Direktkandidatin Bettina Peipe (DIE LINKE) zum BGE

Vor wenigen Tagen startete ich eine Anfrage an die Gelsenkirchener Direktkandidaten zur Landtagswahl in NRW. Ich möchte mich an dieser Stelle recht herzlich für diese umfangreiche Antwort bei Bettina Peipe bedanken.

Es gibt noch ein paar wenige Punkte, auf die ich gerne eingehen möchte. Aber in Anbetracht der umfangreichen Antwort, werde ich dies zu einem anderen Zeitpunkt tun. Ihnen, liebe Leser und Leserinnen, möchte ich die Antwort nicht vorenthalten. Denn der 14 Mai ist schon sehr nah und einige von Ihnen wählen bereits. Also dann -

hier die Antwort:

„Bei der Frage des BGE sieht es so aus, dass ich die Idee erst einmal charmant finde. Es bedeutet nämlich, dass nicht mehr nur Erwerbsarbeit als Arbeit anerkannt würde. Wenn man sieht, was Hausfrauen, Mütter und Menschen, die häusliche Pflege betreiben, leisten und sie sich zuweilen immer noch vorhalten lassen müssen, sie arbeiteten nicht, so ist das skandalös und hier bedarf es einer dringenden Korrektur der Sichtweise. Es ist schon mal ausgerechnet worden, welche Summe zusammenkäme, würde man allein die Arbeit von Hausfrauen anständig bezahlen.

Das Internetportal Salary.com hat im Jahr 2006 die Frage gestellt, welches Gehalt für eine Vollzeitmutter mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren angemessen wäre. Salary.com errechnete ein Jahresgehalt von 134 121 Dollar – das sind rund 97 300 Euro. Das Gehalt berechnete sich nach den marktüblichen Sätzen für die von den Frauen angegebenen Tätigkeiten. Vollzeitmütter in den USA arbeiten rund 90 Stunden pro Woche für Familie und Haushalt. Das dürfte in etwa gleich aussehen in Deutschland.

Der Direktor des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) Dr. Dieter Dohmen hat für den Tagesspiegel eine Rechnung aufgestellt. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes kommt er zu dem Schluss, dass Deutschlands Mütter allein für die Betreuung ihrer Kinder insgesamt zwischen 75 und 125 Milliarden Euro pro Jahr erwirtschaften, - das sind Zahlen aus dem Jahr 2001/2002. Als fiktiven Stundenlohn hatte Dohmen zwischen 12,50 Euro und 15 Euro angesetzt.

Allein aus solchen Untersuchungen zeigt sich, dass Arbeit eben etwas Anderes als Erwerbsarbeit ist. Was das BGE angeht, sehe ich allerdings auch große Probleme. Es gibt linke Grundeinkommensvorstellungen und extrem neoliberale Varianten. Das ist nun wahrhaftig ein Unterschied. Ohne eine grundlegende gesellschaftliche Diskussion zu dem Thema wird man also nicht weiterkommen.
In der LINKEN gibt es eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema Grundeinkommen und das Thema wird ausführlich und teilweise kontrovers diskutiert. Im Anhang findest du den Link zur neuesten Broschüre zu dem Thema. [Anm.: leider war der Anhang nicht mitgeführt]

Das Grundeinkommen würde bedeuten, alle sonstigen Sicherungssysteme (Rente, Krankenversicherung) komplett umzubauen. Auch das gesamte Steuersystem müsste auf den Prüfstand, einiges müsste verändert, anderes komplett abgeschafft werden. Bevor man so etwas tun kann, braucht man politische Einflussmöglichkeiten und man muss vorher wissen, was man sich einhandelt, bevor man bisher funktionierende Systeme fallenlässt. Was dabei herauskommen kann, konnte man sehr schön am Beispiel Riesterrente sehen. Angeblich wollte man die Rente „zukunftsfest“ machen, also umbauen, stattdessen hat man die staatliche Rente fast ruiniert und die Versicherungskonzerne gemästet. Solche Entwicklungen sind nur durch massiven Lobbyismus und politische Korruption zu erklären.

Ich denke, wir werden um die Diskussion über kurz oder lang ohnehin nicht herumkommen. Wenn Horrorszenarien stimmen, wie die, dass in den nächsten Jahren 4/5 aller Arbeitsplätze wegfallen werden - nicht nur Industriearbeitsplätze -, dann muss man darüber reden, wie der erwirtschaftete Reichtum anders verteilt werden kann.

In einer Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales habe ich mich schon beim Thema Arbeit 4,0 zu Wort gemeldet und darauf hingewiesen, dass es nicht sein kann, dass die Früchte des Produktivitätsfortschrittes nur bei der Kapitalseite hängenbleiben, während Arbeitnehmer ihre Jobs verlieren und auf miserable Systeme wie „Hartz IV“ verwiesen werden. Ich bin zwar immer skeptisch, wenn es um Horrorszenarien geht, die angeblich Realität werden, aber sollte es mit den Entwicklungen in der Robotik, der Rationalisierung durch den Einsatz von Maschinen und der Entwicklung künstlicher Intelligenz so rasant weitergehen, dann müssen wir über radikale Umverteilung sprechen.

Neben dem Grundeinkommen könnte man aber auch noch über eine Maschinensteuer sprechen, über Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und ohne Arbeitsverdichtung, über frühere Rente und zuerst als sofortige Maßnahme über eine hohe Reichensteuer, eine Finanztransaktionssteuer , (die den Hochfrequenzhandel unrentabel machen würde, und die seit 20 versprochen wird, aber nicht kommt) eine gerechte Erbschaftssteuer (wurde durch massives Lobbying der „Familienunternehmen“ verhindert) , über eine Vermögenssteuer (wir sind das einzige entwickelte Land in Europa, das keine erhebt) und über eine höhere Einkommenssteuer (früher lag sie bei 53-56%, nach dem Krieg bei Superreichen sogar bis zu 95%, heute bei 42%). Kapitaleinkünfte werden heute nur noch mit 25% Steuern belegt, früher bezahlte man den Einkommensteuertarif, also 53%. Und man könnte endlich Steuerhinterziehung und „Steuergestaltung“ unterbinden (dadurch entgehen uns in Deutschland ca.100 Milliarden im Jahr. Nach Zahlen von Tax Justice Network liegen in Steueroasen zwischen 21 und 32 Billionen Dollar.).

Durch alle diese Veränderungen hat man den Staat gezielt ausgeblutet. Das war kein Versehen, das ist Neoliberalismus! Durch den Steuermurks der letzten Regierungen entgehen dem Staat jährlich mindestens 70 Milliarden und das ist noch die konservativste Schätzung.

Ich glaube, bei vielen Menschen wird immer noch massiv unterschätzt, wie stark die Gegenseite ist. Wie sehr Gruppen mit unerschöpflichen Geldmitteln Einfluss nehmen können. Ich halte also Entscheidungen Splittergruppen zu wählen für katastrophal. Die Zweitstimme ist die deutlich wichtigere Stimme im deutschen Wahlsystem und sie sollte progressive Parteien stützen, die auch realistische Chancen haben, etwas zu bewirken.

Es gibt unglaublich viele einflussreiche rechte Kreise, die nicht nur demokratische, sondern auch in jeder Form sozialstaatliche Errungenschaften für hinderlich und geradezu überflüssig halten. Alle europäischen Verträge haben eine neoliberale Schlagseite. Die Kapitalseite ist extrem gut vernetzt in zig Zusammenschlüssen, Runden Tischen, Konferenzen und Foren, wo sich immer häufiger immer die gleichen 200 bis 400 reichsten und einflussreichsten Personen aus Politik, Wirtschaft und Medien zusammenfinden, um dort eine Agenda aufzustellen, die in der Mehrzahl der Fälle gegen die Interessen der berühmten 99% gerichtet ist.

Wenn man also alternative Gesellschaftsmodelle andenkt, dann sieht man sich unter massivem Beschuss. In zwanzig Jahren ist es den Mainstreamparteien sowohl gelungen, die Lebensbedingungen der meisten Menschen zu verschlechtern, wie auch ein gerechtes Steuersystem zu verhindern. Das zeigt mit welchen Machtzusammenballungen wir es im Hintergrund zu tun haben.
Wer also immer noch glaubt als Einzelkämpfer mit eigener Homepage oder einer kleinen aufklärerischen Gruppe etwas reißen zu können, ist im besten Fall naiv. Wir brauchen eine starke linke Bewegung. Wenn wir es nicht schaffen progressive Denkansätze in den Parteien und der Bevölkerung zu verankern, wird es keine Veränderung geben.

Mit solidarischen Grüßen
Bettina

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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