Das Kinderheim St. Josef in Gelsenkirchen als riesengroße Familie in Zeiten der Corona-Ausgangsbeschränkung
„Es ist sehr spannend!“

Die Kinder einer Gruppe können auch weiterhin gemeinsam die Außenanlage der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung nutzen. Foto: Gerd Kaemper
  • Die Kinder einer Gruppe können auch weiterhin gemeinsam die Außenanlage der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung nutzen. Foto: Gerd Kaemper
  • hochgeladen von silke sobotta

Die Schulen sind in NRW schon lange vor den Osterferien geschlossen worden, die sich nun nahtlos an die schulfreie Zeit anschließen. Viele Eltern arbeiten zu Hause im Home-Office oder sind durch Kurzarbeit weniger außer Haus als üblich. Hinzu kommt die Ausgangs- und Kontaktbeschränkung, die nun in die dritte Woche geht. Langsam beginnt es in so mancher Familie zu brodeln, weil man es nicht gewohnt ist, ohne Freizeitbeschäftigung aufeinanderzuhocken. Wie muss es dann sein, wenn im Kinderheim St. Josef 111 Kinder und Jugendliche beheimatet sind, die viel freie Zeit haben?

Der Einrichtungsleiter der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Josef Matthias Hommel hat eine deutliche Antwort: „Es ist sehr spannend!“
Aber Hommel sieht einen klaren Vorteil gegenüber einer Familie: „Unsere Kinder und Jugendlichen im Alter von fünf bis 18 Jahren sind in altersgerechten Gruppen untergebracht und als solche dürfen sie auch bei der aktuellen Kontakt- und Ausgangsbeschränkung als Gruppe unterwegs sein. So können sie zu Ausflügen in den Wald oder einfach zum gemeinsamen Spielen auf die Außenanlage unserer Einrichtung ins Freie und sich richtig austoben. Das hilft.“
Die Mitarbeiter der Einrichtung sind bei Ausflügen mit entsprechenden Papieren ausgerüstet, die sie als Betreuer ausweisen, damit es keine Probleme gibt, wenn die quirligen Gruppen mit sieben bis zehn Kindern kontrolliert werden. Die Einrichtung steht auch im Kontakt mit dem Gesundheitsamt, und zwar spätestens seitdem eine Jugendliche auf das gefährliche Coronavirus getestet werden musste. Dieser Test verlief allerdings negativ und es gab Entwarnung für alle.
Um eine mögliche Ausbreitung des Virus zu verhindern, müssen die Gruppen aber unter sich bleiben, was den vor allem Jüngeren schwerfällt, die oft auch in anderen Gruppen ihre Freunde haben. Ebenso ist es für sie besonders schlimm, dass ein Besuchsverbot verhängt werden musste und sie ihre Angehörigen nicht mehr treffen können. Sowohl zwischen den Gruppen als auch zu den Besuchern können die Kinder aber telefonisch Kontakt halten.
„Aber würde nur eins der Kinder einer Gruppe positiv getestet werden, wäre gleich eine ganze Rutsche von Fällen zu erwarten, weil die Kinder ja tagtäglich miteinander in Kontakt sind und auch mit ihren Betreuern“, weiß Hommel.
Für das Team von Matthias Hommel bedeutet das Coronavirus eine große Herausforderung, denn niemand weiß, wie sich die Situation weiter entwickeln wird. „Natürlich sind auch unsere Mitarbeiter in Sorge, denn wir haben unter den Jugendlichen auch Abgänger, bei denen man dann nicht weiß, wo sie gewesen sind. Darum stellt sich uns natürlich auch die Frage, ob wir die Betreuung aufrechterhalten können, wenn gleich mehrere Mitarbeiter infiziert werden. Wir sind seit Wochen in Gesprächen und versuchen, Vorsorge für den Notfall zu treffen“, berichtet Hommel.
Eine weitere Sorge des Einrichtungsleiters betrifft die Situation draußen in den Familien. Denn Experten warnen bereits davor, da je länger die Krise anhält, mit zunehmender häuslicher Gewalt zu rechnen ist. Dann müssten die Jugendämter Kinder zu deren Schutz aus ihren Familien holen.
„Wir haben zwei ausgelagerte Gruppen, in denen an sieben Tagen der Woche rund um die Uhr Kinder aufgenommen werden können. Noch wissen wir nicht, ob wir das durchgehend sicherstellen können, wenn auch unsere Mitarbeiter von dem Virus betroffen sind. Und was passiert, wenn eines der Kinder, die aus ihren Familien geholt werden müssen, positiv auf Corona getestet wurde? Wenn Quarantäne droht, ändert sich alles“, gibt Hommel zu bedenken.
Doch im Moment sind alle noch gesund und munter und die Mitarbeiter geben ihr Bestes, um den Kindern und Jugendlichen viel Struktur in ihren Tagesablauf zu bringen. Dazu gehören Übungs- und Lernzeiten genauso wie das Austoben auf dem Außengelände. Und auch wenn im März die Feier des Patronatsfestes zu Ehren des Heiligen St. Josef dem Coronavirus zum Opfer fallen musste, verkündet Matthias Hommel: „Den schlimmen Lagerkoller können wir bei uns noch nicht ausmachen.“

Durchaus ein systemrelevanter Beruf

Dafür erfüllt den Einrichtungsleiter aber mit Stolz, mit welcher hohen Bereitschaft und Solidarität die Mitarbeiter in dieser Krisenzeit am Start sind, um den ihnen anvertrauten Kindern ein Zuhause zu bieten. „Für die Mitarbeiter gehört es einfach zu ihrem Beruf, dass sie bereit sind, auch mehr zu tun als Dienst nach Vorschrift, wenn die Situation es erfordert. Darum finde ich es auch schade, dass die Erzieher in der stationären Jugendhilfe nie in einem Zuge mit den Berufsgruppen, die systemrelevant sind und für ihren Einsatz für die Gesellschaft gelobt werden, genannt werden.“
Dem kann man nur zustimmen und den Mitarbeitern Dank zollen, die zum Wohle der Kinder tagtäglich ihren Dienst versehen und sich auch nicht vom Coronavirus davon abhalten lassen, für „ihre“ Kinder da zu sein. Herzlichen Dank für diesen Einsatz!

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

12 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.