Stadtverwaltung auf neuen Wegen in Sachen EU-Ost-Zuwanderung
Gelsenkirchen als Vorreiter
Oberbürgermeisterin Karin Welge führte erfolgreiche Gespräche mit dem Land über ein Maßnahmenpaket EU-Ost und damit kann die Stadt Gelsenkirchen mit vier Pilotprojekten starten. Außerdem wird die Überprüfung rund um Zuwanderer aus den EU-Ost-Gebieten verstärkt.
In vielen Quartieren der Stadt ist die Lage angesichts der Menschen, die im Rahmen der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Gelsenkirchen kommen, sehr angespannt und das nicht erst seit kurzem. Dieser Situation sind sich die Oberbürgermeisterin, die bereits als Sozialdezernentin und Kämmerin mit der Problematik zu tun hatte, wie auch ihr Vorstandsstab bewusst. Darum ist Welge beim Land vorstellig geworden und mit Erfolg.
"Hilfe vom Land wird von Gelsenkirchen sehr gern angenommen. Ich kenne da keine falsche Bescheidenheit, darum spiele ich das Thema gern öfter und vehementer bei der Ministerin, denn uns allen hier ist klar: Wir laufen gegen die Zeit beim Versuch uns die Stadt wieder zu eigen zu machen." Deutliche Worte von Oberbürgermeisterin Karin Welge, die erhört wurden von Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW.
Fälschungssichere Schulbescheinigung
Und so wird Gelsenkirchen ab März Pilotkommune für das Projekt "Fälschungssichere Schulbescheinigung", dabei wird überprüft, ob Schulkinder nur nicht regelmäßig am Unterricht teilnehmen oder ob sie vielleicht gar nicht hier leben und trotzdem Kindergeld bezogen wird.
Einführung einer One-Stop-Agency
Außerdem wird die Einrichtung einer sogenannten "One-Stop-Agency" getestet. Neben dem Service, das hier die Bürger aus EU-Ost bei ihrer Anmeldung direkt von einem zentralen Ansprechpartner bei der Jobsuche, Anträgen auf Sozialleistungen oder andere Bürgerangelegenheiten betreut werden, können schon in diesem Schritt unterstützungswürdige Neubürger von Ausnützern getrennt werden.
Schrottimmobilien geht es an den Kragen
Die dritte Initiative aus Gelsenkirchen wird vom Kommunalministerium derzeit geprüft, dabei geht es um die finanzielle Unterstützung von Privatleuten, die Problemimmobilien aufkaufen, um prekäre Wohnverhältnisse und das Abrutschen von Straßenzügen zu verhindern.
"Die Menschen kommen hierher, erhoffen sich eine neue bessere Zukunft und geraten in nahezu mafiöse Verhältnisse etwa bei den ihnen angebotenen Wohnungen. Wir wollen den Clans und Hintermännern Paroli bieten", zeigt sich Karin Welge kämpferisch.
Die Problematik dabei ähnelt ein wenig Cervantes "Don Quijote", denn auch hier wird gegen Windmühlen gekämpft, wie Uwe Gerwin, der Leiter des Referates Zuwanderung und Integration/Kommunales Integrationszentrum, erläuterte. "Wir hatten mit Stand vom 31. Dezember 2020 rund 3500 Zuwanderer aus Bulgarien hier und etwa 6000 aus Rumänien. Im Zeitraum von 2014 bis 2020 verzeichneten wir rund 18.500 Zuzüge nach Gelsenkirchen, aber auch 13.900 Wegzüge dieser Klientel. Das bedeutet: Wir fangen stetig von vorne an mit unseren Integrationsbemühungen."
Etwa 9 Prozent der Schüler stammen inzwischen aus EU-Ost-Gebieten, von den rund 1760 Kindern in den 117 Internationalen Förderklassen stammen rund 50 Prozent aus Bulgarien und Rumänien. Die Verteilung der Neubürger auf die Stadtquartiere richtet sich nach dem Angebot an billigem Wohnraum und dadurch tragen einige deutlich mehr Last als andere.
Hans-Joachim Olbering, der Referatsleiter Öffentliche Sicherheit und Ordnung, berichtete, dass man in Gelsenkirchen bereits 2013, also bevor 2014 für Rumänien und Bulgarien die Arbeitnehmerfreizügigkeit galt, ein erstes Konzept entwickelt hat. Seit 2014 werden vom Interventionsteam EU-Ost der Stadt Gelsenkirchen, zu dem neben der Stadt auch das Jobcenter, die Polizei und ELE zählen, Wohnungen überprüft und in diesem Zuge auch Sozialbetrug aufgedeckt. "Zwischen 2014 und 2019 wurden rund 700 Häuser überprüft, das bedeutet 3100 Wohnungen und 43 Häuser wurden geräumt."
Diese Maßnahmen sollen weiter verstärkt werden und der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) wird noch einmal aufgestockt, um mehr Präsenz in den Quartieren zeigen zu können. Hier verwies Olbering auch noch einmal an das Beschwerdemanagement der Leitstelle für Sicherheit und Ordnung unter Telefon 169-3000.
Anlaufstelle im Quartier soll Dialog fördern
Das vierte Pilotprojekt ist die Einrichtung einer gemeinsamen Anlaufstelle von Polizei, KOD und Sozialarbeitern an der Ückendorfer Straße 138. Ab dem Frühjahr sollen Bürger die Möglichkeit haben, ihre Beschwerden im Quartier Ückendorf-Nord direkt anzubringen oder Probleme zu schildern.
Die für Integration zuständige Dezernentin Anne Heselhaus erklärt: "Statt einer Vielzahl von Förderprogrammen, möchten wir lieber kontinuierliche Hilfe bieten. Gelsenkirchen hat so schon viele Blaupausen für andere Kommunen entwickelt, wie etwa die Einrichtung von Familienzentren. Darum soll nun der aufsuchende Ansatz vertieft werden, um die Balance zwischen Ordnungspolitik und Integration zu verbessern. Die Ückendorfer Straße 138 soll helfen die Konflikte im Quartier mit Hilfe von Dialogen zu bereinigen." Die bisher 16 muttersprachlichen Sozialarbeiter werden um weitere zehn aufgestockt, um den Zuwanderern die hiesigen Regeln zu vermitteln und sie bei der Integration zu unterstützen.
Ein ähnliche Blaupause bot nach Ansicht von Stadtbaurat Christoph Heidenreich auch der Umgang mit Schrottimmobilien. "Mit dem massiven Aufkauf, Rückbau oder der Sanierung von Schrottimmobilien nimmt Gelsenkirchen eine anerkannte Vorreiterrolle in NRW und darüber hinaus ein. So haben wir große Erfolge auf der Bochumer Straße bewirkt durch den massiven Eingriff in den Immobilienmarkt. Das Modellprojekt 'Problemimmobilie NRW' ist hier ein guter Ansatz. Außerdem ist ein Gesetz in Planung, das der Kommune ein Vorkaufsrecht sichern soll. Aber auch das Zwangsversteigerungsverfahren müsste geändert werden, um Bettenlager in Substandard-Immobilien zu verhindern", wünscht sich Heidenreich.
In Gelsenkirchen sind rund 6000 Wohnungen nach Einschätzung der Experten der Bauverwaltung nicht mehr marktfähig. „Wenn wir davon die Hälfte in den kommenden zehn Jahren stilllegen und abreißen würden, hätten wir das Überangebot an nicht mehr marktgerechtem Wohnraum beseitigt. Dazu benötigt Gelsenkirchen 150 Millionen Euro. Zudem müssten zur Umsetzung ein umfassendes Vorkaufsrecht und Änderungen beim Zwangsversteigerungsrecht eingeführt werden“, so die Forderungen Heidenreichs.
"Webfehler" im System sorgt für Probleme
Nötig werden all diese Maßnahmen und Projekte durch, wie Rechts- und Ordnungsdezernent Dr. Christopher Schmitt es nennt, einen "Webfehler" im System der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU. "Wir sind seit 2014 aktiv mit Interventionsmaßnahmen in Sachen EU-Ost-Zuwanderung, aber die Maßnahmen reichen nicht aus. Wir arbeiten nur am Symptom, nicht an der Wurzel", befürchtet Schmitt.
Er sieht den Fehler im System, der es ermöglicht, sich nicht auf der Suche nach Arbeit frei in Europa zu bewegen, sondern auch auf der Suche nach billigem Wohnraum und besseren sozialstaatlichen Leistungen als in den Herkunftsländern.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.