Vor 70 Jahren: Bomben auf Gelsenberg
Die damals 14-jährige Renee Klaristenfeld musste am 11. September 1944 einen der schwersten Bombenangriffe auf die Gelsenberg Benzin AG miterleben. In einem Transport von 2000 jüdischen Mädchen und Frauen, die in Auschwitz zur Zwangsarbeit bestimmt und in Gelsenkirchen eingesetzt werden sollten, wurde sie Anfang Juli 1944 nach Gelsenkirchen-Horst in ein Außenlager des KZ Buchenwald verschleppt. Im Gelsenberglager waren die weiblichen KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen in großen Zelten untergebracht. Das Lager, mit einem Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umgeben, befand sich auf einem Feld östlich des Werksgeländes der Gelsenberg Benzin AG, umweit des Güterbahnhofs der Zeche Hugo.
“Nach einem anstrengenden Arbeitstag kehrten wir in das Lager zurück” erinnert sich Renee Klaristenfeld, “Es war ein wunderschön sonniger, warmer Spätsommertag. Unsere tägliche Mahlzeit, eine dünne Wassersuppe, wurde verteilt. Plötzlich hörte ich ein lautes Brummen. Verwundert blickte ich zum Himmel und sah hoch oben einige silbern glänzender Flugzeuge ihre Bahn ziehen. Sie flogen geordnet in einer Formation, die mich an eine Triangel erinnerte. Schön sahen sie aus, wie kleine Spielzeuge. Ich wusste doch nicht, dass diese Flugzeuge uns den Tod bringen. Nur Sekunden später fielen die ersten Bomben.”
Der Tod fiel vom Himmel
Renee Klaristenfeld berichtet weiter: “Als die ersten Bomben detonierten, gerieten wir völlig in Panik. Niemand wusste wohin, alles rannte durcheinander. Zischend und pfeifend fielen die Bomben, krachende Explosionen um uns herum. Die Erde bebte, dicker undurchdringlicher Qualm und Feuer überall – ein unbeschreibliches Inferno. Wir waren dem fürchterlichen Bombenhagel völlig schutzlos ausgesetzt. Als Jüdinnen durften wir nicht in die Bunker. Ich zwängte ich mich durch den Stachel-drahtzaun, der unser Lager umgab und rannte zu einem dieser kleinen Bunker, die wie große Hühnereier aussahen. Natürlich ließen die Deutschen mich nicht rein. In meiner Todesangst rannte ich weiter zu den Gleisen und kroch schutzsuchend unter einen dort abgestellten Zug. Von dort konnte ich über das freie Feld blicken und sah andere unschuldige Frauen um ihr Leben laufen. Eines der Mädchen kam angerannt und warf sich neben mich unter den Zug. Nach jeder Explosion war ich froh, noch am Leben zu sein. Als es dann endlich vorbei war, geschah etwas wirklich Außergewöhnliches. Es sah nach dem Angriff dort aus wie auf einem Schlachtfeld, schreckliche Bilder. Überall zerissene, zerfetzte Körper, abgetrennte Arme, Beine und Köpfe. Dazwischen schreiende, schwerverletzte oder sterbende Frauen. Man stelle sich vor, da kamen Kranken- und Lastwagen angefahren, auch junge Deutsche mit Bahren eilten herbei. Wir Frauen halfen mit, unsere Verwundeten Schwestern aufzuladen. Sie wurden tatsächlich in Krankenhäuser gebracht und versorgt. Ich kann wirklich nicht viel Gutes aus der Zeit berichten, aber das war ein kleines Wunder.”
Bei dem Bombenangriff am 11. September 1944 auf Gelsenberg kamen mehr als 150 der weiblichen KZ-Häftlinge ums Leben, mehr als 100 der Schwerverletzen wurden in umliegende Krankenhäuser gebracht. Einige Tage nach dem Angriff wurde das Lager aufgelöst. Die noch im Lager verbleibenen Mädchen und Frauen wurden in das KZ-Außenlager Sömmerda verlegt. Halbwegs genesen, wurden die in Gelsenkirchener Krankenhäusern verbliebenden Frauen in den nachfolgenden Wochen ebenfalls nach Sömmerda verbracht. Siebzehn der bei dem Bombenangriff verletzten Frauen konnten mit Hilfe von Dr. Rudolf Bertram bis Kriegsende im Rotthauser Marienhospital dem Zugriff der Gestapo entzogen und so gerettet werden.
In den Kriegstagebüchern des Allied Bomber Command der Royal Air Force ist detailgenau und minutiös festgehalten, wie die Bombardierung der Gelsenberg Benzin AG am 11. September 1944 abgelaufen ist. Die vorausfliegenden 13 Lancaster-Bomber, so genannnte “Pfadfinder”, flogen in etwa 5-6000m Höhe an das Zielgebiet in Gelsenkirchen-Horst heran und warfen um 18.27 Uhr erste Markierungsbomben ab. Über dem Zielgebiet kreiste während des Bombenangriffs der so genannte “Master-Bomber” und gab über Sprechfunk den Besatzungen der nachfolgenden Hauptbomberflotte Anweisungen zum Abwurf ihrer Bombenlast. 154 Lancaster-Bomber warfen an diesem Tag innerhalb einer Stunde rund 900 Tonnen Bomben über Gelsenkirchen-Horst und die nähere Umgebung ab.
Autor:Andreas Jordan aus Gelsenkirchen |
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