Sigmar Gabriel zum 60. Todestag von Kurt Schumacher++
Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sigmar Gabriel, würdigt den vor 60 Jahren verstorbenen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher mit folgenden Worten:
Am 20. August 1952 verlor die SPD mit Kurt Schumacher ihren ersten Vorsitzenden nach dem Zweiten Weltkrieg, der zugleich einer der prägenden politischen Persönlichkeiten des demokratischen Neubeginns in Deutschland war.
Kurt Schumacher wurde am 13. Oktober 1895 in Culm/Westpreußen als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach Besuch des örtlichen Gymnasiums und Weltkriegsteilnahme als Soldat mit schwerer Verwundung studierte er in Halle, Leipzig und Berlin Rechtswissenschaften und beendete sein Studium 1919 mit dem juristischen Staatsexamen. Ein Jahr später wurde er - nach einer kurzen Tätigkeit im Reichsarbeitsministerium - politischer Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung „Schwäbische Tagwacht“ in Stuttgart und
dann 1924 als sozialdemokratischer Abgeordneter in den württembergischen Landtag und 1930 auch in den Reichstag gewählt.
Schon sehr früh fühlte sich Kurt Schumacher als Sozialdemokrat: „Spätestens seit meinem 15. Jahre zählte ich mich innerlich zur Sozialdemokratischen Partei“, heißt es in einem Selbstzeugnis von 1925. Schumachers politische Sozialisation innerhalb der SPD fand – anders als bei vielen seiner damaligen Mitstreiter – vor allem in der Weimarer Republik und nicht mehr im Kaiserreich statt. Ein wesentlicher Grund dafür, dass er aufgeschlossen war für die vielfältigen gesellschaftlichen Neuerungen der Weimarer Zeit.
Als Mitglied des Fraktionsvorstandes der SPD im Reichstag ab 1932 galt sein mutiges und entschiedenes Auftreten der Verteidigung der ersten Demokratie auf deutschem Boden. Unvergessen sein Satz, mit dem er am 23. Februar 1932 im Reichstag die Nazis angriff: „Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen.“ Er war einer der wenigen SPD-Abgeordneten, der an der großen Rede von Otto Wels mitgearbeitet hat, mit der dieser am 23. März 1933 das Nein der SPD zum Ermächtigungsgesetz formulierte. Diese Freiheitsauffassung und -haltung bestimmten auch sein Leben und Handeln in den zwölf Jahren der Nazi-Barbarei, in denen Kurt Schumacher politisch verfolgt und zehn Jahre lang in Konzentrationslagern gefangen gehalten wurde.
Unmittelbar nach Kriegsende und noch vor der deutschen Kapitulation begann Kurt Schumacher mit dem Wiederaufbau der SPD in Hannover. Bereits am 6. Mai 1945 wurde er dort zum lokalen Vorsitzenden gewählt. Nur wenige Monate später wählten ihn auf der Wennigser Konferenz vom 5. bis 7. Oktober 1945 die SPD-Delegierten der drei Westzonen zu ihrem Leiter und beauftragten ihn mit dem Wiederaufbau der SPD in den drei westlichen Besatzungszonen.
Am 10. Mai 1946, wenige Wochen nach der von ihm heftig bekämpften
Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED in der sowjetischen Besatzungszone, wurde Kurt Schumacher zum Parteivorsitzenden der SPD in den drei Westzonen gewählt.
Schon in der Übergangszeit bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland, vor allem aber nach der Konstituierung des Bundestages im Anschluss an die Wahlen vom 14. August 1949 war Kurt Schumacher der dominierende Wortführer der parlamentarischen Opposition in allen zentralen Fragen der Politik und der entscheidende Gegenspieler Konrad Adenauers. Doch im Gegensatz zur Praxis der Weimarer Republik begriff Kurt Schumacher die Oppositionsrolle der SPD stets auch als konstruktiv.
Er sah immer auch die Pflicht der Opposition, klare konzeptionelle politische Alternativen zur Regierungspolitik aufzuzeigen. Diese Stiländerung war im Rückblick ebenso prägend für die parlamentarische Demokratie in Deutschland wie die geschlossene Formierung der SPD als parlamentarischer Gegenkraft zur Regierung. Damit konstituierte Schumacher quasi nebenbei das inoffizielle Amt des Oppositionsführers, das er eindrucksvoll ausfüllte.
Als erster SPD-Vorsitzender nach dem Zweiten Weltkrieg verkörperte Kurt Schumacher wie kein anderer den Selbstbehauptungswillen der SPD und ihren Willen zum demokratischen Neubeginn in Deutschland. Seine moralische Stärke, seine charakterliche Glaubwürdigkeit und seine politische Klarheit bestimmten auch sein politisches Wirken bis zu seinem frühen Tod in Folge seiner langjährigen Gefangenschaft in Konzentrationslagern des Nazi-Regimes. Kurt Schumacher war „Patriot, Volkstribun, Sozialdemokrat“ –
wie es treffend im Titel der Biografie von Peter Merseburger heißt.
Kurt Schumacher zu gedenken bedeutet aber nicht, allein einer sozialdemokratischen Traditionspflege zu genügen. Das Gedenken an Kurt Schumacher wach zu halten ist viel mehr: Es ist zunächst die Erinnerung an einen bedeutenden SPD-Vorsitzenden, für den Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität Grundwerte waren, die er Zeit seines Lebens mit Leben erfüllte und unter Einsatz des eigenen Lebens offensiv und unnachgiebig verteidigte. Daneben ist zu erinnern an seine scharfe politische Analyse, seine
Entschlossenheit und seine rhetorische Überzeugungskraft. Und schließlich war er von der klaren Überzeugung geleitet, dass nur ein selbstbewusstes und starkes demokratisches, soziales, gerechtes und humanes Deutschland eine unwiderstehliche Anziehungskraft in der internationalen Völkergemeinschaft entwickeln würde. Kurt Schumacher war ein bedeutender Sozialdemokrat und ein großer deutscher Patriot!
Zu Unrecht ist Kurt Schumacher heute vielfach vergessen, auch wenn unzählige Straßen und Plätze in Deutschland seinen Namen tragen.
Das mag an der politischen Ausgangslage in der Phase der demokratischen Neugründung Deutschlands liegen, in der die SPD nicht regierte, sondern in der Opposition war. Es mag daran liegen, dass die Deutschen in der kriegsversehrten und von KZ-Haft gezeichneten asketischen Gestalt Kurt Schumachers keine positive Identifikationsfigur auch für ihren persönlichen Neubeginn sahen. Und sein allzu früher Tod war ein weiterer Grund dafür, dass Kurt Schumacher zwar für den Wiederaufbau der SPD eine beispiellose Bedeutung hatte, aber seine politische Gestaltungskraft nur in der Gründungsphase der Bundesrepublik prägend werden konnte.
Umso mehr sind Sozialdemokraten in der Pflicht, das entbehrungsreiche wie erfolgreiche Leben und Wirken Kurt Schumachers für die SPD, aber eben auch für den demokratischen Neubeginn in Deutschland immer wieder in Erinnerung zu rufen. Seine Überzeugungen, seine Prinzipientreue, seine Glaubwürdigkeit und seine erstaunliche Modernität in Bezug auf die Fortentwicklung der SPD als Volkspartei sind trotz ihrer Zeitbezogenheit in der Gründungsphase unseres Landes bemerkenswert zeitlos. Kurt Schumacher war
ein bedeutender deutscher Demokrat, ein großer SPD-Vorsitzender, und er war auch ein Visionär, der sich zum „Vaterland Europa“ frühzeitig ausdrücklich bekannte. Die Einheit der Nation sah er nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg von Anfang an fest eingebettet in die europäische Politik. Damit war er vielen seiner politischen Zeitgenossen weit voraus.
Nicht nur deshalb wird die SPD Kurt Schumacher weiterhin ein ehrendes Andenken bewahren. Wir sind stolz, dass er einer von uns war und haben ihm viel zu verdanken.
Autor:Heinz Kolb (SPD aus Gelsenkirchen |
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