Hans Frey beleuchtet im Buch die deutsche Science-Fiction von 1918 bis 1945
Science Fiction in Demokratie und Diktatur
Knapp zwei Jahre, nachdem Hans Frey in seinem Buch „Fortschritt und Fiasko“ die ersten 100 der deutschen Science-Fiction beleuchtet hat, widmet der Autor sich nun mit „Aufbruch in den Abgrund“ der Literaturgeschichte der Science-Fiction in den Jahren 1918 bis 1945, also von der Weimarer Republik bis zum Ende der Nazi-Diktatur, also zwischen Demokratie und Diktatur.
Wie schon im ersten Band erstellt Hans Frey auch im zweiten Zusammenhänge zwischen der Entwicklung der Science-Fiction (SF) und der Politik in Deutschland auch über den gesetzten Zeitrahmen hinaus. Dabei beschreibt er ebenso spannende wie auch überraschende Entdeckungen, die nicht nur die Freunde des SF-Genres beeindrucken werden.
Wer den Autor persönlich treffen möchte, hat bei der Lesung „Aufbruch in den Abgrund“ am Mittwoch, 18. März, um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Junius, Sparkassenstraße 4, die Gelegenheit dazu.
Drei Thesen zu Science-Fiction und Demokratie
Der Gelsenkirchener Politiker, Hans Frey war 25 Jahre lang SPD-Landtagsabgeordneter, Science-Fiction-Experte und Autor stellt mit seinem neuesten Buch drei Thesen auf. So glaubt Frey, dass das Grundmuster bei der rechtsextremistischen Seite bis heute das gleiche geblieben ist. „Die harmonische Volksgemeinschaft war schon bei den Nazis Allgemeingut. Aber auch die Agitationsmuster, Ausgrenzung und Großmachtsucht sind die gleichen geblieben. Sie wurden nur an die Zeit angepasst.“
Zweitens sieht Frey die Macht der Unterhaltungsmedien als Seismograf für die Stimmung in der Gesellschaft. „Das betrifft die Weimarer Republik und gilt auch heute noch. Die Unterhaltungsmedien zeigen, wie die Leute denken und fühlen. Gerade heute sollte man dabei genau hinschauen, was in den Medien passiert, welche Spiele gerade sehr aktuell sind und welche Texte die verschiedenen Songs haben.“
Die Science-Fiction spielt dabei für Frey eine ganz besondere Rolle. Er sieht sie als Spiegel und Mitgestalterin einer ganzen Epoche. „Die Science-Fiction prägt viele Denkmuster. Das ist ein Unterschied zu anderen Genres wie Krimis oder Liebesromanen, die nur reproduzieren.“
Freys dritte These dürfte alle Demokraten freuen, denn er zeigt gravierende Unterschiede zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland. „Das Verhältnis der Menschen zur Demokratie ist heute ein ganz anderes als zur Weimarer Zeit. Damals war man antidemokratisch und nach rechts bis rechts außen orientiert. Das galt auch für Eliten aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Die pluralistische Demokratie, wie wir sie heute kennen, war damals noch nicht bekannt und begreifbar. Damals galt mehr der Ruf nach einem starken Mann, der ja dann mit Hitler gefunden geglaubt wurde.“
Und genau das bietet für Frey die Chance, dass der aktuelle Rechtsruck der Gesellschaft in Deutschland, Europa und der Welt überstanden werden kann, weil Ausgrenzung in einer globalisierten Welt nicht mehr funktioniert, ohne den wirtschaftlichen Abstieg zu forcieren.
Die Strahlkraft der Science-Fiction
In seinem Buch geht Hans Frey auch der Frage nach, was die Science-Fiction-Literatur so alles angestoßen hat, das später realisiert wurde. „Zur Zeit der Weimarer Republik startete die Weltraumfahrt in der SF. Im Kaiserreich ging es dabei noch um umgebaute Luftschiffe oder antigravitatorische Raumschiffe, die noch heute utopisch sind. In der Weimarer Zeit ging es um Raketen“, schildert Frey.
So schrieb Thea von Harbou „Frau im Mond“, das von Fritz Lang 1929 verfilmt wurde. Um den Erfolg des „Metropolis“-Nachfolgers zu garantieren, plante die UFA eine exquisite Werbekampagne. Dazu wurde der zu seiner Zeit führende Raketenspezialist Hermann Oberth verpflichtet, der ein 20 Zentimeter großes Modell einer Flüssigkeitsrakete baute, das im Film als riesiges, majestätisches Raumschiff erscheint. Für die Premiere des Films sollte Oberth zudem eine zwei Meter große Rakete bauen, die sogar 40 Kilometer hoch steigen sollte. Daraus wurde zwar nichts, aber die Verpflichtung des Raketenbauers ging in die Filmgeschichte ein.
Stattdessen stand der Ingenieur kurz vor einem Nervenzusammenbruch, erfand aber nebenbei die Kegeldüse, die direkten Einfluss auf die Entwicklung der Raumfahrt haben sollte. Regisseur Fritz Lang hingegen erfand bei den Dreharbeiten zu „Frau im Mond“ den Countdown, der bekanntlich „noch heute zu einem Raketenstart gehört wie Romeo zu Julia“, wie Hans Frey kommentiert.
1927 gründete sich der Verein für Raumschifffahrt und damit der erste Science-Fiction-Club der deutschen Geschichte. Auch er befasste sich mit Raketen, angetrieben von Phantasie, Spieleifer, Entdeckerlust und Zukunftsvisionen. Mit dabei waren der Wissenschaftsjournalist Otto Willi Gail, der oben erwähnte Hermann Oberth und der als späterer US-amerikanischer Raketeningenieur zum Wegbereiter der Raketenwaffen und der Raumfahrt gewordene Werner von Braun.
Über von Braun berichtet Hans Frey, dass dieser ein gnadenloser Opportunist war, der für seine Wissenschaft auch über Leichen ging und sowohl Mitglied der NSDAP wie auch der SS war. „Nach Kriegsende hat er so getan, als wüsste er nichts vom Einsatz der Zwangsarbeiter für seine Experimente. Vielmehr hat er sich, als der Niedergang der Nazis abzusehen war, sofort den Amerikanern angedient und seine Reden auf demokratische Rhetorik umgeschaltet und die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen.“
Im Nazi-Deutschland wurden nur noch enge Technikphantasien geduldet, weil die Nazis der SF feindlich gegenüberstanden. „Das lag vermutlich daran, dass Hitler und seine Entourage das Dritte Reich als Utopie betrachteten, die Wirklichkeit wurde und ewig dauern sollte. Die Science-Fiction hätte andere Möglichkeiten eröffnet, aber erlöster als erlöst geht nicht“, gibt Frey zu bedenken.
Während in der Weimarer Zeit die Heftromane eine Hochzeit erlebten, wurden diese im Nazi-Deutschland bis auf drei von der NSDAP geduldete Kriegsliteraturhefte heruntergeschraubt.
Und wer hätte das gedacht: Für den Gelsenkirchener Autoren sind auch Franz Kafka, Gerhart Hauptmann, Erich Kästner und Thomas Mann in Teilen im SF-Genre. Dass sie oder ihre Bücher Opfer der NS-Diktatur wurden, spielt dabei allerdings keine Rolle.
In seinem Epilog blickt Hans Frey dann über den Tellerrand und die Zeit nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Dabei erinnert er an Ralph Giordanos „Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“. Oder auch an Robert A. Heinleins „Rocket.Ship Galileo“ aus dem Jahr 1986, das als Vorlage diente für den Film „Iron Sky“. Und auch die doppelte Alternativwelt in Philip K. Dicks Werk „The Man in the High Castle“ von 1962, das die Vorlage bietet für die gleichnamige Stream-Serie. Nazi-Gegner Otta Basil beschreibt in „Wenn das der Führer wüsste“ 1966 die Welt, wie sie sich die Nazis gewünscht hätten.
Hinweise in der SF auf Gelsenkirchen
Als kleinen Nebeneffekt stieß Hans Frey bei der Recherche zu seinem Buch auf Erwähnungen von Gelsenkirchen. Ganz deutlich wird in Paul Erhardts „Die letzte Macht“ aus dem Jahr 1922 auf die Erwähnung der Flugzeugwerke Condor in Gelsenkirchen-Rotthausen verwiesen.
Ernst Ohligers „Bomben auf Kohlenstadt“ enthält zwar keinen genauen Hinweis auf Gelsenkirchen, aber in der Geschichte aus dem Jahr 1935 wird eine Frau zur Luftschutzkeller-Heldin und das lange vor Kriegsbeginn. Für „Frau im Mond“ gab die UFA 1929 eine Rakete in Auftrag, die bei der Premiere wahrhaftig aufsteigen sollte. Foto: UFA Otto Willi Gail wollte 1925 mit „Der Schuss ins All“ den Raumfahrtgedanken bewerben.
Foto: Cover Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann schrieb 1924 den Roman „Die Insel der großen Mutter“, der nicht unumstritten war, sich aber gut verkaufte. Foto: Cover
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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