„Mich hat überzeugt, dass es mich überzeugt hat“
„Mein silberner E-Scooter parkt 150 Höhenmeter tiefer, am Fuß des Energiebergs Scholven mit den Solarfeldern an den Hängen und einem Windpark auf der Kuppe. Zwar sind 204 Meter über dem Meeresspiegel keine alpinen Dimensionen – aber von keinem anderen Ort der Umgebung hat man so einen guten Überblick über diese Region, in der vor 40 Jahren die Energiewende mit einem Übergang zur CO2-freien Industrie begann. Ausgerechnet hier, an einem Ort, dessen Landschaft einst von Kohle und Stahl geprägt wurde.“
Von Silke Sobotta
GE. Was sich hier liest wie der Prolog eines Sciencefiction-Romans, ist tatsächlich der Prolog zur gemeinsamen Bewerbung der Städte Gelsenkirchen und Herten zur InnovationCity Ruhr. Natürlich spielt der Prolog im Jahr 2050, aber er steht auch unter der Überschrift „Jede Gegenwart hat als Zukunft angefangen“ und genau diese Zukunft könnte ab Morgen, 4. November, in Gelsenkirchen_Herten beginnen, wenn sie von der Jury zur InnovationCity gekürt würden.
In der vergangenen Woche haben die Stadträte aus Herten und Gelsenkirchen sich in der Lukaskirche in Hassel, also mitten im „Laborgebiet“ der möglichen InnovationCity Gelsenkirchen_Herten zu einer gemeinsamen Sitzung getroffen und einstimmig dem Projekt zugestimmt. Am heutigen Mittwoch (3.) tagt in Essen die Jury und entscheidet, welche der fünf Städte, die ins „Finale“gekommen sind, zur InnovationCity gekürt wird. Ihre Entscheidung wird am Donnerstag (4.) auf Zeche Zollverein in Essen bekannt gegeben, und natürlich fiebern neben Gelsenkirchen_Herten auch Bochum, Bottrop, Essen und Mülheim an der Ruhr der Prämierung entgegen.
Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski und Hertens Bürgermeister Dr. Uli Paetzel geben sich auf jeden Fall zuversichtlich und auch ein wenig kampflustig.
„In den letzten Tagen war viel zu lesen über Seitenzahlen, Schriftgrößen und -typen. Aber eigentlich sollte man sich doch lieber mit unserer Bewerbung und unserer Idee beschäftigen. Zumal wir auch heute noch die einzige Kommune sind, die eine öffentlich zugängliche Bewerbung vorgelegt hat“, erinnerte Baranowski. „Wir sind überzeugt, dass wir eine gute Bewerbung vorgelegt haben. Außerdem zeigt unsere Vergangenheit, dass unsere beiden Städte etwas von Energie verstehen. Und wir sprengen tatsächlich Grenzen, das ist nicht nur ein netter Slogan. Denn die Herausforderungen unserer Zeit machen nicht Halt an den Stadtgrenzen. Darum enden auch Konzepte wie dieses nicht an Stadtgrenzen, und unser Konzept zeigt damit Mut, weil es eine wichtige Botschaft ist.“
Ebenso deutlich erklärt sich auch Dr. Uli Paetzel: „Wir haben mit unserer Bewerbung eine Ideensammlung vorgelegt, die deutlich macht, dass es sich um mehr als nur lose Ideen handelt. Dabei sind wir uns sicher, dass gemeinsam mit den Bürgern unserer beiden Städte viel Großes geschaffen werden kann. Hinzu kommt, dass wir aber auch neben der Verwaltung und den Stadträten auch echte Fachleute mit ins Boot geholt haben. Darum könnte man bei uns wirklich von der Mitmach-Stadt Gelsenkirchen_Herten reden.“
Und ganz besonders stellte Dr. Paetzel heraus, wozu die Städtegemeinschaft im Falle des Zuschlags fähig wäre: „Wenn wir am 4. November auserkoren werden, dann können wir direkt loslegen. Und das meine ich so, denn wir können das.“
Dabei vereint das Areal, das zur InnovationCity werden könnte, vielerlei Strukturen, wie Gelsenkirchens Stadtbaurat Michael von der Mühlen erläuterte. „Ein rein technisches - um nicht zu sagen technokratisches - Konzept von Modernisierung für die bestehenden Siedlungen und eine aus Sicht der Grundeigentümer optimale Verwertung brachliegender Flächen bietet keine Perspektive für den Umgang mit brachgefallenen Industrieflächen und Relikten von alten Industrieanlagen.“
Darum geht die Bewerbung von Gelsenkirchen_Herten in Richtung der Prinzipien der IBA-Emscherpark, bei der „funktionslos gewordenes Vorgefundene integriert wurde in eine neue Landschaft mit einer ortstypischen urbanen Struktur, die gleichwohl Pilotcharakter für andere Regionen besitzt. Sie ist also einerseits unverwechselbar, bietet sich aber auch als übertragbares Modell an.“ So könnte aus dem Schacht der ehemaligen Zeche Westerholt der „Nukleus“, das Zentrum für neue Energien werden.
Von der Mühlen skizzierte auch, warum gerade diese Bewerbung nachvollziehbar ist: „Glaubwürdig ist dieses Konzept, weil viele wichtige Partner aus Wirtschaft und Forschung mit konkreten Projekten diesen Weg einleiten wollen. Glaubwürdig ist dieses Konzept, weil in Hassel und Westerholt das Gespräch mit den Bewohnern seit vielen Jahren geführt wird und die Bereitschaft der Menschen zur aktiven Mitwirkung groß ist.“
Hertens Stadtbaurat Volker Lindner erinnerte daran, dass „eine Pilotstadt im Ruhrgebiet gesucht wird, um zu zeigen, wie Energien eingespart werden können. Wir wollen mit unserer Bewerbung beweisen, dass die Kompetenzen vorhanden sind, um die Laborfunktion zu erfüllen. Und zwar die des Labors für erneuerbare Energien mit deren Hilfe bis 2020 50% des CO2 reduziert werden können. Ein Labor also für intelligente Energiegewinnung.“
Lindner verwies auch auf die Unternehmen aus der Wirtschaft, die schon lange auf der Suche nach einem solchen Pilotprojekt sind und sofort bereit wären, Gelsenkirchen_Herten bei der Durchführung zu unterstützen.
Er schilderte, dass die gewählte Region ziemlich genau ein Tausendstel der Fläche der Bundesrepublik Deutschland ausmacht und genau darum beispielhaft wäre für die gesamte Republik. Und wie schon der eingangs zitierte Prolog deutlich macht, wird mit der „Bewerbung weit über das angestrebte Ziel 2020 hinaus gedacht. So könnte wie im Prolog im Jahr 2050 die vollständige Versorgung mit neuen Energien und ohne CO2 möglich sein.“ Abschließend erklärte er: „Wir sind die InnovationCity!“
„Dieses Konzept erreicht, was wenige erreichen: es steckt an“, erklärte Prof. Dr. Bernd Kriegesmann, Präsident der Fachhochschule Gelsenkirchen. Und der weiß wovon er redet, denn er war erst kürzlich Mitglied der Jury zum Bundeswettbewerb „Energieeffiziente Stadt“.
Kriegesmann lobte den Prolog zur Bewerbung, der die Leser mitnimmt auf eine Reise, die nicht den „Atem hat, dass alles schwierig wird. Sondern Schwächen zu Stärken macht und einfach klarstellt: wir packen an.“
Der mit dem Ruhrgebiet bestens vertraute Professor war sich auch sicher, dass das Miteinander der beiden Städte ein klarer Vorteil ist: „Hier gibt es zwei Stadträte, die miteinander reden. Das ist prima. Denn übereinander reden geht gut im Ruhrgebiet, miteinander nicht so sehr.“
Der Professor lobte, dass durch die Projektidee dezentrale Kräfte aktiviert werden und eingeladen sind, um Mitzugehen auf der Allee des Wandels in der zukünftigen InnovationCity. Kriegesmann betonte: „Mich hat überzeugt, dass es mich überzeugt hat.“ Besser hätte er sein Lob nicht ausdrücken können.
Im Rahmen der gemeinsamen Ratssitzung gab es ein weiteres „Highlight“, denn die Fraktionsvorsitzenden der SPD in den beiden Stadträten, Carsten Loecker für Herten und Dr. Klaus Haertel, traten gemeinsam ans Mikrofon. Dr. Haertel erklärte: „Wir sind gut aufgestellt, und wir haben Visionen. In den beiden Städten gibt es keinen Stillstand, sondern auf allen Ebenen Kreativität und Entwicklungspotenziale, und das unter Einbeziehung der Menschen und Initiativen vor Ort. ...Wir können zu Recht stolz sein, über die überbordende Ideenvielfalt, über das kreative Potential in beiden Städten. Dies macht zweierlei deutlich: Unsere gemeinsame Bewerbung braucht sich hinter nichts und niemandem zu verstecken“.
Carsten Loecker machte deutlich: „Wir wollen InnovationCity werden. Da können sich die anderen Städte eine Scheibe von abschneiden, wie man hier im Ruhrgebiet sagt.“
Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Gelsenkirchener Stadtrat, Werner Wöll, schilderte: „Es ist noch einmal wichtig, diese Gemeinsamkeit über alle Parteigrenzen hinweg der Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch der Jury ...von dieser Stelle aus deutlich zu machen. Wir finden die Idee für den Städtewettbewerb um eine Modellstadt hervorragend. Und da stehen wir nicht allein da, wie die Unterstützung zahlreicher Persönlichkeiten und namhafter Unternehmen deutlich macht.“
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gelsenkirchener Stadtrat Irene Mihalic freute sich darüber, dass sich in der Bewerbung „so viele grüne Forderungen wiederfinden.“ Sie sieht die Idee als gut an, um die Energiewende so schnell wie möglich zu erreichen.
Viele FDP-Ziele sieht Susanne Schaperdot als Fraktionsvorsitzende der Gelsenkrichener FDP in der Bewerbung als Ziele verwirklicht.
„Dass das Kirchturmdenken zur Vergangenheit gehört“, stellte Reinhold Adam für die Ratsfraktion der Linken fest. Er sieht die Bewerbung als einen Beitrag zu einer erfolgreich gestalteten Zukunft an.
„Gelsenkirchen_Herten als Zukunftsstadt, das ist ein faszinierender Gedanke. Und auch wenn es damit nur eine winzige grüne Insel im weiten Meer würde, wäre es ein Zeichen für Gemeinsamkeit und mehr Lebensqualiät für alle. Viel Erfolg der kleinen grünen Insel“, wünschte Monika Gärtner-Engel für AUF Gelsenkirchen.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.