Polizei und OB: "Achtsam und angemessen agieren"

Mit der Ordnungspartnerschaft arbeitet man in Gelsenkirchen auch über Polizei und kommunalem Ordnungsdienst hinaus in einem guten Netzwerk miteinander. Foto: Gerd Kaemper
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  • Mit der Ordnungspartnerschaft arbeitet man in Gelsenkirchen auch über Polizei und kommunalem Ordnungsdienst hinaus in einem guten Netzwerk miteinander. Foto: Gerd Kaemper
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Es wird viel diskutiert in unserer Stadt: Der Begriff von der „No-Go-Area“ im Gelsenkirchener Süden machte die Runde. Wie sicher sind wir noch? Oder sehen wir im Rausch der Flüchtlings-Thematik den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr? Der Stadtspiegel fragte bei Polizeipräsidentin Anne Heselhaus-Schröer und Oberbürgermeister Frank Baranowski nach.

„Es gibt keine No-Go-Areas“ in Gelsenkirchen“, sagt die Polizeipräsidentin sehr deutlich, beinahe bevor sie gefragt wird. Sehr schnell wird im Gespräch klar, wie intensiv mit Schlagworten um sich geworfen wurde. „Der Begriff „No-Go-Area“ kommt aus Großbritannien, wo in Großstädten ganze Viertel von der Polizei aufgegeben wurden, weil es zu gefährlich wurde, dort hinzugehen“, klärt Frank Baranowski auf. „Und es gibt in Gelsenkirchen definitiv kein Viertel, in dem der Staat nicht agiert.“

Keine No-Go-Areas

Dass es aber so etwas wie Angsträume und dunkle Ecken, die den Bürgern nicht koscher sind, gibt, stellen beide Behördenleiter nicht in Frage. „Aber die Begriffe „No-Go-Area“ und „Angsträume“ muss man sauber auseinander halten“, fordert Anne Heselhaus-Schröer. Und die Angsträume habe man im Blick, damit eben gar nicht erst No-Go-Areas entstehen.
Warum dieser Begriff überhaupt die Runde gemacht hat? „Manchmal ist es politisch interessant, eine Sache zuzuspitzen“, weiß Baranowski. „Und Sicherheitsgefühl ist tatsächlich etwas, das sehr schwer messbar ist.“
Messbar sind allerdings die Zahlen der Polizeistatistik. „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es einen eklatanten Kriminalitäts-Anstieg in Ückendorf oder Rotthausen gegeben hat“, sagt die Expertin. Dass Rotthausen überhaupt in diese Diskussion geraten sei, werde dort sehr kritisch diskutiert. „Ein Geschäftsmann sagte mir, dass diese Diskussion für ihn sogar geschäftsschädigend sei“, berichtet der Oberbürgermeister. „Damit Angsträume abgebaut werden, ergreifen wir durchaus politische Mittel. Der Tossehof ist so ein Beispiel, bei dem das schon gelungen ist. Die Revitalisierung der Bochumer Straße wird bereits in Angriff genommen.“ Darin sieht Baranowski einen der „größten Brocken, die wir uns je vorgenommen haben.“ Doch wenn eine Heilig Kreuz-Kirche zum Veranstaltungsort geworden ist, der dreimal pro Woche 600 Leute anlockt, die dort an- und abreisen, dann werde sich das auch auf das Sicherheitsgefühl der Menschen auswirken.
Bleibt die Frage nach dem Auslöser der ganzen, großen Diskussion.

Zugriff auf Einsatzhunderschaft

„Ausgangspunkt war ein Schreiben, das ich im August letzten Jahres an den Innenminister gerichtet habe, in dem ich - aus Fürsorge für meine Mitarbeiter - gebeten habe, dass wir bei lageangepassten Einsätzen auf Kräfte der in Gelsenkirchen stationierten Einsatzhundertschaft zurückgreifen dürfen“, erklärt die Polizeipräsidentin. „Dieses Schreiben bezog sich aber auf die zunehmende Respektlosigkeit, der meine Beamten ausgesetzt sind.“
Gemeint sind Einsätze, bei denen sich Polizisten plötzlich 40 oder 50 Menschen gegenüber sehen, die sich alle mit dem einen, um den es den Polizisten geht, solidarisieren. „Um solche Situationen noch besser meistern zu können, ging es mir in meinem Schreiben. Damit dieses Verhalten gar nicht erst Usus wird“, führt Anne Heselhaus-Schröer aus und freut sich, dass ihrer Bitte inzwischen nachgekommen wurde. „Wir haben die Zusage vom Innenministerium, aber ich bitte um Verständnis, dass ich aus einsatztaktischen Gründen nicht verrate, in welchem Umfang.“
Zudem stockt das Land im Moment das Personal insgesamt auf. „Davon wird auch Gelsenkirchen profitieren“, bestätigt die Polizeipräsidentin. „Aber Gelsenkirchen steht da nicht im Mittelpunkt.“ Denn die Situation in der Stadt sei nicht leichter oder schwieriger als in vergleichbaren Großstädten.
„Eines der Probleme ist, dass zurzeit alle Themen vermischt werden. Nach der Silvesternacht in Köln wird das Thema Sicherheit anders diskutiert. Aber das heißt nicht, dass es unsicherer geworden ist“, führt Frank Baranowski aus und erntet ein Nicken der Polizeipräsidentin. „Es ist sehr wichtig, dass wir die jeweilige Lage klar definieren und dann angemessen reagieren. Mit Hysterie ist niemandem gedient - am wenigsten dem Bürger.“

Kurze Wege, schneller Austausch

Und zur Analyse der Lage gebe es einen engen Schulterschluss zwischen der Stadt und der Polizei. „Wir tauschen unsere Erkenntnisse aus, es gibt kurze Wege und das funktioniert“, bestätigt Baranowski, dem es wichtig ist, dass das Empfinden - auch das Sicherheitsgefühl - der Bürger absolut ernst genommen wird. „Wenn wir präventiv tätig werden können, dann tun wir das“, fügt Anne Heselhaus-Schröer hinzu und erinnert an die Präventionsräte, die in der ganzen Stadt zusammentreten.
Wie man die Respektlosigkeit den Beamten gegenüber - und es betrifft nicht nur Polizisten, sondern auch Rettungskräfte oder Lehrer - begegnen will, das schätzen beide als gesamtgesellschaftliches Problem ein. „Sicher macht es Sinn, noch mehr in Kindergärten und Schulen zu gehen“, denkt die Polizeipräsidentin. „Aber das alleine wird das Problem nicht lösen.“ Und Baranowski ergänzt: „Das hat auch etwas mit Erziehung zu tun und darum werden wir uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen, das sollte uns auch ein Stück Respekt zurück verschaffen. Denn Respektlosigkeit ist kein Kavaliersdelikt.“ Doch eine Wertekultur kann nicht allein durch Behörden geschaffen werden, sondern sie muss in den Familien gelebt werden. Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen durch Zuwanderer, Asylbewerber, Rechte-Parolen-Verbreiter... Schaffen wir das? „Eins steht fest: Es müssen jetzt ganz viele Menschen Haltung zeigen! Was vor der Silvesternacht in Köln rechtsradikal war, das ist es auch heute noch und keinesfalls akzeptabel“, wird der Oberbürgermeister deutlich. „Das sehe ich absolut genau so“, schließt sich die Polizeipräsidentin an. „Es ist auch klar, dass wir eine Gratwanderung hinbekommen müssen, zwischen Herausforderungen annehmen und Probleme nicht verschweigen“, führt Frank Baranowski aus. „Ob wir es schaffen, hängt auch damit zusammen, wie sich die Situation weltweit entwickelt. Wer will da eine Prognose wagen? Aber die Städte schaffen es nur, wenn sie Hilfe bekommen. Wenn zum Beispiel eine Stadt wie Gelsenkirchen, die eine enorme Süd-Ost-Zuwanderung erfährt, bei der Verteilung der Flüchtlinge genauso behandelt wird, wie eine, die keine Süd-Ost-Zuwanderung hat, dann kann das nicht richtig sein. Es gibt viele solcher Beispiele. Gelsenkirchen hat 100 internationale Förderklassen, das findet man nicht häufig. Und wenn solche Zahlen nicht berücksichtigt werden, nein, dann wird es schwierig.“ Doch an Lösungsansätzen arbeite man selbstverständlich. „Wir können zurzeit nur der aktuellen Lage angepasst achtsam, behutsam und angemessen agieren, das schaffen wir gut“, erklärt Anne Heselhaus-Schröer, die ebenfalls keine Prognose wagen möchte.

Der Artikel ist von Silke Heidenblut und Silke Sobotta

Mit der Ordnungspartnerschaft arbeitet man in Gelsenkirchen auch über Polizei und kommunalem Ordnungsdienst hinaus in einem guten Netzwerk miteinander. Foto: Gerd Kaemper
Die Behördenleiter sind sich einig, dass Pauschalisierungen nicht funktionieren. Sie setzen auf Differenzierung bei der Beurteilung von Sachlagen.  Foto: Gerd Kaemper
Autor:

Silke Heidenblut aus Essen

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