Die Zerrissenheit vor der Wahl

Der Philosoph und Publizist Richard David Precht sagt in diesem Bericht von ttt, dass wir am Ende einer Epoche stehen. Und scheinbar merkt jeder das, außer der Politik. Hand aufs Herz, wer weiß denn, was er mit gutem Gewissen wählen kann? Hinter jedem Kandidaten und Partei, die im Parlament was zu sagen haben, steht eine Marketingagentur. Es ist nicht mehr authentisch, was uns politisch geboten wird.

Wir können noch so oft den Wahl-o-Mat bedienen, der uns Parteien ausspuckt, die inhaltlich mit unseren Positionen übereinstimmen. Aber wem trauen wir es noch zu, diese Inhalte umzusetzen? Für mich ist wichtig, Persönlichkeiten in die Parlamente zu wählen, welche mit Mut und Entschlossenheit und ja, auch mit Geradlinigkeit auffallen. Aber wir erleben dieses gefällige. Ein Wahlslogan sagt: "Mit Sicherheit für Freiheit und Bürgerrechte." Ja, was will uns so ein Slogan sagen? „Sicherheit“ wird gerade von Rechtpopulisten umgedeutet, Freiheit ist ein linkes Thema und Bürgerrechte soll die Mitte abholen. So ein Wahlslogan lässt nur die Beliebigkeit erkennen. Ein anderer Slogan sagt uns, dass es nun Zeit ist für mehr Gerechtigkeit. Nur handelt es sich hier um eine Partei, die genau die Ungerechtigkeit herbeigeführt hat, die wir nun haben. Schlimmer noch: Sie hätte die letzte Legislaturperiode dazu nutzen können, mehr Gerechtigkeit herbeizuführen. Hat leider nicht so ganz finktioniert.

Dieses Anbiedern widert mich an. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht. Parolen bringen Politiker ins Parlament, aber sie überzeugen nicht mit Persönlichkeit. Also scheinen wir keine Erwartungen mehr zu haben. Es wird uns im Wahlkampf etwas angeboten, was innerhalb der Legislaturperiode vergessen wird. „Mit mir wählst Du das Bedingungslose Grundeinkommen“, sagte 2013 eine Kandidatin zu mir. Danach war 4 Jahre lang Sense im Gelände. Nicht einmal wurde nachweislich etwas im Bundestag dahingehend getan. Kein Antrag zur Abstimmung eingereicht, kein Positionspapier für die Fraktion erarbeitet. Nichts.

Nun habe ich in meinen Artikeln nicht verschwiegen, für das Bedingungslose Grundeinkommen zu sein. Seit Jahren setze ich mich aktiv dafür ein und die Erkenntnis, dass wir keinen Bundesweiten Volksentscheid haben, brachte mich zu dem Gedanken, dass es eigens dafür eine Partei geben muss. Die gibt es nun. Und jetzt kommt das große ABER.

Schaue ich mir den Kandidatencheck an, so bin ich gar nicht mehr überzeugt, diese Partei wählen zu wollen. Zu wenig wird auf das Thema „Bundesweite Volksentscheide“ eingegangen. Und der Grundsatz des Bedingungslosen Grundeinkommens, die Menschenwürde, wird nur bedingt deutlich. Bei einigen Kandidaten klingt es eher so, als müsse Hartz IV abgeschafft werden, aber das Einkommen wird immer noch mit Arbeit in Verbindung gebracht. Wer sich wirklich für das BGE einsetzt, sollte das allgemeine Bild von „Sozialer Hängematte“ und Arbeit in diesem Kontext strickt trennen. Das wird bei einigen Kandidaten nicht so sehr deutlich.

Ein Kandidat würde sich lieber für Fahrradwege einsetzen und erwähnt mit keinem Wort den bundesweiten Volksentscheid. Dafür aber der Hinweis, dass es eine Lotterie Namens „mein Grundeinkommen“ gibt. Das hat alles mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen so viel zu tun, als wenn man mit Martin Schulz Gerechtigkeit in den Bundestag wählt. Auf Facebook schrieb ich diesem Kandidaten: „Bei einer Ein-Themen-Partei gibst Du unter Punkt zwei eine verbesserte Fahrradinfrastruktur an. Finde den Fehler. Ein Bundesweiter Volksentscheid wäre mir lieber gewesen. Er bedankte sich nur für mein Feedback und meinte, das sehe er nicht so. Ende aus. Das ist kein Kandidat, den ich in den Bundestag wählen möchte. 

Ebenso will das Bündnis Grundeinkommen Pilotprojekte den BürgerInnen aufstülpen, als dass eine monatliche Zahlung grundsätzlich einfach erfolgt. Das ist der falsche Weg, weil so die Ängste der Menschen nicht komplett abgebaut werden können. Diese Projekte wären demnach nicht realistisch. Wie die Psyche in einem solchen Projektverfahren mitspielt, sollte ich vielleicht in einem anderen Artikel näher erörtern und hinterfragen.

Es ist zwingend erforderlich, dass die BürgerInnen über die Modalitäten des BGE mit abstimmen dürfen. Und davon habe ich bisher noch nichts gehört. Aber ich habe auch noch nicht alle Kandidaten angesehen.

Wenn ich mir den Kandidaten-Check von Melda Hund anschaue, dann habe ich gleich den Eindruck, eine Satire zu wählen. Gleichzeitig frage ich mich, wie eine Partei eine solche Kandidatin auf einen Listenplatz zulassen kann? Ich wähle doch nicht eine Partei, in der die Kandidaten sagen: „Nö, ich will nicht in den Bundestag.“

Wenn ich schon Satire wählen muss, dann doch eher dort, wo ich sie erwarten kann.
Nach der Aktion von DIE PARTEI, AfD-Gruppen zu übernehmen und sie konkret auszuschalten, hadere ich mit mir.

Denn ich möchte nicht wieder Labergruppen in den Bundestag wählen. Es muss auch die Macher geben. Diese Form von Aktionismus überzeugt mich. Da steckt eine Cleverness drin, die dem einen oder anderen aufstoßen mag. Mir zeigt sie aber: Sie meinen es ernst. Obwohl sich die Partei eher als Satire versteht. Aber sind es nicht gerade Kabarett und Satire, die mittlerweile mehr aufklären, als allgemeine Medien oder Parteien?

Mittlerweile denk ich nur noch: Wenn schon die Demokratie untergeht, dann wenigstens mit Humor.

Die repräsentative Demokratie ist weder zeitgemäß noch wünschenswert. Selbst in Österreich scheint man in diesem Thema weiter zu sein, als in Deutschland. Werden wir noch repräsentiert? Wenn ich auf meine Umfrage an die Direktkandidaten in NRW zurückblicke, bleibt mir eines in Erinnerung: Sie glauben, „es“ für uns machen zu können. Dabei sind WIR sind die Macht. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus (Art. 20 GG Abs 2). Aber merken wir etwas davon?

Erst kürzlich musste ich mir von einer TAZ-Journalistin im Presseclub sagen lassen, dass im Bundestag die Spezialisten sitzen und die BürgerInnen die komplizierte Politik doch gar nicht durchblicken. Das ist ein großes Armutszeugnis für die Presse, wenn sie das behauptet. Denn das bedeutet, sie haben schlechte Arbeit geleistet und die Menschen nicht ausgieblig informiert. Um es mal salopp zusagen: Jeder Idiot kann in den Bundestag gewählt werden. Ob einer kompetent ist, Demokratie zu leben oder nicht, entscheidet sich bei jedem Einzelnen.

Um auf R. D. Precht zurückzukommen, stellt sich die Frage, wie wir eine neue Epoche gestalten wollen? Ich sehe derzeit meine Aufgabe darin, wahrzunehmen und kritisch zu hinterfragen. Was ist gerecht und wo findet maßlose Ungerechtigkeit statt? Wo sind wir selbstbestimmt und wo lassen wir uns die Selbstbestimmung nehmen?

Aus diesem Grund dokumentiere ich auch meine Zerrissenheit bei der Wahl. Denn die repräsentative Demokratie lehne ich grundsätzlich ab. Ich möchte über Sachfragen mitbestimmen können.

Wo ist das möglich? Derzeit geben wir nur Stimmen ab. Ich will das nicht. Also muss ich erst mal vertrauen, dass eine Partei, welche den bundesweiten Volksentscheid umsetzen will, es auch tut. Aber: Es sind immer Menschen, die in ein Parlament gewählt werden. Und sie haben unterschiedliche Beweggründe, die ich aus der Distanz nicht beurteilen kann. Also bleibe ich skeptisch, hinterfrage, frage öffentlich und dokumentiere in meinem Blog. Wir brauchen eine Aufklärung 2.0 welche das menschliche Wesen mit all seinen Bedürfnissen mitnimmt und nicht wegdrängt.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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