Verunfallt der Kopf, verunfallt der ganze Mensch - Die neue Kinderneurologie-Hilfe Gelsenkirchen hilft
Immer wieder trifft man derzeit in der Stadt auf Plakate, die die Ex-Schalke-Profis Erwin und Helmut Kremers, Klaus Fischer und andere Prominente mit einem Fahrradhelm auf dem Kopf zieren. Der Helm ist ebenso besonders wie seine Träger, denn es ist der „Stadthelm Gelsenkirchen“ und er dient nicht nur als Marke, sondern er soll aufmerksam machen auf ein großes Problem, dem mit diesem Leichtgewicht entgegen gewirkt werden kann.
Von Silke Sobotta
GE. Der Stadthelm wurde ins Leben gerufen vom Bundesverband Kinderneurologiehilfe, weil gerade radfahrende Kinder stark gefährdet sind und Stürze zu Kopfverletzungen führen können, die als Schädel-Hirn-Trauma (SHT)bis hin zur lebenslänglichen Behinderung führen können. In Deutschland erleiden jährlich rund 77.000 Kinder ein solches SHT. Dabei ist der Radfahrunfall nur eins von vielen Unfallszenarien, das Eltern sich vorstellen können.
Das bestätigen auch die Sozialarbeiterin/Sozialprädagogin und Trauerbegleiterin Christa Augustin-Sayin und Diplom-Sozialpädagoge und Physio-Manualtherapeut Udo Böhm, die beiden Mitarbeiter der Kinderneurologie-Hilfe Gelsenkirchen bei der Lebenshilfe. „Das kindliche Gehirn kann auch durch Ertrinkungsunfälle, Vergiftungen, Schlaganfälle, die auch im Kindesalter möglich sind, oder Berliner Unfälle, Stürze aus der Höhe – und sei es ein Hochbett, wie bei den sogenannten Berliner Unfällen – betroffen sein“, so Böhm.
Seit einem Monat sind Augustin-Sayin und Böhm aktiv tätig für die Kinderneurologie-Hilfe Gelsenkirchen, die Teil des NRW-Netzwerkes ist. Die Ursprünge kommen aus Münster, wo vor 25 Jahren von Eltern hirngeschädigter Kinder als Selbstinitiative die erste Kinderneurologie-Hilfe ins Leben gerufen wurde. Später gründete sich der Bundesverband und nun soll NRW vernetzt werden.
Nun denkt man daran, dass wir allein in Gelsenkirchen zwei Kinderkliniken haben, eine am Marienhospital Gelsenkirchen angeschlossen und im Norden an das Bergmannsheil. Hört sich doch gut an. Warum dann noch eine Kinderneurologie-Hilfe?
„Weil es in den meisten Fällen einer Hirnschädigung ein Leben nach der akuten Krankenhausphase gibt. Das ist die sogenannten Schnittstellenproblematik. Vielleicht wird noch vom Krankenhaus aus eine Rehabilitationsmaßnahme initiiert und direkt angetreten. Aber was kommt danach? Auch dann sind noch Rehabilitationsprozesse von Nöten. Denn es gibt Betroffene, die langzeitige Schäden des Gehirns erlitten haben“, berichtet Udo Böhm.
Die beiden Sozialpädagogen wollen den Eltern zur Seite stehen, sie beraten, ihnen Perspektiven eröffnen und einfach helfen auf ihrem oftmals schweren Weg. Denn sie wissen: „Kinderhirne sind noch nicht ausgereift. Die Probleme durch ein solches Trauma können auch erst Jahre später auftauchen und dann gar nicht mehr in den Zusammenhang mit dem früheren Geschehen gebracht werden. Dann werden Auffälligkeiten als Entwicklungsstau oder ähnliches wahrgenommen, weil man es nicht besser weiß“, schildert Böhm die Problematik, bei der die beiden Mitarbeiter helfen können. Sie unterstützen bei der Suche nach der richtigen Therapie, aber auch den Kostenträgern dafür, und vermitteln Fachanwälte, wenn es sich bei dem Unfall um eine Fremdeinwirkung handelt, die vielleicht lebenslange Ansprüche nach sich ziehen kann. Und sie bieten den Eltern Hilfe zur Selbsthilfe, zum Klarkommen im Alltag.
„Wir können helfen, viele praktische Fragen zu klären, aber wir können auch einfach da sein, um Spannungen zu nehmen und Erfahrungen weiterzugeben. Irgendwie wird nach einem Unfall, der sich auf das Gehirn auswirkt und zum Verlust von bereits vorhandenen Fähigkeiten führt, eine Art Trauerprozess in Gang gesetzt, obwohl es doch immer Hoffnung gibt“, schildert Christa Augustin-Sayin. „Es gibt leichte Fälle, da wird vielleicht zwei Jahre lang gar nicht festgestellt, dass ein Zusammenhang mit einem Ereignis besteht. Dann sind die Eltern vielleicht sogar froh, wenn ein Kind, dass immer gern und viel fern gesehen hat, das plötzlich nicht mehr möchte oder kann, weil es die Flut von Bildern im Kopf nicht mehr verarbeiten kann.“
„In anderen Fällen werden Auffälligkeiten auch auf das Umfeld oder die Familie zurückgeführt. Oder aber eine Distanzlosigkeit, wenn ein Kind die Nähe sucht und sich einfach auf den Schoß setzt oder nur kuscheln will, obwohl das nicht mehr altersgerecht ist, kann das ein Zeichen sein für ein Trauma“, gibt Udo Böhm einige oft verkannte Beispiele.
Das Ziel der beiden Mitarbeiter der Kinderneurologie-Hilfe Gelsenkirchen in der Lebenshilfe ist das Zusammenführen von Partnern, die Moderation zwischen Familien und Schule oder Kindergarten und die Aufklärung in Einzelgesprächen, denn Kinder sind keine Massenwaren, jedes ist anders und für sich ein Individuum, da kann nicht die Masse als Messlatte genommen werden, um Verhalten zu messen.
Den Stadthelm sehen Augustin-Sayin und Böhm als primäre Prävention und Öffentlichkeitsarbeit, weil er auf das Problem aufmerksam macht. „Wenn die Defensive steht, kann man den Angriff ins Leben starten“, gibt sich Böhm philosophisch in Anlehnung an Helmut Kremers als Werbeträger des Stadthelms, der beim FC Schalke 04 als Verteidiger eingesetzt wurde.
Sein Zwillingsbruder Erwin, ehemaliger Stürmer der Königsblauen, richtet als Präsident des Schalker Golfkreises seit fünf Jahren ein Charity-Golf-Turnier aus, zu dem Prominente aus Fußball, Sport, TV und mehr nach Gelsenkirchen reisen. Das 5. Charity-Golf-Turnier fand zugunsten der Kinderneurologie-Hilfe Gelsenkirchen statt und Frank Flieger, der 1. Vorsitzender der Lebenshilfe Gelsenkirchen, konnte am Ende einen Scheck über 101.000 Euro für dieses neue bei der Lebenshilfe angesiedelte Projekt entgegen nehmen. Neben der Förderung durch die Stiftung Wohlfahrtspflege, die für drei Jahre die Förderung des Projektes übernimmt, dient dieses Geld dem Aufbau und Wirken der Kinderneurologie-Hilfe Gelsenkirchen für mehrere Jahre. Auch der Club Gelsenkirchen von Soroptimist International unterstützt die Kinderneurologie-Hilfe bei der Arbeit.
Hintergrund:
Die „Kinderneurologie-Hilfe Gelsenkirchen bei der Lebenshilfe e.V.“ befindet sich in der Bickernstraße 94 (erreichbar über die Magdalenenstraße).
Christa Augustin-Sayin und Udo Böhm sind montags von 15 bis 17 Uhr und donnerstags von 9.30 bis 11.30 Uhr erreichbar, ansonsten nach Termin. Es empfiehlt sich aber immer ein Anruf, um abzuklären, ob das Team vor Ort ist.
Erreichbar sind die Mitarbeiter unter Tel. 40250055 oder 40250056, Fax 40266364, mail: kinderneurologiehilfe@lebenshilfe-gelsenkirchen.de.
Lesen Sie mehr zum Thema in der Rubrik "Ratgeber" im 3-Fragen-Interview mit Dr. Markus Klotz und die Verlosung von drei Gelsenkirchen-Stadthelmen für Kinder unter "Eitelkeit geht oft vor Sicherheit".
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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