Gelsenkirchen - Die vernetzte Stadt
Freunde des schönsten Opernhauses im Revier wissen, dass vor dem eigentlichen Bühnengeschehen die Durchsage kommt: „Bitte schalten Sie Ihre Mobiltelefone aus.“ Beim Neujahrsempfang der Stadt Gelsenkirchen stand mit Joachim Maaß die Stimme aus dem Off höchstpersönlich auf der Bühne und bat: „Bitte nutzen Sie Ihr Handy und twittern Sie!“
Das Motto "Vernetzte Stadt" war Programm
Spätestens an dieser Stelle war allen Besuchern klar, dass das Motto des diesjährigen Neujahrsempfangs „Gelsenkirchen - Die vernetzte Stadt“ auch Programm war. Denn schon zur Begrüßung hatten sie Gelegenheit, sich auf dem Weg zum Foyer noch einmal die Vergangenheit vor Augen zu führen, ehe sie im Foyer auch die Neuzeit empfing.
Dazu war ein Twitter-Team vor Ort das aus Studenten der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen bestand und den Gästen mit Hilfe und Unterstützung beim Twittern zur Seite stand. Auf einer Leinwand konnte sich das Publikum über die neuesten Tweets auf dem Laufenden halten und sich auch amüsieren.
Aber wie Moderator Matthias Bongard gleich zu Beginn feststellte: „Gelsenkirchen ist nicht nur eine digitale Stadt, sondern auch eine weltoffene. Denn sie hat einen Dortmunder als Moderator zu ihrem Neujahrsempfang geholt.“ Allerdings sollte sich keiner der Besucher durch den blauen Anzug des Moderators täuschen lassen, der fröhlich erzählte, dass ihn Clemens Tönnies kürzlich freudig begrüßte mit den Worten: „Ich bin glücklich, dass Sie mit Ihrem Anzug Farbe bekennen.“ Weniger glücklich war der Schalke-Aufsichtsratsvorsitzende allerdings, als Bongard seine schwarz-gelbe Armbanduhr aus der Anzugjacke zog.
Alexa mit Vorführeffekt verweigerte die Kommunikation
Zum Zeichen der Digitalisierung unserer Stadt gab es aber nicht nur die Einladung zum Twittern und vielerlei Accessoires, die die gute alte und die digitale neue Zeit vor Augen führten, sondern auf der Bühne auch mit der berühmten „Alexa“ einen ganz besonderen Gast. Nur leider wollte die „Dame in der Blechbüchse“ nicht mit dem Moderator kommunizieren und wiederholte ziemlich eintönig: „Ich kann Sie nicht verstehen“. Für ein paar Lacher sorgte sie trotzdem.
Ein Film von "zeitlupe" zeigte das vernetzte Gelsenkirchen
Ein Film des Gelsenkircheners Frank Bürgin zeigte den Gästen, wie weit die Digitalisierung in der Stadt bereits fortgeschritten ist. Da gibt es intelligente Straßenlaternen, schnelleres Internet durch ein großes Glasfasernetz, Whiteboards in allen Schulen, vernetzte Schulen, denen auch bald schon die Kindertageseinrichtungen folgen sollen, freies W-Lan in den Zentren, Open Data und vieles mehr.
Der OB spricht von einer revolutionären Veränderung
In seiner Begrüßung widmete sich natürlich auch Oberbürgermeister Frank Baranowski dem Thema: „Mit der Digitalisierung vollzieht sich in der Tat ein großer Wandel. Wir sind Zeugen einer Veränderung, die revolutionär ist, die man in ihrer Bedeutung vergleichen kann mit der industriellen Revolution des Kohle- und Stahlzeitalters. In einer solchen Situation einmal innezuhalten und sich darüber zu verständigen, welchen Einfluss das auf unser Leben und auf unsere Stadt haben kann und soll – ich meine: Das kann nicht ganz falsch sein.“
Das Stadtoberhaupt erinnerte daran, dass dank der Stadttochter Gelsennet, die das Glasfaser-Netz in Gelsenkirchen zügig und entschlossen ausgebaut hat, die meisten Gelsenkirchener über einen Zugang zu schnellem Internet verfügen. Und mit Stolz verkündete Baranowski: „Keine zweite Stadt im Ruhrgebiet hat eine solche Infrastruktur. Überhaupt haben bislang nur sehr, sehr wenige Großstädte in Deutschland einen vergleichbaren Glasfaser-Ausbau hingelegt, von den kleineren Städten kaum eine... Wir haben in Gelsenkirchen aufs Gaspedal gedrückt, weil wir von Anfang an vorn dabei sein wollen. Weil für mich eines ganz klar ist: Gelsenkirchen mag eine Stadt mit strukturellen Problemen sein, mit strukturwandelbedingten Problemen – aber gerade deshalb darf unsere Stadt keine Stadt mit schwacher Infrastruktur sein! “
Gelsenkirchen ist gerade erst Digitale Modellstadt geworden
Und das scheint auch die Landesregierung wahrgenommen zu haben. Denn wie der Oberbürgermeister weiter ausführte: „Deshalb passt es ganz wunderbar, dass vor einer Woche Gelsenkirchen offiziell vom NRW-Wirtschafts- und Digitalisierungsminister zur „Digitalen Modellstadt“ in Nordrhein-Westfalen erklärt wurde. Bei uns und in vier anderen Kommunen werden in den nächsten drei Jahren Blaupausen entwickelt, die dann auf ganz NRW übertragen werden sollen. 91 Millionen Euro stellt das Land den Modellkommunen zur Verfügung. Gelsenkirchen soll die Stadt werden, in der als erste der neue Mobilfunkstandard der fünften Generation angewendet wird. Dieser superschnelle Mobilfunkstandard wird das Rückgrat der digitalen Vernetzung der Zukunft. Und unsere exzellente Glasfaserinfrastruktur ist die Voraussetzung, ihn möglichst schnell zu realisieren.“
Gelsenkirchen hat bereits, was der Landesregierung noch Sorgen macht
Einen kleinen Seitenhieb auf die Landesregierung konnte sich Frank Baranowski nicht verkneifen, als er erklärte: „Die Landesregierung sagt ja: Die Schulen in NRW ans schnelle Netz zu bringen, was die Voraussetzung für die Whiteboards ist, das sei eine Mammutaufgabe. So kann man das sehen. Aber ein bisschen wundere ich mich da schon. Denn wir in Gelsenkirchen haben das längst: Jede einzelne Gelsenkirchener Schule, jede Grundschule, jede Real- und Gesamtschule und auch jedes Gymnasium ist bei uns ans Glasfasernetz angeschlossen! Alle Schulen, die es wollen, werden mit Whiteboards ausgestattet. Und ich kann Ihnen sagen, warum wir das so vorangetrieben haben: Weil bei uns jedes Kind die bestmöglichen Voraussetzungen zum Lernen vorfinden soll. Weil uns jedes Kind diesen Aufwand wert ist. Und weil ich weiterhin davon ausgehe, dass Bildung ... die beste Stadtentwicklungspolitik für Gelsenkirchen ist! “
Ein Fachmann für Technikfolgenabschätzung
Doch es ging in einem Gespräch, das Moderator Matthias Bongard mit Prof. Dr. Armin Grunwald, dem Leiter des größten Instituts für Technikfolgenabschätzung führte, auch um die Gefahren der Digitalisierung.
So führte Bongard an, dass die Menschen sich zunehmend auf die Technik verlassen, obwohl kaum einer weiß, wie sie funktioniert. Dem stimmte der Professor für Technikfolgenabschätzung zu: „Das ist so. Heute versteht ja auch keiner mehr, wie ein Auto funktioniert, weil es ein Computer ist. Das war früher einmal anders.“
Der Fachmann stimmte auch zu, dass der technische Fortschritt immer mehr an Geschwindigkeit zunimmt, aber er hielt dagegen, dass es heute auch sehr viel mehr Wissenschaftler und Ingenieure gibt und viele Herausforderungen, die vor uns liegen, so groß sind, dass sie Zeit brauchen. Und der Professor sieht auch nicht die Gefahr, dass ältere Menschen in der Gesellschaft durch die Technik abgehängt werden, denn „sie haben in den letzten fünf Jahren ordentlich aufgeholt“.
Analoge Lebewesen in einer digitalen Welt
Grunwald lobte die Aussage von Frank Baranowski, der sagte: „Wir nutzen hier die Digitalisierung, um Menschen im Alltag zu helfen, um ihnen ein möglichst eigenständiges und gutes Leben zu gestatten.“ Grunwald gab auch zu bedenken, dass es kein Zurück mehr gibt, denn ohne das Internet würde die Welt verhungern, weil die Logistik zusammenbrechen würde. Auch die Gefahr der Vereinsamung trotz oder auch durch die Vernetzung sieht der Professor und mahnt: „Wir sollten die analoge Welt wieder für uns entdecken und uns offline Zeiten gönnen. Denn wir sind analoge Lebewesen und keine Avatare.“
Gelsenkirchen spielt in der Bundesliga in Sachen Digitalität
Ein dickes Lob erhielt die Stadt Gelsenkirchen von Dr. Stephan Albers, Geschäftsführer des Bundesverbandes Breitbandkommunikation, dem auch Gelsennet angehört, der die Stadt in der Bundesliga bei der Digitalität ansiedelt. Er scherzte: „Es wird spannend zu beobachten, ob der Oberbürgermeister eher deutscher Meister mit Schalke oder mit der digitalen Stadt wird.“
Ein Wunschkonzert via twitter vom MiR-Ensemble
Zur Auflockerung unterhielt das Musiktheater im Revier, das im Jahr 2017 einmal mehr von Fach-Journalisten zum besten Opernhaus in NRW gewählt wurde, mit Ausschnitten aus der Wunschkonzert-Show „Fifty-Fifty“. Natürlich hatten die Gäste die Gelegenheit, per Twitter über die Gesangsdarbietungen abzustimmen.
Andreas Rebers über Erdolf aus Ankara und viele andere
Böse, aber schön böse wurde es, als Kabarettist Andreas Rebers die Bühne betrat. Bei ihm kam keine Partei gut weg und er kommentierte die Sondierungsverhandlungen mit: „Es war nix, es ist nix und es wird nix.“
Mit seinen „Erdolf aus Ankara“-Darbietungen strapazierte er die Lachmuskeln der Gäste ebenso wie mit dem Hitler-Imitationswettbewerb in Teheran. Und auch das bisherige Programm kam bei ihm nicht gut davon: „Wenn man die ganze Veranstaltung mit Glasfaserkabel gemacht hätte, hätte sie nicht so lange gedauert.“
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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