"Stellen anzeigen" zeigt die Beziehung zur Arbeit - hier: Existenz
Wir von der Initiative „Stellen anzeigen“ haben bei unserer letzten Veranstaltung in der Flora die Beziehung zu Existenz, Talent, Menschenbild und Ehrenamt diskutiert. Da jedes einzelne Thema so tiefgreifend ist, werden wir in vier Teilen über die einzelnen Beziehungen berichten, gerade so, wie wir inhaltlich voran kamen.
Dieser Text wird sich mit dem Thema der Existenz befassen. Existenz, was wird mit diesem Wort verbunden? Zumeist die wirtschaftliche Versorgung, Bezahlung, Sicherheit oder Unsicherheit, wie auch immer man es sehen will. Aber Existenz ist mehr. Es bedeutet „Dasein“ - „Vorhanden sein“. Und nun kommen wir an einen Punkt, in dem sich die Existenz der Versorgung mit der Existenz des menschlichen Daseins nicht mehr unbedingt decken muss. Zu oft driften beide Komponenten in einem Menschenleben auseinander. Wenn wir unserem Dasein nachgehen, horchen wir in uns. Wer kennt ihn nicht, den Spruch: „Der Kopf denkt, der Bauch lenkt“. Ich liebe Sprichworte, denn da steckt wirklich viel Lebensweisheit drin. Also das Gefühl, welches vom Solarplexus in den Bauch strahlt . Es sind doch zumeist die Emotionen, die uns antreiben. Wir möchten etwas tun, haben Hobbies. Oftmals passen diese nicht in unsere Erwerbsarbeit. Wenn die Erwerbsarbeit überhandnimmt, so dass wir nicht mehr das tun können, was wir wirklich wollen, so werden wir krank. Nicht umsonst ist die Entwicklung der psychischen Krankheiten und Burn-Out-Syndrome so hoch. Es gibt Menschen, die dies abwertend abwinken, nicht ernst nehmen. Dennoch, diese Entwicklung hat einen Sinn. Einen Sinn, den die Menschen in ihrer Arbeit, ihrem Leben nicht mehr sehen. Somit wird ihre Existenz im Sinne von Dasein gefährdet. Der Verlust des Arbeitsplatzes droht. Der Verlust, seinem Hobby nachzugehen ebenfalls.
Wieso kann das Hobby, also das, was uns antreibt, nicht unser Alltag werden – UNSERE EXISTENZ? „Dann hätten wir nur noch Künstler aber keine Menschen, die den Dreck weg machen“, ist doch Ihr erster Gedanke. Oder nicht? Dann schauen Sie bitte mit einem differenzierten Blick auf die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts. Denn wer sich mal beispielsweise mit der Technologie der Abfallwirtschaft beschäftigt, kann feststellen, dass die Arbeit des Müllabholens mittlerweile durch nur einen Mitarbeiter bewältigt werden kann. Wo sind die anderen Drei? Vielleicht arbeitslos und bangen um ihre Existenz? Oder gehen sie ihrem Dasein nach und tun nun Dinge, die sie wirklich tun wollen?
Der Mensch ist ein soziales Wesen, das behaupte ich mit meinem positiven Menschenbild. Es wird nur durch Negativerfahrungen und Existenzangst zu einem unsozialen Wesen gemacht. Ich stelle hier eine These auf, die vielleicht provoziert, aber nicht neu ist.
Während unserer Veranstaltung „Beziehung zur Arbeit“ in der Flora in Gelsenkirchen wurden die Besucher Folgendes gefragt: „Leben wir, um zu arbeiten?“. Eine Frage, welche die Existenz der Versorgung und des Daseins tief ins Mark trifft.
Jemand bemerkte, dass das An-Sich-Selbst-Arbeiten bereits das Leben und Arbeiten miteinander verbindet. Suggeriert diese Aussage nicht, dass das Individuum stets hinterfragt, ob der Bauch gut lenkt, während der Kopf denkt? Wohl dem, der sich stets reflektieren kann.
Wir arbeiten, um Geld zu verdienen, wurde bemerkt. Betrachtet man sich den aktuellen Arbeitsmarkt, so scheint das mit dem „Geld verdienen“ nicht mehr zeitgemäß zu sein. Denn wer bekommt noch (ausreichend) Geld für seine Arbeit? Wäre das nicht ein Grund, darüber nachzudenken, ob Arbeit im 21. Jahrhundert nicht nur über Erwerbsarbeit definiert werden sollte? Was ist Geld? Es ist doch nur Blech und Papier. Wir aber geben diesen Materialien den Wert und Bedeutung. Ist es nicht viel wichtiger darüber nachzudenken, dass man arbeitet, um essen und trinken zu können? Da bedarf es Boden und Arbeitskraft. Arbeit, die nicht für einen anderen investiert wird, sondern für sich selbst, evtl. für die Familie und Freunde. Wie weit die Erträge dieser Arbeit reichen hängt davon ab, wie die eigene Existenz gesichert ist.
Liebe Leser, ich bin von Hause aus Controllerin. Entgegen dem allgemeinen Blick auf diesen Beruf pflege ich das Grundsätzliche immer wieder zu definieren. Ein Controller schaut darauf, dass ein Unternehmen von innen heraus stimmig ist. Nur so kann es auch auf dem Markt bestehen. Genau diese Philosophie kann man 1:1 auf den Menschen übertragen. Ein Mensch kann nur dann im Einklang mit seinem Umfeld leben und existieren, wenn er in sich stimmig ist. Also müssen die eigenen Bedürfnisse befriedigt sein, damit der Überschuss mit dem Umfeld geteilt, getauscht oder was auch immer werden kann. Wenn wir also für unsere eigene Ernährung arbeiten, können wir den Überschuss, den wir erwirtschaften miteinander teilen, tauschen oder was auch immer. Wieso müssen wir für andere und Geld arbeiten? Das ist die Entwicklung des 19./20. Jahrhundert, seit der Industrialisierung.
Nun haben wir Maschinen, die uns viel Arbeit abnehmen können. Wir können Land bewirtschaften für unsere eigene Existenz. Nicht für Konzerne wie Monsanto. Nein, für uns, die Region, die Menschen, die in einer Reichweite sind. Sind wir satt, können wir auch global arbeiten.
Eine weitere Teilnehmerin unserer Veranstaltung erwähnte die „work-life-balance“. Dieses Arbeitsmodell teilt die menschliche Existenz in Erwerbsarbeit und Freizeit, welches beides in ein Gleichgewicht bringen soll. Nur war folgender Satz der Teilnehmerin so ultimativ gut, dass er dieses Arbeitsmodell gleich ad absurdum führte: „Wenn ich so arbeite, lebe ich nicht.“ Da steckt viel Wahres drin. Wenn ein Teil der Arbeit wieder für Geld und Erwerb ausgerichtet ist, muss dies nicht unbedingt im Einklang mit dem Dasein sein. Das ist eigentlich nur ein fauler Kompromiss.
Ein Künstler in der Runde stellte dar, was wir uns alle wünschen. Er teilte uns mit, dass er das Privileg hätte, das tun zu können, was er liebt. Muss dies ein Privileg bleiben? Können wir nicht alle einen Weg finden, das zu tun, was wir lieben? Hand aufs Herz: Lieben Sie das, was Sie tun? Wer die Frage mit Ja beantworten kann, dem gratuliere ich an dieser Stelle.
Es wurde die Identität, Anerkennung und Sinnhaftigkeit zur Diskussion gestellt. Drei Merkmale die sehr stark die Psyche berühren. In Anbetracht dessen, dass der aktuelle Arbeitsmarkt eben nicht mehr diese Merkmale erfüllt, sind oben genannte Krankheiten so präsent. Wir haben es hier nicht mit einem Phänomen zu tun oder mit Menschen, die einfach nichts mehr aushalten können. Wir haben es mit einer Arbeitswelt zu tun, die so abstrus geworden ist, dass sie mit der Existenz des Individuums kaum noch Schnittstellen bildet. Sähet man ein Korn, muss man arbeiten, um die Frucht ernten zu können. In dieser Arbeit steckt Identität, Sinnhaftigkeit und Angerkennung. Aber wo stecken diese Merkmale bei der Bedienung einer Tastatur in einem Büro? Natürlich gibt es Berufe, die wirklich sinnvoll sind. Dazu gehören die Pflegeberufe, Feuerwehr, etc. Jedoch: Besteht das Merkmal Anerkennung noch?
Die zweite Frage des Abends zum Thema Existenz lautete: Welche Alternativen haben wir, um unsere Existenz zu sichern?
Auf einige Punkte ging ich bereits ein, da diese Themenfelder fließend sind. Jemand erwähnte, dass die Verteilung von Arbeit nicht gerecht wäre. Wer 60 Stunden in der Woche arbeitet, würde von der Gesellschaft und den Problemen nicht wirklich etwas mitbekommen. Es fände auch auf diese Art eine Entsolidarisierung statt.
Viele Menschen würden arbeiten und ihre Überstunden nicht bezahlt bekommen. An dieser Stelle kann man nur empfehlen: Wehrt Euch. Ja jaja, ich höre Sie sagen: „Dann verliere ich meinen Arbeitsplatz“. Von was für einem Arbeitsplatz reden wir denn hier? Einen Arbeitsplatz, der nicht bezahlt wird. Schlechte Jobs gibt es woanders auch. Dann kann man auch kündigen und es an einer anderen Stelle versuchen. Wer sich nicht bezahlen lässt für das, was er tut, scheint sich auch nicht für wertvoll zu halten. Eine Empörung müsste zu Tage treten, wenn Arbeit nicht bezahlt würde. Nicht mit mir! Stattdessen kommt die Angst. Menschen, die mit diesem Verhalten das alte Modell der Arbeit unterstützen und auch in die mittelalterliche Sklaverei steuern, werden nicht dafür Sorge tragen, dass sich was ändert. Auch nicht in ihrem Leben. Das klingt böse, nicht wahr? Jedoch gibt es immer zwei Betroffene: Einer, der ausbeutet und einer, der es mit sich machen lässt. Wieso? Weil er keine Ideen hat. Und genau darum geht es in diesem Teil. Natürlich gibt es auch Arbeitgeber, bei denen man auch sinnvoll seine Existenz leben kann. Man wird wertgeschätzt und anständig bezahlt. Nur, sind wir ehrlich, grundsätzlich bedienen diese Arbeitsmodelle nicht mehr den kompletten Arbeitsmarkt.
Natürlich können wir noch nicht ganz ohne Bargeld leben. Das ist auch nicht zwingend das Ziel. Aber wir können uns überlegen, wie wir mit wenig Geld existieren können. Wenn Arbeit doch nicht mehr ausreichend bezahlt wird, müssen wir Alternativen entwickeln, um existieren zu können. Wie wäre es, sein Talent zu teilen und zu tauschen? Jeder Mensch kann was. Der eine macht Marmelade, der andere hat noch Eier übrig. Foodsharing, das gibt es bereits. Der eine kann tapezieren, der andere Haare schneiden. Talentbösen, auch die gibt es. Was müssen wir dafür lernen? In einer Gemeinschaft zu leben. Wir brauchen sie, um existieren zu können. Die durch die Erwerbsarbeit geförderte Individualisierung und auch Schaffung der Konformität hat der Gesellschaft jegliche Kreativität und auch Ideen genommen. Die brauchen wir jetzt, um die Existenz des 21. Jahrhunderts neu zu gestalten. Das Thema Nachbarschaftsstifer ist gerade in Gelsenkirchen hoch aktuell. Wen wundert es, dass diese Arbeit auch nicht bezahlt wird und auf den Füßen des Ehrenamtes steht. Ein Thema, das wir als letztes dieser vier Bereiche Talent, Menschenbild und Existenz diskutiert haben.
Die weiteren Themenbereiche:
Autor:Sandra Stoffers aus Recklinghausen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.