zu Hause vor dem Fernseher sitzen lassen, also nehme ich ihn mit zum Einkaufen und allem anderen. Manchmal steht er, wenn ich mittags von der Arbeit komme, schon fertig angezogen vor der Tür und erwartet mich“.
Ulrike Bertsch rät: „Mach das, Du wirst noch früh genug an die heimischen vier Wände gebunden sein.“ Und sie weiß, wovon sie redet, denn ihr Mann ist zwei Jahre nach der Diagnose so gut wie ein Pflegefall. Er kann nicht mehr allein gelassen werden und sie selbst fühlt sich isoliert, weil sie auch nur noch zu den nötigsten Gängen die Wohnung verlassen kann.
Doch auch Gabi Gottwald bemerkt schon das rasante Fortschreiten der Krankheit: „Mein Mann nimmt seine Medikamente, wir lösen Kreuzworträtsel, um sein Gedächtnis zu trainieren, er bekommt Ergotherapie und begleitet mich eben, wann immer es geht.“
Alle drei Monate wird bei Manfred Gottwald getestet, wie weit die Krankheit fortgeschritten ist. Das will die Krankenkasse so, weil die Medikamente so teuer sind, wie seine Frau vermutet.
Hasso Bertsch hingegen will gar nicht mehr raus, es sei denn, seine Frau nötigt ihn regelrecht, indem sie ihn im Rollstuhl einfach mal nach draußen fährt, selbst wenn er sich vehement wehrt.
„Es gab Situationen, da hat er sich am Türrahmen festgehalten und um Hilfe gerufen. Da wird mir Angst und Bange, was die Nachbarn denken müssen“, erzählt Ulrike Bertsch.
Ihr Mann verweigert die Medikamente und will auch nicht zum Neurologen, aus Angst, er könnte entmündigt werden. „Das sind völlig irrationale Ängste, aber er hat sie eben“, weiß die Gelsenkirchenerin.
Aber beide Frauen wissen auch, dass es noch schlimmer kommt. Ein weiteres Mitglied der Selbsthilfegruppe hat eine mittlerweile bettlägerige Frau.
Wenn immer wieder neue Medikamente durch die Medien geistern, dann informieren sich die Mitglieder der Selbsthilfegruppe, die auch an Vorträgen der Alzheimer Gesellschaft Gelsenkirchen und der Caritas teilnehmen und auch selbst Referenten zu ihren Gruppenstunden einladen, sofort dahingehend. „Leider sind die Nebenwirkungen von zwei gerade neu auf dem Markt befindlichen Medikamenten so heftig, dass sie dem Kranken jegliches lebenwerte Leben nehmen“, schildert Gabi Gottwald.
Die resolute Horsterin geht offensiv mit der Erkrankung ihres Mannes um und war auch schon mit ihm gemeinsam zu Gast bei WDR 3 in einer Talkshow. Dabei kamen neben den beiden Gelsenkirchenern auch Peer Juhnke, der Sohn von Schauspieler Harald Juhnke, und der Hirnforscher und Autor Prof. Dr. Michael Madeja zu Wort.
„Das hat Manfred viel Spaß gemacht, vor allem die Fahrt mit dem Zug nach Köln“, berichtet Gabi Gottwald.
Hintergrund:
Die „Selbsthilfegruppe für junge Demenzkranke (40+)“ wurde am 17. Februar 2011 gegründet und gehört zur KISS-Gelsenkirchen, der Selbsthilfe-Kontaktstelle an der Franziskusstraße 18-24.
Die Selbsthilfegruppe trifft sich immer am 3. Donnerstag im Monat von 18.30 bis 20 Uhr im Café Lichtblick des Bruder-Jordan-Hauses an der Pfefferackerstraße 67. Dabei werden unter anderem Ärzte als Referenten eingeladen.
Die Gruppe trifft sich zum Austausch von Gedanken und Erfahrungen, hilft, Probleme gemeinsam zu bewältigen, dient der gemeinsamen Freizeitgestaltung und hat sich zum Ziel gesetzt, das Thema Demenz öffentlich zu machen.
Alle interessierten Angehörigen sind herzlich eingeladen, entweder direkt zum Gruppentreffen zu kommen oder sich zu informieren bei: Ulrike Bertsch, Tel. 370408.

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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