Romeo Franz: „Eine Frage der Sozialisierung“
„Die Geschichte der Sinti und Roma ist geprägt von Versklavung, Verfolgung und Missachtung. Und dabei ist es egal, ob die Roma und Sinti aus Ex-Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien, Polen oder Ungarn stammen. Um diese Menschen zu integrieren, muss man aber ihre Geschichte kennen und respektieren“, weiß Romeo Franz, der sich seit mehr als 20 Jahren in der Bürgerrechtsarbeit mit Menschen mit Romno-Hintergrund, also Sinti und Roma, engagiert.
Seit dem 3. Juli sitzt Romeo Franz als Mitglied der Bündnis Grünen im Europäischen Parlament und musste in dieser kurzen Zeit bis heute erfahren, dass er dort lange nicht so viel bewegen kann zum Wohle der in Deutschland lebenden Sinti und Roma, wie er es sich im Vorfeld erträumt hatte.
Anlässlich eines Konzertes seiner Band in der „flora“ nahm er die Einladung der Gelsenkirchener Grünen an und traf im Schalker Familientreff Lalok Libre mit Martina Lilla-Oblong und Paul Humann zusammen, um sich über die Arbeit des Laloks zu informieren, aber auch um die Situation der Sinti und Roma in ihrer Heimat zu erläutern.
Franz schilderte, dass unter Josip Broz Tito, dem ehemaligen Präsidenten Jugoslawiens, der Begriff „Zigeuner“ verboten war, was dazu führte, dass es auch heute noch in Ex-Jugoslawien eine hohe Anzahl an Akademikern unter den Roma gibt.
Unter Kaiserin Maria-Teresia wurde es hingegen den in Ungarn lebenden Roma verboten, ihre eigene Sprache zu sprechen, was dazu führte, dass dort heute niemand mehr diese Sprache kennt und spricht. Nichtsdestotrotz werden die Roma und Sinti aber auch weiterhin ausgegrenzt.
Diese beiden Schilderungen sind für Romeo Franz ein Zeichen dafür, dass die Integration der Sinti und Roma in Deutschland eine Frage der Sozialisierung ist und nicht der Verweigerung, sich anzupassen. „In der kurzen Zeit, in der ich als Nachrücker im EU-Parlament sitze, musste ich bereits feststellen, dass die von der EU bereitgestellten Mittel falsch eingesetzt werden und die Roma immer weiter ins Abseits gedrängt werden, weil sie von der Bildung ausgeschlossen werden“, bedauert der Politiker.
Bei seinen Reisen, die er inzwischen als Parlamentarier unternommen hat, konnte er sehr unterschiedliche Einblicke nehmen. So gibt es eine christliche Gemeinde in Nürnberg, die eine Partnergemeinde in Rumänien hat und diese mit Kleidern, aber auch finanziellen Hilfen unterstützt. So konnte in der rumänischen Stadt nicht nur ein Gemeindehaus mit einer komplett eingerichteten Küche entstehen, sondern auch eine Schule errichtet werden.
Durch seine Kontakte und Unterstützung konnte er dabei helfen, dass ein Lkw mit Hilfsmitteln, den deutsche Rotarier nach Rumänien schickten, auch noch gut gefüllt mit Medikamenten und anderen Hilfsmitteln an Ort und Stelle ankam. Was sonst nach Aussage der Präsidentin des Rotary Clubs nicht so üblich ist, weil sonst die Ladung gern direkt hinter der Grenze konfisziert wird.
Wer so leben muss, dem bleibt nur die Flucht
Diese positiven Erfahrungen wurden jedoch in den Hintergrund gedrängt, als sich der Parlamentarier auf den Weg in die kleine Stadt Tinca nahe der ungarischen Grenze machte. In der Vergangenheit waren genau dorthin EU-Mittel geflossen, die aber leider nicht bei den Sinti und Roma ankamen. „Die Roma-Bevölkerung wurde hier in einen Straßenzug verbannt, wo 200 Menschen in einem Zustand leben, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Dort leben auf 10 Quadratmetern zumeist sechs Menschen, und zwar ohne sanitäre Einrichtungen und fließendes Wasser. Dort begegneten mir unglaublich viele behinderte kleine Menschen und Kinder mit Hepatitis“, erinnert sich Romeo Franz.
Der Politiker vereinbarte einen Termin mit dem Bürgermeister und verabredete sich mit ihm direkt in der betroffenen Straße, was dem Stadtoberhaupt nicht so sehr behagte. Doch die Roma erlebten zum ersten Mal einen Besuch des Bürgermeisters, der ihnen erklärte, dass sie für diese Zustände selbst verantwortlich seien: „Das ist die Mentalität der Roma. Ihr wollt doch gar nicht arbeiten.“
Eine Nachfrage von Romeo Franz ergab, dass die Menschen sehr wohl arbeiten, aber für Hungerlöhne. So verdienen sie für 30 Arbeitstage von jeweils mindestens 12 Stunden rund 150 Euro im Monat. Ein Tagelöhner muss sich mit 1,20 Euro pro Tag zufrieden geben.
„Diese Menschen hätten nicht einmal die Zeit betteln zu gehen, um ihren Lebensunterhalt zu verbessern. Wenn man dann hier in Deutschland die Sinti und Roma betteln sieht, muss man sich vorstellen, dass das für sie eine Bereicherung ist gegenüber dem Leben, das sie in ihrer Heimat hatten. Niemand von ihnen hat seine Heimat freiwillig verlassen. Sie sind geflüchtet vor Ziganismus, Hunger, Armut und Ausgrenzung“, plädiert Romeo Franz an die Gelsenkirchener.
Unterstützung an den Menschen vorbei
Er kritisiert, dass ganze zehn Jahre lang EU-Mittel bereitgestellt wurden, die das Leben der Romna verbessern sollten. Fakt ist aber: „Diese Unterstützung ist erfolgt, ohne die betroffenen Menschen mit einzubeziehen oder sie überhaupt ernst zu nehmen. So war es leicht, dass das Geld in den Taschen anderer versickern konnte.“
Franz möchte auf EU-Ebene ein Projekt, das er in Berlin ins Leben gerufen hat, umsetzen. Dabei hat er Menschen mit einer Unterstützung von 450 Euro pro Monat in eine Existenz geführt. So hatten alleinerziehende Mütter die Chance, ihren Hauptschulabschluss nachzuholen und sich so für eine Arbeit zu qualifizieren. Diese positive Erfahrung trugen sie in ihre Community und veranlassten damit andere, ihrem Beispiel zu folgen.
Dem Politiker schwebt ein Bildungsfonds vor, der in Form von Stipendien den Roma und Sinti nicht eine akademische, sondern handwerkliche Ausbildung ermöglicht. Das könnte Kreise ziehen und so für eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt sorgen.
Menschen müssen zuhause erreicht werden
Aber Franz sagt auch: „Brüssel muss auch weiter runter auf die lokale Ebene. Es müsste eine Strukturförderung für kleine Vereine, wie hier das Lalok Libre, eingeführt werden. Hier gibt es ein niederschwelliges Angebot, das die Menschen an ihrer Haustür abholt, das über die Kinder an die Eltern herantritt. Denn es gilt: Je näher man an den Menschen ist, umso mehr Einfluss kann man auf sie nehmen. Ein bürgerschaftliches Engagement wie dieses hier im Lalok ist eine wichtige Arbeit für die Gesellschaft.“
Bildung ist der einzige Weg zur Integration
Urte Hardering ist Lehrerin und ehrenamtlich aktiv im Lalok Libre, wo sie unter anderem die Lernferien unterstützt, um den jungen Roma und Sinti zu helfen, in die Regelklassen unseres Schulsystems einziehen zu können. Sie sieht schon in Beiträgen für den Besuch der offenen Ganztagsschulen eine Ausgrenzung, weil die finanziell schwachen Familien sich das nicht leisten können.
„Segregation im Bildungsbereich, um Sklaven zu züchten“, nennt Romeo Franz die Ausgrenzung von der Bildung, denn sie schafft billige Arbeitskräfte und mit ihrer These bestärkt Urte Hardering den Politiker in seiner Ansicht.
Wichtig ist für den weit gereisten Musiker und Politiker, dass beide an der Integration Beteiligten offen dafür sind. „Zur Integration gehören zwei: Der, der sich integrieren will, und der, der zulässt, dass sich integriert wird. Darum ist es so wichtig, die Dominanz-Gesellschaft zu sensibilisieren.“
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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