Frauentag: Nicht nachlassen im Kampf
Allein unter Frauen wähnte sich Oberbürgermeister Frank Baranowski beim Empfang anlässlich des internationalen Frauentages in der „flora“. Doch er musste sich korrigieren als er sagte: „Heute sind wirklich nur Damen zugegen..., ach Herr Kaemper, Sie sind ja auch noch da!“ Und damit kam der Stadtspiegel-Fotograf in den Genuss der Aufmerksamkeit der versammelten Gelsenkirchener Damenwelt.
Der erste Frauentag für Dagmar Eckart als Gleichstellungsbeauftragte
Dieser Frauentag zum 100. Jahrestag des Wahlrechts für Frauen war auch der erste offizielle Einsatz der neuen Leiterin der Gleichstellungsstelle der Stadt Gelsenkirchen. Dagmar Eckart konnte sich bei der Organisation aber auf ihre Mitarbeiterinnen verlassen, die schon so manchen Frauenempfang vorbereitet hatten, wofür die neue Leiterin ihnen herzlich dankte.
So „ins kalte Wasser geworfen“ übernahm Dagmar Eckart die Moderation des Abends und war sich auch nicht zu schade, selbst Hand an zu legen und Blumenkübel und Rednerpulte zu verschieben. Selbst ist die Frau!
„Wir feiern heute den 107. Frauentag und 100 Jahre Wahlrecht für Frauen, was natürlich einen Grund zum Feiern darstellt, aber auch anregt darüber nachzudenken wie viel noch immer fehlt bis zur Gleichheit der Geschlechter“, begrüßte Dagmar Eckart als Gastgeberin die Gelsenkirchener Frauen.
Gerade in der aktuellen Zeit stoßen der bekennenden Frauenrechtlerin viele Dinge auf: „Es gibt zu wenig weibliche Parlamentarier sowohl in Berlin als auch in Düsseldorf, immer mehr Frauen fallen in Altersarmut, der Bundestag führt wieder eine Debatte zum §219 und die "Me too"-Diskussion führt uns das Verfahren der Castingcouchen vor Augen. Rechtsreaktionäre Politiker wollen Genderstudien streichen und erheben die deutsche Kleinfamilie zur Keimzelle der Gesellschaft. Es gibt noch viele Bretter zu bohren. Das war vor mehr als 100 Jahren so, um das Wahlrecht zu erlangen und es ist und bleibt noch immer so.“
Baranowski sieht Zusammenhang mit Frauenwahlrecht und Weg zur Demokratie
In seiner Rede erinnerte auch Oberbürgermeister Frank Baranowski daran, dass die Frauen ihr Wahlrecht regelrecht erstreiten mussten. Für ihn war „das Frauenwahlrecht eine Revolution. Für diese Revolution brauchte es aber auch nicht weniger als eine Revolution, eine politische Revolution zum Ende des großen Krieges, die dann auch das Ende des preußischen Dreiklassenwahlrechts gebracht hat.“
Damit sieht er sich darin bestätigt, dass Emanzipation eine gemeinsame Bewegung ist: „Die Gleichstellung der Geschlechter, die ist sehr eng verbunden mit dem Aufbau der Demokratie und der Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten.“
Und genau diese Errungenschaften sieht das Stadtoberhaupt gegenwärtig bedroht: „Denn viele Leute schauen ja gerade jetzt wieder zurück auf diese Zeit zwischen den Kriegen, zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, als die großen Fragen der Moderne erstmals, aber nicht abschließend, ausgefochten wurden. Gerade Rechtspopulisten, gerade diejenigen, die heute danach trachten, die Rechte anderer einzuschränken, die Rechte von Minderheiten, die Rechte von Zugewanderten – und ja, da sollte man sich nichts vormachen, auch die von Frauen! – gerade die bedienen sich gerne bei Ideen aus den 1920er-Jahren.“
Ein geschichtlicher Rückblick auf die Frauenbewegung
Mit der Historikerin Dr. Frauke Geyken von der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel wurde eine Gastrednerin gefunden, die profund über die Geschichte der Frauenbewegung auf dem Weg zum Wahlrecht, dessen Verlust im Dritten Reich und den Neubau in der jungen Bundesrepublik Deutschland berichten konnte.
„Die Frauen vor 100 Jahren hatten sicherlich auch einen dicken Hals, wenn sie daran dachten, wie man sie ausgrenzte“, schilderte Dr. Geyken und erinnerte daran, dass am 12. November 1918 der Rat der Volksbeauftragten verkündete: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen“.
Wie auch der Oberbürgermeister sieht die Historikerin hier den klaren Zusammenhang von Frauenwahlrecht und dem Beginn der Demokratie in Deutschland. Sie nahm die Frauen mit auf eine Zeitreise durch die Geschichte, die bereits weitere 100 Jahre zuvor startete, denn so lange dauerte es, bis die Frauen tatsächlich ihr Wahlrecht erstritten hatten.
Sie erinnerte an Luise Otto, die während der 1848er Revolution das Wahlrecht für deutsche Frauen gefordert hatte, bekanntlich ohne Erfolg. Das Bürgerliche Gesetzbuch, das im Jahr 1900 - noch im Kaierreich - aus der Taufe gehoben wurde, widmete den Frauen keine Beachtung.
Und das obwohl die SPD als erste und einzige Partei bereits einige Jahre zuvor für die Rechte der Frauen eintrat. Hier nannte sie Clara Zetkin, die 1891 im Erfurter Programm der Sozialdemokraten für das Frauenstimmrecht warb. Ihr ist es auch zu verdanken, dass im Jahr 1911 in Deutschland erstmals ein Frauentag veranstaltet wurde.
Und auch wenn Marie Juchacz am 19. Februar 1919 als erste Frau eine Rede vor der Weimarer Nationalversammlung hielt, waren die Frauen im Parlament auf bestimmte Themen reduziert. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete die Mitbestimmung der Frauen gänzlich, denn dadurch dass Frauen keine Ämter in der NSDAP erhielten, wurde ihnen auch das Wahlrecht, wenn man überhaupt davon reden kann, dass es ein solches in dieser Zeit gegeben hätte, genommen.
Als 1948/49 61 Männer und vier Frauen an der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland feilten, setzte die Juristin Elisabeth Selbert, eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“, mit großem Einsatz durch, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ am 23. Mai 1949 im Artikel 3, Absatz 2 unseres Grundgesetzes als Verfassungsgrundsatz aufgenommen wurde.
Es ist noch ein weiter Weg zur Gleichstellung
„Doch noch heute gibt es eine Kluft zwischen den Gehältern der Geschlechter in Deutschland, die mit 22 Prozent so hoch wie sonst nirgends in der Europäischen Union ist. Und auch die per Gesetz geforderte Quotenregelung in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen hat es seit 2016 nicht geschafft, die gesetzte Marke von 30 Prozent zu erreichen. In den Parlamenten finden sich bestenfalls 30 Prozent Frauen“, resümierte Dr. Frauke Geyken.
Sie gab den Frauen mit auf den Weg: „Das Weiterkämpfen ist ein Gebot für künftige Generationen, aber auch um der historischen Kämpferinnen willen!“
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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