Verteidigungsminster - Ein Schleudersitz?
GE. 15, 12, 9 und schließlich nur noch 6 Monate dauerte die Wehrpflicht für junge Männer ab 18 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Ab dem 1. Juli wird sie ganz ausgesetzt und die Bundeswehr wird zu einer Freiwilligen-Armee. Der Stadtspiegel sprach mit dem Kreisorganisationsleiter des Reservistenverbandes, Gerd Richter, und dem stellvertretenden Kreisvorsitzenden des Reservistenverbandes und Beauftragten für Sicherheitspolitik, Udo Kamperdick, über die Aussetzung der Wehrpflicht, die Diskussionen um Verteidigungsminister Gutenberg und mehr.
Von Silke Sobotta
GE. „Ein Reservist ist ein ehemaliger Soldat oder auch Ungedienter, der den Streitkräften eines Staates zusätzlich zu den aktiven Soldaten bei Bedarf für Wehrdienstleistungen zur Verfügung steht“, heißt es bei wikipedia. Dem kann Gerd Richter nur zustimmen, denn er sieht die Aufgabe der Reservisten als Mittler und Multiplikator zwischen Bundeswehr und Gesellschaft, aber auch als Spezialisten in ausländischen Krisengebieten. Rund 10% der im Auslandseinsatz befindlichen Soldaten sind Reservisten.
„Als verlängerter Arm der Bundeswehr lassen sich die Reservisten freiwillig weiterbilden. Dabei erhalten sie Informationen über Sicherheitspolitik in Form von Vorträgen und Seminaren und diskutieren diese auch“, erläutert Richter. „Die militärischen Fähigkeiten der Reservisten werden gefördert, indem bei der Bundeswehr Erlerntes weiter gepflegt wird, damit Kenntnisse und Fähigkeiten erhalten bleiben und weiter gebildet werden. Und die Reservisten engagieren sich in der Öffentlichkeitsarbeit, etwa durch Aktionen des Verbandes Deutscher Kriegsgräberfürsorge oder der Kranzniederlegung am Totensonntag an den Soldatengräbern“, berichtet Richter weiter.
So wurden bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Gelsenkirchen auch Reservisten eingesetzt, die bei der Feuerwehr an der Seestraße stationiert waren, eingesetzt, für den Fall der Fälle, der glücklicherweise nicht eintraf. „Die Reservisten waren dabei für den Katastrophenschutz gedacht und hätten den Kontakt zur Landesverteidigung hergestellt, wenn es nötig geworden wäre“, berichtet Gerd Richter. Das beweist auch, dass die Reservisten nach der Bundeswehr-Reform wichtig bleiben.
Freiwilliger Wehrdienst statt Einberufung
Ab dem 1. Juli hofft die Bundeswehr nun darauf, dass sich genügend Freiwillige melden, die bis zu 23 Monate Wehrdienst leisten, ohne dabei als Soldat auf Zeit eingestuft zu werden. Udo Kamperdick ist der Ansicht, dass sicher viele Arbeitslose die Chance nutzen werden. Doch hier muss Gerd Richter direkt einlenken: „Es gibt ein Auswahlverfahren, bei dem durch eine Eignungsprüfung beim Zentrum für Nachwuchsgewinnung erst einmal ermittelt wird, ob der Kandidat sich für den Dienst eignet, sowohl körperlich als auch geistig.“
Dem sieht Kamperdick mit Spannung entgegen: „Wenn es nicht genügend Freiwillige gibt, ist damit zu rechnen, dass das Anforderungsprofil runter geschraubt werden muss. Und die Erfahrungen in anderen Staaten zeigen, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht viele Schwierigkeiten entstanden sind, bei der Aufstellung einer Streitmacht. Das zeigen uns die Beispiele USA oder auch Großbritannien. Viele Freiwillige, darunter auch gerade Frauen, träumen von Lagerfeuer-Romantik und brechen zusammen, wenn der harte Drill kommt.“
Andererseits wirft Richter ein, dass nur 20% eines Geburtstagsjahrganges bisher zum Grundwehrdienst eingezogen wurden. Was immer schon bei der Bundeswehr gesucht wurde sind Spezialisten. „In Krisengebieten wie Afghanistan oder im Kosovo wurden häufig zum Beispiel Hoch- und Tiefbauingenieure gebraucht. Dann werden auch ‚Ungediente‘ zu Bundeswehrmitgliedern und erhalten aufgrund ihrer Qualifikation gleich einen höheren Dienstgrad. Natürlich werden diese Leute dann nicht an der Front eingesetzt, aber sie haben oft auch keinerlei Erfahrungen und wissen nicht, was auf sie zu kommt“, berichtet Richter, während Kamperdick mit einem Lächeln gesteht: „Die sehen dann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.“
Darum kommen zu echten Kampfeinsätzen nur ‚Gediente‘, die wissen, was auf sie zukommt und damit umgehen können. Das könnten dann auch die rund 50.000 Reservisten sein, die regelmäßig an Wehrübungen teilnehmen. Nach einem erweiterten Gesundheits- und Tauglichkeits-Check könnten sie zum Einsatz kommen.
Verteidigungsminister zu Gutenberg
Derzeit steht Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Gutenberg, wie er zuvor in der Mediengunst stand, in der Kritik wie kaum ein anderer Politiker. Gerade noch hat die Boulevard-Presse ihn und seine Gattin als das junge Gesicht der Politik entdeckt, da wendet sich das Blatt, und was zuvor viel gelobt war, wird nun verdammt.
„Wer in der Politik zum Star wird, der hat sofort auch Neider“, resümiert Kamperdick. Zum Afghanistan-Besuch kurz vor Weihnachten in Begleitung seiner Gattin erklärt Gerd Richter: „Dieser Besuch, gerade auch weil seine Frau dabei war und es kurz vor dem Fest war, kam bei den Truppen sehr gut an. Es gibt ja mittlerweile auch viele Frauen in der Bundeswehr, sowohl im Sanitätsbereich als auch im Truppendienst, und diese waren begeistert von dem Besuch der beiden. Und man muss zu Gutenberg eins zugestehen: Er war so oft vor Ort in Krisengebieten wie kein anderer Verteidigungsminister vor ihm. Außerdem legt er bei diesen Besuchen keinen Wert auf schön gestellte Bilder, er will vielmehr erfahren, wie es den Soldaten vor Ort tatsächlich geht und woran es eventuell mangelt. Dazu weicht er auch ganz spontan mal von Programmpunkten ab und lässt sich statt der Offiziersunterkunft die der Mannschaft zeigen.“
Der Tod der Gorch Fock-Kadettin & das Nachspiel
Zu dem Tod der Offiziersanwärterin Jenny B. auf und das folgende Geschehen rund um die Gorch Fock stellen die beiden Reservisten klar, dass es für einen General und andere hohe Ränge in der Bundeswehr keine Begründung geben muss, um sie außer Dienst zu stellen, was im Falle des Kommandanten Norbert Schatz eine Suspendierung bedeutete.
„Die Gorch Fock ist kein Kriegsschiff, sondern ein Elite-Ausbildungsschiff. Es gibt hier keine praktische Ausbildung für Kampfeinsätze, sondern die Abhärtung für das Marinesoldatentum mit Disziplin und Härte. Wer sich dem stellt, noch dazu als Frau, der muss das können und wollen“, erläutert Gerd Richter.
„Ein Unfall wie dieser ist bei einer so harten Ausbildung eigentlich gar nichts besonderes, vielmehr ist damit zu rechnen. Trotzdem wäre der Verteidigungminister besser beraten gewesen, wenn er zunächst einen Untersuchungsausschuss einberufen hätte, um die Sachlage zu klären“, ist sich Kamperdick sicher. Andererseits sieht er den Posten des Verteidigungsministers aber auch als „Schleudersitz“, wie die Geschichte gezeigt hat.
Manchmal wird man ganz schnell Geschichte
Die Berichterstattung der Medien zum Tod der Kadettin war noch nicht verstummt, als Gutenberg der nächste Skandal angehängt wurde. Denn er soll große Teile seiner 2006 eingereichten Doktorarbeit ohne korrekte Quellenangaben „abgeschrieben“ haben, was ihm den Vorwurf des Plagiats einbrachte. Zudem könnten Teil der Doktorarbeit von Mitarbeitern des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages verfasst worden sein.
Die Uni Bayreuth hatte den Titel bereits zurückgezogen und sich intensiv mit dem Fall befasst. Mehr als 30.000 Doktorranden und Wissenschaftler unterschrieben einen Aufruf, in dem weitere Konsequenzen des Ministers gefordert wurden und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Einschreiten aufgefordert wurde. Der Nachfolger von Gutenbergs Doktorvater klagte den Minister öffentlich an, und selbst in der CDU regten sich immer häufiger offen ausgesprochene Tadel.
Am Dienstagmittag (1.) legte Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Gutenberg, der zuvor den Eindruck erweckt hatte, an seinem Amt zu kleben, seinen Posten als Minister nieder.
Vor Pressevertretern im Bundesverteidigungsministerium sprach zu Guttenberg vom „schmerzlichsten Schritt meines Lebens“ und sagte, dass er „die Grenze seiner Kräfte erreicht“ habe. Es sei ihm aber nicht mehr möglich, den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht zu werden. Er ziehe jetzt die Konsequenz, die „ich auch von anderen verlangt habe und verlangt hätte.“
Gutenberg erklärte sein Ausharren im Amt damit, dass er vor dem Einreichen seines Rücktrittsgesuches ein „bestelltes Haus“ hinterlassen wollte.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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