Die Zukunft der Jugendberufshilfe
Immer wieder geistert der „Fachkräftemangel“ durch die Medien. Ebenso das Problem der Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz finden. Beidem wird in Gelsenkirchen durch die Kommunale Jugendberufshilfe „auf die Sprünge geholfen“. „Noch“, wie Alfons Wissmann, Leiter des Referates Erziehung und Bildung, zu bedenken gibt.
Von Silke Sobotta
GE. Die Arbeitskreise für Kinder- und Jugendpolitik sowie Bildungspolitik der SPD-Ratsfraktion informierten sich vor Ort im Ladenlokal „Be-Qu-Moden“ der Jugendberufshilfe an der Ewaldstraße über die aktuelle Situation der Jugendberufshilfe in Gelsenkirchen. Dazu stand Alfons Wissmann mit Zahlen und Fakten bereit, die zu denken geben.
Hintergrund sind die von der Bundesregierung veränderten Vergaberichtlinien für Arbeitsmarktdienstleistungen, die aus Sicht der Stadt und SPD die Arbeit der Jugendberufshilfe gefährden. Dabei dienen die Einrichtungen der Jugendberufshilfe nicht nur jungen Menschen beim Übergang von Schule zum Beruf, sondern auch dem Allgemeinwohl.
„Durch die kommunale Jugendberufshilfe werden junge Leute auf einen Beruf oder eine Ausbildung vorbereitet, qualifiziert, sozial gestützt und gestärkt, oder auch nur beschäftigt. Im Regelfall handelt es sich um sozial- und bildungsmäßig eher benachteiligte junge Menschen, die über ein oder mehrere Defizite verfügen, die eine unmittelbare Vermittlung in den Arbeitsmarkt erschweren. Ziel ist es darum immer, die Ausbildungs- oder Arbeitsfähigkeit der jungen Menschen zu erreichen“, erläuterte Wissmann.
Derzeit gibt es neben dem Sozialkaufhäusern Be-Qu-Moden in Resse und dem Tossehof, die Möbelbörse der Jugendwerkstatt in Resse und den Gastronomiestandort Lahrshof in Bismarck, die den Gelsenkirchener Bürgern offen stehen. Außerdem betreibt die Jugendberufshilfe das Ausbildungszentrum Dieselstraße, den Recyclingstandort Isoldenstraße, die Jugendwerkstatt Am Koprath und den Bauhof Schüfflerheide.
Dabei werden außerbetriebliche Ausbildungen für junge Leute in den Bereichen Ausbaufacharbeiter, Bürokaufleute, Gärtner, Einzelhandelskaufleute, Kraftfahrzeugservicemechaniker, Maler und Lackierer sowie Verkäufer angeboten. Für behinderte junge Menschen gibt es weitere Ausbildungsplätze zum Recyclingwerker und Fahrzeugpfleger.
Nun steht eine Veränderung ins Haus, die der Stadt zu schaffen macht. „Die bisher per freihändiger Vergabe an die Stadt Gelsenkirchen vergebenen Maßnahmen werden nach der Änderung der Vergabeordnung öffentlich ausgeschrieben. Die Ausschreibung des Bundes und der EU verlangen eine Einstufung des Personals in eine niedrige Lohnstufe“, erläutert Alfons Wissmann die Problematik der kommenden Jahre.
Bereits jetzt hat die Stadt beim Berufsvorbereitungsjahr den Kürzeren gezogen. Die Stadt Gelsenkirchen hatte sich im Frühjahr 2011 an einer Ausschreibung der Bundesagentur für Arbeit (BA) um die Vergabe einer berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB) für bis zu 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beteiligt, aber unterlag dem hart umkämpften Wettbewerb. Mit Fax vom 24. Juni 2011 wurde mitgeteilt: „Der Zuschlag kann Ihnen nicht erteilt werden, weil Sie nicht das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot (§ 18 Abs.1 VOL/A) abgegeben haben.“
Im Ergebnis heißt das auf eine Kurzformel gebracht: Das Angebot der Stadt Gelsenkirchen war zu teuer. Dabei hat die Stadt Gelsenkirchen ein Preisangebot gemacht, das deutlich (22 Prozent) unter dem Preis der noch laufenden Maßnahme liegt, ein Preis, der die Kosten für Personal und Material im günstigen Fall (hohe Auslastung der Maßnahme) zu ca. 70 Prozent gedeckt hätte! Kosten für die Liegenschaft sind noch gar nicht berücksichtigt.
Darum befürchtet die Stadt, dass das Niveau der Maßnahmen durch den Einsatz von unerfahrenem Personal und Honorarkräften sinken wird und mehr prekäre Arbeitsplätze entstehen. „Der Stadt sind als kommunalem Arbeitgeber die Hände gebunden. Wir sind im Gegensatz zu anderen Anbietern an tarifliche Entlohnung gebunden. Damit sind wir in Zukunft und auch schon jetzt nicht mehr konkurrenzfähig“, beklagt Wissmann. „Wir wollen keine Extrawurst. Aber wir wollen, dass Gleiches mit Gleichem verglichen wird. Und wir wissen, dass wir eine gute Arbeit machen, die auch einen Mehrwert erbringt.“
Denn die Jugendlichen in den Maßnahmen der Jugendberufshilfe erbringen Vielerlei, das unsere Stadt schöner, lebenswerter und attraktiver macht. So sind sie für die Neugestaltung, Sanierung und Renovierung von Spielplätzen im Einsatz. Sie erledigen anfallende Arbeiten in Schulgebäuden und auf Schulhöfen, in Kindertageseinrichtungen und städtischen Gebäuden.
Die Zahlen und Fakten sprechen für sich und die SPD-Landtagsabgeordnete Heike Gebhard, die von den Arbeitskreisen zu dem Ortstermin eingeladen war, versprach, sich im Landtag stark zu machen für das Problem: „Diese Maßnahmen werden ja nicht in Gelsenkirchen von der Agentur für Arbeit entschieden, sondern von der Regionalagentur in Düsseldorf. Darum geht das Problem eben auch alle öffentlichen Träger an, nicht nur kommunale und nicht nur Gelsenkirchener. Von den früheren 2.000 Plätzen in diesem Bereich sind nun nur noch 1.300 übrig und im nächsten Jahr werden es nur noch 750 sein. Das wirkt sich auch auf die Arbeitslosenzahlen aus.“
Dabei weiß die Abgeordnete auch, dass der Druck aus allen Ländern kommen muss, um im Bundesrat etwas zu bewirken.
Erste Auswirkungen der neuen Vergabepraxis
Die „Jugendwerkstatt Am Koprath“ galt in den vergangenen 20 Jahren als eine verlässliche, qualitativ gut aufgestellte Einrichtung für noch nicht ausbildungsreife junge Menschen. Schwerpunkt der Berufsbildenden Maßnahmen, die im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit durchgeführt wurden, war der praxisorientierte sowie der allgemein bildende Unterricht mit sozialpädagogischer Begleitung. Darüber hinaus konnten Schulabschlüsse nachgeholt werden. Nun wird es dieses Angebot, das mehr als 2.000 TeilnehmerInnen als Chance nutzten, um den Übergang in das Erwerbsleben zu ergreifen, ab September 2011 dort nicht mehr geben.
Hintergrund:
Die Jugendberufshilfen waren bis Juni 2010 als kommunale Einrichtung oder Abteilung der Kommune vom öffentlichen Bieterverfahren ausgeschlossen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Um Jugendberufshilfen den Zugang zu Arbeitsmarktdienstleistungen zu ermöglichen, wurden Maßnahmen, zum Beispiel berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen im sogenannter „freihändigen Vergabe“, vergeben, wenn das Konzept den Qualitätsanforderungen entsprach.
Im Juni 2010 hat der Gesetzgeber die Vergaberichtlichtlinien für Arbeitsmarktdienstleistungen dahin gehend geändert, dass sich auch städtische Jugendberufshilfen an den Ausschreibungen beteiligen können. Im Umkehrschluss werden seitdem keine „freihändigen Vergaben“ mehr zugelassen.
Die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes ist Voraussetzung für den Zuschlag (§ 25 Nr. 3 VOL/A). Das wirtschaftlichste Angebot ist dabei nicht zwangsläufig das günstigste. Auf Basis der insgesamt erreichten Leistungspunkte und des Angebotspreises werden je Angebot Kennzahlen für das Preis-Leistungs-Verhältnis gebildet. Neben dem Angebot mit der führenden Kennzahl verbleiben die Angebote in der Wertung, die sich in einem vorab festgelegten Kennzahlenbereich (minus 10 Prozent) darunter befinden. Aus dieser Gruppe erhält dann das Angebot mit der höchsten Leistungspunktzahl den Zuschlag.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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