"Mit Kindern Geld machen?" Nach Monitor-Bericht viele Fragen offen
„Aufklärung ist das Gebot der Stunde“ - das schickte Rechtsreferent Dr. Christopher Schmitt bei der Sondersitzung des Haupt- Finanz, Beteiligungs- und Personalausschusses vorweg. Und: „Wir können die Vorwürfe, die sich aus dem Monitor-Bericht ergeben, im Kern weder bestätigen noch widerlegen.“
Wie ein Lauffeuer breitete sich die Nachricht über die angeblichen Machenschaften im Gelsenkirchener Jugendamt nach dem Bericht des ARD-Magazins am Donnerstagabend bei der Mai-Kundgebung am Freitag aus.
Dreiecksverhältnis?
Der zentrale Vorwurf des Berichtes: Das Jugendamt Gelsenkirchen soll zielgerichtet dafür gesorgt haben, dass das Kinderheim St. Josef überbelegt wurde, damit andere Jugendliche aus anderen Heimen nach Ungarn - in eine von Gelsenkirchens Jugendamtsleiter Alfons Wissmann und seinem Stellvertreter Thomas Frings betriebene Einrichtung namens Neustart kft - geschickt werden können. Die Neustart kft, eine intensivpädagogische Einrichtung, kassierte für die Jugendlichen 5.500 Euro pro Monat. - Soweit der Bericht bei Monitor.
Fassungslos zeigte sich Oberbürgermeister Baranowski, der bereits am 1. Mai die beiden Mitarbeiter freistellte und bereits nach der Interview-Anfrage von „Monitor“ am 23. April alle Maßnahmen einleitete, die zur Aufklärung des Sachverhalts nötig sind. „Man darf aber nicht vergessen, dass sich der Monitor-Bericht auf Informanten, die damals ganz nah dran waren“, beruft“, gibt Baranowski zu bedenken. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, den Sachverhalt aufzuklären, aber wir sind eine Stadtverwaltung und keine Strafvollzugsbehörde, deren Mittel wir entsprechend auch nicht haben.“
Sachstand von Montagnachmittag
Der Sachstand am Montagnachmittag: Für die Geschäftsführung der Neustart kft reichte Alfons Wissmann im Dezember 2004 einen Antrag auf Nebentätigkeitsgenehmigung bei seinem Vorgesetzten Dr. Manfred Beck ein. Diesem wurde zunächst - ab 1. Januar 2005 - stattgegeben. Als auch Thomas Frings einen solchen Antrag stellte - bei seinem direkten Vorgesetzten Alfons Wissmann, der keine Bedenken hatte - hakte das Personalreferat nach, ob es in diesem Fall nicht doch eine Interessenkollision gebe? Oder sogar den der Vorteilsnahme? „Daraufhin wurden Gespräche geführt“, berichtet Personalreferatsleiter Theodor Wagner. An deren Ende sei keine Genehmigung für Nebentätigkeit an Thomas Frings ergangen und die Genehmigung für Wissmann wurde zum 1. April 2005 zurückgezogen, mit der Bitte, alle Tätigkeiten in diesem Bereich zu beenden.
Fest steht, dass keine Kinder aus Gelsenkirchen jemals in der Neustart kft untergebracht waren - überhaupt hat die Stadt Gelsenkirchen in den letzten zwölf Jahren nur sieben Jugendliche in intensiv-pädagogische Maßnahmen ins Ausland geschickt, davon keines nach Pecs in Ungarn zur Neustart kft. Wo die Jugendlichen, die dort untergebracht waren, herkamen, ist eine von den vielen Fragen, auf die es keine Antworten gab.
Landesjugendamt fand keine Unregelmäßigkeiten
Auch das Landesjugendamt hat geprüft und keine Unregelmäßigkeiten in Sachen Belegungszahlen bei der St. Augustinus GmbH, die das St. Josef-Kinderheim betreibt, im betreffenden Zeitraum (2004 bis 2009) gefunden. „Ich möchte ganz deutlich sagen, dass wir nichts festgestellt haben, was den Vorwurf der Überbelegung bestätigt“, erklärt Landesrat Hans Meyer.
Der Sondersitzung ging ein Dringlichkeitsantrag des Piraten Hansen voraus, der die Vorladung der beschuldigten Dienstkräfte des Jugendamtes wünschte. „Weil ich es immer besser finde, mit als über jemandem zu reden“, erkärte Hansen. Das hätte tatsächlich viele Fragen beantworten können, „sei aber auch aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht möglich“, wie Dr. Christopher Schmitt erklärte. Dafür gab‘s Verständnis und deshalb wurde dieser Antrag zu Beginn abgelehnt.
Fazit bei der Aussprache der Mitglieder des Ausschusses: „Es bleiben viele Fragen offen.“ Diese Erkenntnis war sogar parteiübergreifend. Und der Wunsch nach einem Untersuchungsausschuss, der auch schon vor der Sitzung laut wurde, über dessen Einsetzung aber nur der Rat der Stadt in seiner nächsten Sitzung entscheiden kann, blieb allgegenwärtig.
Image-Schaden ist enorm
Genauso wie die Erkenntnis, dass der Stadt Gelsenkirchen wohl kein materieller Schaden entstanden ist, wohl aber ein enormer Image-Schaden. Oberbürgermeister Frank Baranowski formulierte das so: „ Ich bin fassungslos, gepaart mit Wut. Unser guter Ruf in Sachen Bildung und Erziehung wurde an einem Tat stark beschädigt - das haben die Mitarbeiter nicht verdient.“
Kommentar:
Es gilt die Unschuldsvermutung: So unglücklich Alfons Wissmanns und Thomas Frings‘ Beziehung zur Neustart kft in Ungarn auch sein mag, bevor jemand verurteilt wird, gilt er als unschuldig.
Die Freistellung und die öffentliche Nennung ihrer Personen ist eine Bürde, die die beiden jetzt ertragen müssen. Im besten Fall haben sie mit ihrer Einrichtung in Ungarn ein intensiv-pädagogisches Konzept gestaltet, das vielleicht vielen Jugendlichen im Leben weitergeholfen hat. Vielleicht stimmen aber auch die Vorwürfe von „Monitor“, die ja „Informanten haben, die ganz nah dran“ sind...
Das zu beurteilen, ist auch nach der Sondersitzung des Haupt-, Finanz-, Beteiligungs- und Personalausschusses am Montag nicht möglich. Die Fakten, die die Stadt vorlegen konnte, legen nahe, dass die Verwaltung in keinerlei Geschäfte mit der Firma in Ungarn verwickelt war. Das ist zwar irgendwie schön, doch es bleibt der Image-Verlust, den Oberbürgermeister und zuständiger Dezernent bereits beklagt haben. Schließlich ist die Stadt Gelsenkirchen für ihre Konzepte rund um das Motto „Kein Kind zurücklassen“ vielfach ausgezeichnet. Dass ein einziger Bericht in einem Magazin die Arbeit der vielen guten Mitarbeiter zunichte macht, darf einfach nicht sein.
Die Erziehungs- und Bildungspolitik unserer Stadt ist beispielhaft, wird an vielen anderen Orten kopiert - und das ist auch ein Verdienst von Alfons Wissmann, das sollte man bei allen Verdachtsmomenten nicht vergessen.
Autor:Silke Heidenblut aus Essen |
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