Die erste Frau an der Spitze der Stadt steht dem Stadtspiegel Rede und Antwort
OB Karin Welge im Sommerinterview

 Oberbürgermeisterin Karin Welge stellt sich den Problemen, die eine Stadt wie Gelsenkirchen hat. | Foto: Gerd Kaemper
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  • Oberbürgermeisterin Karin Welge stellt sich den Problemen, die eine Stadt wie Gelsenkirchen hat.
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Seit der letzten Kommunalwahl steht an der Spitze der Gelsenkirchener Verwaltung mit Karin Welge erstmals eine Frau als Oberbürgermeisterin. Nach 16 Jahren unter Oberbürgermeister Frank Baranowski, bedeutete ihre Wahl durchaus einen Einschnitt. Der Stadtspiegel sprach im Sommerinterview mit der Oberbürgermeisterin über ihre ersten Monate im Amt, ihre weiteren Ziele, Wünsche und Hoffnungen für ihre Stadt Gelsenkirchen.

Oberbürgermeisterin Karin Welge ist den Gelsenkirchenern seit vielen Jahren bekannt, sie war als Dezernentin für Arbeit, Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz, später als Kämmerin für die Stadtfinanzen zuständig und nun ist sie die Erste Bürgerin der Stadt, die sich dieser Verantwortung mit großem Einsatz stellt.

Stadtspiegel: Sie sind seit rund acht Monaten die Erste Bürgerin der Stadt und man hört immer wieder, dass man nicht genug von Ihnen hört bzw. sieht. Woran liegt das?
Oberbürgermeisterin Karin Welge: "Wir leben, auch wenn die Inzidenzzahlen uns derzeit etwas anderes vor machen, in einer Pandemie. Natürlich habe ich mir meinen Start in das Amt der Oberbürgermeisterin ganz anders vorgestellt. Ich hätte gern auf vielen Veranstaltungen die Bürger der Stadt, aber auch Ansprechpartner aus den verschiedenen Bereichen der Stadtgesellschaft getroffen. Doch das alles hat die Pandemie zunichte gemacht. Ich bin zwar inzwischen sehr erfahren mit Videokonferenzen, aber ich bin ein Mensch, der seinen Gesprächspartnern lieber direkt in Augen schaut und auch sehr gern spontan mit den Menschen ins Gespräch kommt.
Andererseits ist das Amt der Oberbürgermeisterin aus meiner Sicht auch mehr als nur in der Öffentlichkeit präsent zu sein, das gehört dazu, selbstverständlich, ist aber längst nicht alles. Es gibt im Hintergrund sehr viel zu tun, was es zu erledigen, anzufassen auch anzustoßen ist, wenn wir Gelsenkirchen voran bringen und in eine gute Zukunft führen wollen. Dass das kein ganz einfacher Weg ist und viele Baustellen auf der Strecke beseitigt und auch fertig gestellt werden müssen, ist klar, aber alles andere als ein Selbstläufer."

Können Sie ein Beispiel nennen für das, was Sie bisher bewegt haben, was Ihnen gelungen ist?
"Da gibt es gleich einige Dinge zu nennen: Gelsenkirchen hat nicht erst seit den letzten Monaten mit einer hohen Zuwanderung zu kämpfen, die noch dazu einer ständigen Fluktuation unterworfen ist, weil die Menschen, die auf der Suche nach besseren Verhältnissen als denen in ihrer Heimat, vielfach nicht auf Dauer hier bleiben und ohne weiteres integriert werden können. Sie wandern weiter, es kommen neue Neubürger und die Probleme im Zusammenleben der Stadtgesellschaft mit den Zuwanderern bleiben die gleichen. Das sieht für die Bürger aus, als würde Politik hier vor Ort nichts tun, dem ist aber nicht so. Die Rahmenbedingungen, gute Konzepte auf die ganze Stadt zu übertragen, sind suboptimal. Wir haben gerade erst in Ückendorf ein Pilotprojekt eingeleitet, das mitten im Quartier als Anlaufstelle für die Bürger und die Zugewanderten dienen soll. Das hilft den Gelsenkirchenern ihre Sorgen und Nöte kund zu tun, gemeinsam Probleme schneller anzugehen und den Neubürgern, die sich integrieren wollen, sich mit unserer Stadt mit Ihren Rechten, aber gerade auch Pflichten vertraut zu machen. Wir kontrollieren als Kooperation von Kommunalem Ordnungsdienst (KOD), Baubehörde und Wohnungsaufsicht, Arbeitsverwaltung, Polizei, Stromversorger und Sprachmittlern Immobilien, um zu verhindern, dass Menschen dort in unmenschlichen Verhältnissen leben müssen. Wir sind Vorreiter im Land darin Schrottimmobilien zu kaufen, abzureißen und neuen Wohnraum zu schaffen. Das Gelingen wird jedoch auch maßgeblich davon abhängen, wie es der Polizei und den Strafbehörden gelingt, gegen die organisierten Hintermänner vorzugehen.
Ein anderes Thema ist die Schulinfrastruktur. Wir hatten 30 Jahre lang keine Chance in die Schulen zu investieren, finanziell über die Maßen limitiert. Dabei rede ich nicht von der Digitalisierung, dabei sind wir auf einem guten Weg, sondern von den Gebäuden an sich. Die Berufskollegs haben erheblichen Erneuerungsbedarf, damit die engagierte Arbeit dort eine gute Zukunft hat. Daran werden wir arbeiten. Aber auch daran, die berufliche Entwicklung junger Menschen noch innovativer und nachhaltiger zu gestalten. Derzeit haben wir eine sehr gelungene Bewerbung laufen, um den neuen, großen Standort der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung zu werden mit einem sehr beachtlichen Investitionsvolumen. Das ist nicht nur ein Leuchtturmprojekt für die Stadt, sondern birgt die Chance, dass tausenden junge Polizei- und Verwaltungsanwärter von außerhalb täglich unsere Innenstadt frequentieren, sie kennen lernen und vielleicht zieht das Vorhaben als Impulsgeber auch weitere Ansiedlungen nach. Für unsere Kinder planen wir fünf Schulneubauten und zwar nicht irgendwelche, sondern Schulen mit Zukunftscharakter.
Gerade in Gelsenkirchen ist es wichtig, gute Bildungschancen für alle Kinder zu ermöglichen. Sie sind die Zukunft der Stadt und deren Potential. Gute Bildung und Ausbildungsinfrastruktur sind wesentlicher Baustein einer jeden Stadtentwicklung. Das liegt mir am Herzen und daran arbeite ich gern mit viel Einsatz.
Dann werden wir zeitnah mit der Umsetzung der erforderlichen Erneuerung der Bäderlandschaft beginnen.
Als Erfolg werte ich auch die Genehmigung des Haushaltssanierungsplans durch die Bezirksregierung Münster, das macht uns nicht nur handlungsfähig, sondern gibt uns die gute Chance, Dinge, die uns für die Stadt wichtig sind, selbst zu regeln und handlungsfähig zu bleiben in einer Zeit, in der die Erträge und Gewerbesteuern nicht ohne Weiteres fließen.
Wir nehmen ernst, dass das Ziel Gelsenkirchen bis 2050 klimaneutral sein soll erreichbar wird. Der Weg dorthin ist wahrlich nicht einfach, er muss aber bereits jetzt eingeschlagen werden und dazu muss eine Menge passieren. Nicht nur die Radfahrinfrastruktur in der Stadt muss verbessert und der Öffentliche Personennahverkehr angepasst werden, sondern wir setzen auf eine ökologische Transformation unserer industriellen Wirtschaft und des Mittelstands und auf Wasserstoffenergie, beileibe nicht nur bei den Autos. Letzteres bedeutet für Gelsenkirchen den Einstieg in eine Zukunftstechnologie, die Arbeitskräfte nicht nur schafft, sondern auch auf Dauer sichert. Das sind nur einige Themen, die im Hintergrund laufen, nicht immer von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, aber in den letzten Monaten angepackt worden sind."

In der Kulturszene ist es positiv zur Kenntnis genommen worden, dass Sie von sich aus das Gespräch mit den Kulturmachern gesucht haben. Warum war Ihnen das so wichtig?
"Gelsenkirchen ist eine Stadt mit einer breit gefächerten Kulturlandschaft. Diese hat wie viele andere Branchen unter der Pandemie gelitten, nur wird das oft nicht so wahr genommen. Darum war es mir wichtig, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, die hier am kulturellen Leben beteiligt sind. Ich war überrascht, wie viele der Kulturschaffenden die Chance nutzten und wie positiv sie diese Form des Austausches schätzten. Vor allem wurde dabei ganz klar deutlich, dass die Kulturszene nicht ans Aufgeben denkt, das zeichnet sie wie viele andere Gelsenkirchener aus, die lieber nach vorne blicken als zurück."

Sie haben bereits als Kämmerin oft die Stimme erhoben, um in Land und Bund auf die Bedürfnisse oder auch Nöte der Stadt Gelsenkirchen aufmerksam zu machen. Bleibt Ihnen dazu als Oberbürgermeisterin noch die Zeit?
"Ich bin eine Kämpfernatur und ich lasse mich nicht so schnell abwimmeln, nur weil mir jemand im ersten Gespräch etwas verwehrt. Da bin ich hartnäckig, weil es um meine Stadt geht. Das galt für mich als Kämmerin und das gilt noch mehr für mich als Oberbürgermeisterin. Darum habe ich gerade erst die Bundesregierung in die Pflicht genommen und erklärt, dass sie die durch gravierende Steuereinbrüche in Schieflage geratenen Kommunen nicht im Regen stehen lassen können. Gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag setze ich mich dafür ein, dass der Bund die Kommunen mit den Schuldenlasten nicht allein stehen lässt. Nach all den Jahren des Sparens, kann es nicht sein, dass wir jetzt die weitere Gestaltung des Wandels unserer Stadt, Investitionen in Bildung, Sicherheit und Ordnung oder die weitere Attraktivitätssteigerung unserer Innenstädte nicht mehr vorantreiben können."

Gibt es etwas, dass sie als besonders schwierig empfinden?
"Unsere rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen und die Zusammenhänge sind zunehmend so komplex und schwierig, dass teilweise Fachleute sie schon nicht mehr verstehen. Wie soll da der Bürger mitgehen können? Und am Ende steht dann auch noch sie ein oder andere ungerechte Einzelfallentscheidung im Raum, weil es Gerechtigkeit für alle Fälle eben nie gibt. Da müssen alle staatlichen Würdenträger und die Gesetzgeber aufpassen, dass wir die Bürger nicht an die Extremen, die zwar auch keine Lösung anbieten, aber so tun, als gäbe es eine, verlieren und engagiert gegen das weitere Auseinanderdriften der Gesellschaft arbeiten. Und wenn ich mich mit Menschen unterhalte, treffe ich öfter solche, die bei allem und jedem nur Schuldige und keine Lösungen suchen. Auch sie spalten die Gesellschaft und erschweren alle Prozesse. Da sind diejenigen erfrischend und aufbauend, die konstruktiv kritisieren und gute Vorschläge machen; sie stärken die Demokratie."

Was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft Gelsenkirchens?
"Dass es mir und der Verwaltung gelingt, die Gesellschaft, die durch viele verschiedene Faktoren, nicht zuletzt die Pandemie, auseinander zu driften droht, wieder zusammen zu bringen und zusammen halten zu können. Das Gelingen der Transformation der Wirtschaft hin zu neuen Industrien ist mir sehr wichtig, weil wir dadurch den Wandel gut gestalten können. Mehr Bildungsgerechtigkeit für jedes Kind in unserer Stadt, das dadurch einen Beitrag für die gelingende Zukunft dieser Stadt leisten kann, ist unverzichtbar. Und als Schalke-Mitglied ist es mir natürlich ein Herzenswunsch, dass die königsblauen Knappen bald wieder sportliche Erfolge feiern können und zwar vor Publikum im Stadion."

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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