Ist der Gelsenkirchener Appell nur das Winken eines Hilfesuchenden?
Denn so wird in der Linguistik und in der Psychologie der Appell beschrieben: „Ein nonverbaler Appell, der situativ eindeutig wirkt, kann z. B. das Winken eines Hilfesuchenden mit dem Arm sein.“
Hervorzuheben wäre das Wort „nonverbal“, denn so wirklich verbalisiert wurde bisher beim Gelsenkirchener Appel nicht viel. Unsere Recherchen von der Initiative „Stellen anzeigen“ brachten uns nicht weiter, so dass wir einen öffentlichen Aufruf an die Unterstützer gestartet haben, uns ein paar Fragen zu beantworten. Man merkt, es ist Wahlkampf, denn nur eine Partei war mutig genug, uns zu antworten. Dazu aber später. Zunächst die Frage, was ist der Gelsenkirchener Appell? Auf der Internetseite des Integrationscenters für Arbeit (IAG), das Gelsenkirchener Jobcenter, und auch auf der Gelsenkirchener Internetseite findet man folgenden Zweiseiter: Gelsenkirchener Appell. Hervorzuheben wäre folgender Satz:
„Auch die Sozialpartner wachen mit dem Integrationscenter für Arbeit Gelsenkirchen (IAG) darüber, dass die Verabredungen des Gelsenkirchener Appells eingehalten werden und ein Entgelt analog der Bürgerarbeit gezahlt wird.“
Um welche Verabredungen geht es denn? Mag es sich bei den Verabredungen um Folgendes handeln, was auf der Seite desJobcenters Gelsenkirchen zu finden ist?
"Im Gelsenkirchener Appell werden Bund und Land von einem breiten lokalen Bündnis aus Politik, Stadt, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Gewerkschaften aufgefordert, sich an der Finanzierung von bis zu 1000 Arbeitsplätzen für Hartz IV-Empfänger in Gelsenkirchen zu beteiligen. Der Gelsenkirchener Appell wurde durch den Sozialausschuss der Stadt Gelsenkirchen in einer Sondersitzung am 05.07.2012 vorgestellt.“
Recherchiert man ein wenig im Ratsinformations-System, so lässt sich die Beschlussvorlage an dieser Stelle finden. (Sitzungsdatum 5.7.12 – Ausschuss für Soziales und Arbeit) Dieser wurde mit einer Enthaltung zugestimmt, wie man dem entsprechendem Protokoll entnehmen kann: Niederschrift vom 5.7.2012 ( https://ratsinfo.gelsenkirchen.de/ratsinfo/gelsenkirchen/2702/b2VmZmVudGxpY2hlc19Qcm90b2tvbGxfRG9rdW1lbnQ=/9/n/49766.doc)
„Was seit dem geschah“, so könnte das Märchen vom Gelsenkirchener Appell vielleicht beschreiben werden. Denn in der Öffentlichkeit wird seit dem nunmehr bestätigt, dass dieser Appell gut sei. Alle finden ihn toll. Nur bleibt die Frage: WAS ist denn so toll? Mit dieser Beschlussvorlage sollte Frau von der Leyen, zu dieser Zeit Arbeitsministerin der Bundesrepublik Deutschland, davon überzeugt werden, Fördergelder in dieses Projekt zu investieren. Mal im Ernst liebe Leser, habt Ihr schon ein mal versucht bei einer Bank einen Kredit zu erhalten nur mit dem Aufruf: „Ich brauche Geld“? In der Regel sollte sich schon ein Konzept hinter einem Kredit oder einer Förderung aufbauen. Somit ist es nicht zu verdenken, dass Frau von der Leyen, diese Anfrage ablehnte. Auf der Seite der Stadt Gelsenkirchen ist zu lesen:
„Deshalb ging der Gelsenkirchener Appell – getragen von der Verwaltung, von den demokratischen Parteien SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, BBG und FDP, Gewerkschaften, der katholischen wie evangelischen Kirche und der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, den Sozialverbänden AWO, Diakonisches Werk, Paritätischer Wohlfahrtsverband und Caritas, Agentur für Arbeit und Jobcenter – im Frühsommer 2012 nach Berlin und Düsseldorf, damit sich Land und Bund an den Kosten beteiligten. Bisher gab es allerdings keine positiven, sondern lediglich ablehnende Rückmeldungen.“
Die Initiative „Stellen anzeigen“ ist somit noch die Antwort schuldig, was denn die Rückmeldungen zum Aufruf an die Unterstützer ergeben haben.
IAG
Herr Lipka, Geschäftsführer des Jobcenters in Gelsenkirchen, antwortete, dass die Fragen an die Arbeitsgemeinschaft Wohlfahrt weitergeleitet wurde. Nachdem wir durch unsere Recherche ein wenig schlauer geworden sind und die entsprechende Beschlussvorlage zum Gelsenkirchener Appell kennen, ist auch genau hier unser Fragenkatalog richtig angesiedelt.
„Der Ausschuss hat sich darauf verständigt, dass die Koordination und Federführung für den „Gelsenkirchener Appell“ bei der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege liegt.“
Und die folgenden Antworten bestätigen eigentlich das, was wir bereits vermuteten.
AWO-Gelsenkirchen:
„Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, wurde der Beschluss einen Gelsenkirchener Appell zu verfassen in einer Sozialausschusssitzung der Stadt Gelsenkirchen im Frühjahr 2013 gefasst. Der Beschluss erfolgte mit breiter Mehrheit unter Einbezug u.a. des IAGs und der Gelsenkirchener Wohlfahrtsverbände.
Über die Ergebnisse und den aktuellen Stand der Umsetzung wurde jeweils im öffentlichen Teil des Sozialausschusses berichtet. Darüer hinaus kann ich Ihre sehr detaillierten Fragen bzgl. der Umsetzung leider nicht beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Gudrun Wischnewski Geschäftsführerin“
Caritas-Gelsenkirchen:
Wir hatten Ihr Anliegen in der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände besprochen. Die Antwort von Frau Wischnewski als Sprecherin der AG Wohlfahrt entspricht unserer Einschätzung. Ich danke Ihnen für Ihre Nachfrage.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Spannenkrebs Vorstand/Caritasdirektor
Keiner weiß von nichts. So ungefähr stellt sich der Gelsenkirchener Appell auch in der Presse dar. Aber alle finden ihn gut. Und genau das erinnert an den Slogan: „Sozial ist, was Arbeit schafft“. Auf der Internetseite „Politische Unklarheiten“ wird die Herkunft dieses Begriffes und auch die Verwendung in der Neuzeit näher erläutert.
„Vielmehr ist es das Ziel dieser Leute den Begriff “Sozial” zu verändern. Es geht um die Deutungshoheit über einen zentralen Begriff der linken Parteien. Denn CSU, CDU und FDP (und natürlich die Wirtschaft) sind nun einmal nach alter Definition nicht besonders sozial. Mit Hilfe dieser Umdeutung von Begriffen wollen sie gegenüber den Wählern vermitteln, dass sie “sozial” sind, weil sie Arbeitsplätze schaffen. Das ist aber bei weitem nicht das gleiche. “ (…) „Ihre Politik zielt darauf ab, die Lohnkosten zu senken und Arbeitnehmerrechte zu schwächen. Sie wollen die Menschen in Notsituationen zwingen, jede Arbeit annehmen zu müssen, damit die Wirtschaft ihre Gewinne maximieren kann.“
Und alle finden diesen Appell so toll, nur weil das Wort „Sozial“ damit verbunden wird? Es ist äußerste Vorsicht geboten.
Stadt Gelsenkirchen
Von der Stadt Gelsenkirchen erhielten wir ein Schreiben mit folgendem Text:
„Die Unterstützung des „Gelsenkirchener Appell“ durch die Stadtgesellschaft zeigt sich auch darin, dass Koordination und Federführung bei der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege liegt.“
Da haben wir es wieder. Wir wissen, hier ist noch nichts weiter passiert. Und dann kommt es:
„Ich bitte um Ihr Verständnis, dass ich zurzeit nicht auf Ihre teilweise auf das zukünftige operative Geschäft gezielte Fragen eingehen kann.“
Basta! So reagieren eigentlich Menschen, die sich mit einem Thema überfordert fühlen. Basta! “Fragen Sie bloß nicht weiter”. Unangenehme Situation. “Ich weiß doch auch nicht”. “Aber ich muss mein Gesicht wahren”. Klar kann nicht auf unsere gezielten Fragen eingegangen werden, da wir wissen, es gibt keine Inhalte.
Zu den Parteien. Im Lokalkompass ließ Ingrid Remmers von den LINKEN die BürgerInnen wissen, dass auch ihre Partei den Gelsenkirchener Appell unterstützen würde. Leider ist diese Partei im Aufruf als Unterstützer nirgendwo zu finden. Das lässt uns stutzig werden. Wir baten DIE LINKE, doch bitte auch auf unser öffentliches Rundschreiben zu antworten. Der Wille war da, die Antworten bleiben aus. Das ist wirklich sehr schade. So hätte diese Partei, welche regelmäßig (auch zu recht) behauptet, in den Medien kaum bis keine Unterstützung zu finden, eine Möglichkeit gehabt, wieder in die Öffentlichkeit zu kommen.
A propos Öffentlichkeit: Natürlich wurde unser Engagement und auch die Pressemitteilung von „Stellen anzeigen“ von der Lokalpresse ignoriert. Natürlich ist die Presse in dem, was sie veröffentlichen frei. Nur bleibt der Beigeschmack, wieso in dieser Sache nur einseitig berichtet wird. Unsere Nachfragen habe ergeben, dass es wichtig ist, konkreter zu werden. Ebenso wichtig ist es, die BürgerInnen in dieser Angelegenheit zu emanzipieren, sie richtig zu informieren, damit auch sie sich ein Bild vom Gelsenkirchener Appell machen können. Wenn es schon um die BürgerInnen geht, sollen sie wenigstens die Möglichkeit erhalten, mitgenommen zu werden. Ohne eine kritische Auseinandersetzung wird der Gelsenkircher Appell nicht für alle Beteiligten zur Zufriedenheit gestaltet werden können.
Die SPD schweigt. Auch wenn Herr Dr. Pruin in derWAZ sagt:
„Es geht nicht um theoretische Modelle, sondern es wurde von den beteiligten Trägern und der Stadtverwaltung konkret durchgerechnet, wie in verschiedenen Projekten kurzfristig bis zu 230 tarifliche Arbeitsplätze im sozialen Bereich eingerichtet werden können“
Auf die Beantwortung unserer Fragen war die SPD wohl nicht vorbereitet. So ist gerade der Gelsenkirchener Appell von dieser Partei wieder in Richtung Wahlkampf geschickt worden.
Herr Wittke von der CDU sieht das ähnlich. Wobei dieser Absatz doch eher wie ein Kindergarten klingt, als dass man gemeinsam die Arbeits- bzw. Einkommenssituation von Langzeitarbeitslosen bewältigen möchte:
„Der gekünzelten Aufregung von SPD-Leuten, wie Fraktionschef Härtel, kann man vor allem ein Gutes abgewinnen: nachdem die SPD versucht hat, den ‚Gelsenkirchener Appell‘ im Bundestagswahlkampf für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, wird endlich klar, dass die Initiative von der CDU, nämlich von Wolfgang Heinberg, ausging.“
Man könnte beinahe sagen, dass die Falken den Vogel abgeschossen haben. Denn in der WAZ lässt Sebastian Kolkau verlauten:
„Wer den Gelsenkirchener Appell ablehnt, missachtet die Probleme der Bürgerinnen und Bürger in Gelsenkirchen“, kommentiert Sebastian Kolkau, Vorsitzender des Falken Unterbezirk, das Jugendwahlprogramm der JU.“
Nun verweisen wir noch mal auf den Abschnitt, in dem wir darauf eingehen, wie der Begriff „Sozial“ im Begriff ist, umgestaltet zu werden und dass gerade in diesen Zeiten oberste Vorsicht geboten ist, unausgereiften Modellen hinterherzujubeln. Auf der Facebookseite von Sebastian Kolkau wurde er gebeten, auf unseren Fragenkatalog zu reagieren. Es ist bedauerlich, dass auch hier keine Reaktion erfolgte.
Bündnis «90/DIE Grünen, FDP, CDU, SPD, Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen, DGB – diese Unterstützer haben wohl ebenfalls keine Antworten auf unsere Fragen, denn auch sie schweigen.
Alleine Herr Dieter Heisig vom evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid hat sich konkret die Mühe gemacht und ist auf unsere Fragen eingegangen. Hier und da gibt es natürlich Gesprächsbedarf, weil die Fragen so theoretisch nicht beantwortet werden können. Aber diese außerordentlich freundliche und inhaltsvolle Rückmeldung war bei diesem Thema einfach mal menschlich, sozial und hilfreich. Die Antworten waren ebenfalls dahingehend, dass die Fragen als Solche nicht so einfach beantwortet werden können aber sie waren dynamisch.
Das Bürgerbündnis ist die einzige Partei, welche sich bei uns gemeldet hat.
„Aus meiner Sicht können die Beteiligten des Gelsenkirchener Appell eigentlich nicht jeder einzelne deine Fragen beantworten. Deine Fragen müssten in den Ausschuss für Arbeit und Soziales, als Anfrage eingebracht werden. Dort sind alle Beteiligten des Appell vertreten und du würdest dann eine gemeinsame Antwort auf deine Fragen bekommen.
Gruß
Ralf Herrmann”
“Ich kann mich nicht dran erinnern dass ein Konzept ausgearbeitet wurde.“ Das ist doch mal eine klare Aussage. Die Frage nach dem Konzept wurde somit beantwortet. Und nun sind wir wieder bei der Situation mit der Bank und dem Kredit. Und ja, schaut man in das Ratsinformationssystem der Stadt Gelsenkirchen und recherchiert, wer denn alles im Ausschuss für Arbeit und Soziales sitzt (ob als Mitglied oder Beirat), wird klar: Es sind die Unterstützer. Das sogenannte „Breite Bündnis“. Wird dem Bürger in Gelsenkirchen noch suggeriert, dass der Gelsenkirchener Appel von außen unterstützt wird, so sitzen sie alle am gemeinsamen Tisch und wirken politisch ein. Wobei dies derzeit noch nicht so ganz der Fall ist, da es sich nur um ein Winken handelt.
Das wäre nun die Chance der Bürger und Bürgerinnen zu sagen: „Hey wir machen mit und haben Ideen.“ Es steht nur zu befürchten, dass hier die Ängste zu groß sind, in irgendeiner Form aus dem Schatten von Hartz IV auszutreten. Denn Langzeitarbeitslose haben zu viel erlebt, was Unsicherheiten schafft. Hier kommt die Psychologie ins Spiel. Wenn es um die Verwaltung von Arbeitslosen geht, wird nicht berücksichtigt, mit welchen Erfahrungen und Ängsten diese Menschen leben müssen. Es hat einen Grund, wieso Menschen nicht wissen, was sie tun wollen, wenn sie denn frei entscheiden könnten. Und hier muss man ran. Wir müssen als Gesellschaft und als verantwortungsbewusste Mitmenschen dafür Sorge tragen, dass dieses erdrückende Hartz IV sanktionsfrei wird und die Menschen beginnen, sich mit ihren Fähigkeiten und Neigungen zu entwickeln und dem Arbeitsmarkt präsentieren zu können. Wir müssen beginnen, die Arbeit als Solche anders zu definieren. Wenn Arbeit schon nicht mehr bezahlt werden kann oder will, bleibt doch nur die Alternative, das Geld abzuschaffen. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs und damit werden auch wieder Chancen frei. Lasst uns das Thema „Arbeit“ neu gestalten und nicht wieder einen Flickenteppich aufreißen, wo er zuvor schon mal gestopft wurde.
Wenn der Gelsenkirchener Appell ernsthaft gestaltet werden soll, dann müssen alle Beteiligten eine Chance erhalten, daran zu partizipieren. Wir sind sicher, dass mit einem guten Konzept die Geldgeber überzeugt werden können. Aber die BürgerInnen müssen mitgenommen werden. Das bedeutet Mühe und viel Arbeit. Es geht um die Arbeitskraft und das Geld der Gemeinschaft.
Autor:Sandra Stoffers aus Recklinghausen |
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