Diätenerhöhung – Anfrage an Herrn Töns (MdB für die SPD-Gelsenkirchen)
Im Dezember 2017 traf der Bundestag für diverse Abstimmungen zusammen. So auch zum Thema „Anpassungsverfahren § 11 des Abgeordnetengesetzes“. Im öffentlichen Meinungsbild wird dies „Diätenerhöhung“ genannt. Dennoch geht es hier um die Verlängerung einer Regel, die binnen drei Monate nach einer Bundestagswahl verabschiedet werden muss.
Diese Regel besagt, dass die Diäten gemessen an den Nominallohnindex jährlich zum 1. Juli angepasst werden. Das Wort „anpassen“ suggeriert, dass diese Diäten auch sinken könnten, wenn auch die Nominallöhne sinken. Das ist bisher jedoch nicht passiert. Während der Nominallohnindex gemessen an den entsprechenden Vorjahren schwankt, bleibt die Diätenanpassung stabil und der Basiswert hoch. Ob der Nominallohnindex der richtige Bezugswert für die Ermittlung der Diätensteigerung ist, bezweifle ich.
Ob die Abstimmung für dieses Verfahren gerade in einer Stadt mit über 52.000 Menschen, die im SGB-Bezug sind, das richtige Zeichen an die Gelsenkirchener BürgerInnen ist, bezweifle ich ebenfalls. Also schreibe „unsere“ Abgeordneten mal an. Hier: Herr Töns (SPD), gerade neu im Bundestag.
"Sehr geehrter Herr Töns,
am 13.12.2017 haben Sie als Abgeordneter des Deutschen Bundestages für die sogenannte Diätenerhöhung (Anpassungsverfahren § 11 des Abgeordnetengesetzes)
1. Langzeitarbeitslose, Unterbeschäftigte, etc.:
Gemäß dem Integrationscenter für Arbeit Gelsenkirchen sind etwa 52.000 Menschen abhängig von den Leistungen des Jobcenters. Diese Menschen erhalten ab 2018 gerade mal eine Regelsatzerhöhung von 7 Euro. Ebenso erhöht sich das Kindergeld um immense 2 Euro. Das Kindergeld wird jedoch an das ALG-II angerechnet. Somit sind ALG-II-Empfänger von dieser Erhöhung ausgeschlossen. Die Diäten haben sich dagegen von 2016 auf 2017 um etwa 215 Euro erhöht.
Nun stimmen Sie der Regelung zu, dass Ihre Diäten an die Nominallohnentwicklung in jedem weiteren Jahr angepasst wird. Während der ALG-II-Regelsatz seit 2005 um 18,55% angestiegen ist, sind die Diäten im gleichen Zeitraum um 36,13% gestiegen. Wir reden konkret von 64 Euro zu 2.533 Euro.
Nun meine Frage: Wie möchten Sie einem ALG-II-Bezieher in Gelsenkirchen vermitteln, dass die automatische Anpassung gerechtfertigt ist?
2. Gehaltserhöhungen müssen andere verhandeln, Mehrbedarfe beantragt werden:
Sie sind gerade mal drei Monate im Amt und erhalten derzeit eine Abgeordneten-entschädigung von 9.542 Euro plus einer Kostenpauschale von 4.318 Euro. Das ist mehr, als Sie im Landtag erhalten haben. Und das reicht Ihnen nicht aus? Jeder Mitarbeiter in einem Unternehmen muss sich erst mal beweisen und auch rechtfertigen, mehr Einkommen zu verhandeln.
Soweit ich weiß, sind wir BürgerInnen der Souverän und es sind unsere Steuergelder. Jeder ALG-II-Bezieher muss Mehrbedarfe beantragen und erhält sie zumeist nicht. Aus diesem Grunde halte ich diese Frage für gerechtfertigt:
Mit welcher Begründung glauben Sie, einer Erhöhung nach drei Monaten gerecht zu werden?
3. Der gesetzliche Mindestlohn:
Ihre Partei hat in der letzten Legislaturperiode zusammen mit der CDU einen Kompromiss zum Gesetzlichen Mindestlohn eingeführt. Langzeitarbeitslose bleiben von diesem Recht bei Aufnahme einer Arbeit in den ersten 6 Monaten befreit. Erst nach diesen 6 Monaten hätten sie Anspruch auf den Mindestlohn, sofern sie ihren Arbeitsplatz danach weiterbehalten dürfen.
Sie sind gerade mal drei Monate im Bundestag und stimmen einem Verfahren zu, welche Ihnen im kommenden Jahr mehr Einkommen ermöglicht. Dass innerhalb der ersten drei Monate im Bundestag diese Regelung zur Abstimmung gebracht werden muss, damit sie nicht außer Kraft tritt, muss nicht unbedingt einer Zustimmung ihrerseits folgen.
Meine Frage an Sie: Wäre es nicht klüger gewesen, aus Solidarität mit ihrer eigenen Politik und den Langzeitarbeitslosen zu signalisieren, dass Sie einer Anpassung in weniger als 6 Monaten Ihrer Amtszeit nicht zustimmen? Die Menschen, die in Gelsenkirchen den Auswirkung der Politik Ihrer Partei unterliegen, haben diese Chancen nicht.
4. Der Soziale Arbeitsmarkt/Soziale Teilhabe:
Im Wahlkampf und auch darüber hinaus zeigen Sie, dass Sie einen sozialen Arbeitsmarkt einführen wollen. In Gelsenkirchen wird bereits die soziale Teilhabe umgesetzt. Im Kandidatencheck zur Bundestagswahl vom WDR sagen Sie, dass mit dem Sozialen Arbeitsmarkt Menschen die Chance bekommen sollen, Ihr Geld mit Arbeit zu verdienen.
Sie arbeiten gerade drei Monate und stimmen für die Anpassung Ihrer Diät. Dagegen ist ein Langzeitarbeitsloser, der nach ihrem politischen Modell arbeiten soll, vom Recht auf Mindestlohn zunächst ausgeschlossen. Denn bei der Sozialen Teilhabe heißt es:
„(…) oder aufgrund der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose des Mindestlohngesetzes – kann der Arbeitgeber das niedrigere Entgelt zahlen.“
Das bedeutet:
„Das Mindestlohngesetz sieht in § 22 Abs. 4 folgende Regelung vor: „Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht.“
Nun meine Frage an Sie: Wie fühlt es sich an, sich selbst eine positive Anpassung des monatlichen Einkommens auferlegen zu können? Dagegen wollen Sie Arbeitsmodelle umsetzen, welche Menschen nicht mal an einem Mindestlohn teilhaben lassen müssen. Wie erklären Sie Ihr Verhalten, welches nicht als vorgelebtes Beispiel gelten kann? Wie möchten Sie das ALG-II-Beziehern in Gelsenkirchen vermitteln?
5. Bekämpfung der sozialen Ungleichheit:
In der WAZ-Online vom 2.1.2018 versucht man dem Leser zu vermitteln: „Als Hauptziel formulieren die SPD-Politiker darin die Bekämpfung sozialer Ungleichheit.“ Zudem wird wieder der „Soziale Arbeitsmarkt“ in den Fokus gesetzt. Dass dieser nicht sozial ist, zeigen meine Recherchen, die in dem Stadtmagazin „Isso“ vom November 2017 veröffentlicht wurden.
Da Sie auf dem Titelbild zu sehen sind, scheinen Sie auch in folgender Frage der richtige Ansprechpartner zu sein:
Wie können Sie authentisch dem Bürger in Gelsenkirchen glaubhaft machen, dass Sie mit einer Abstimmung für die Anpassung einer Abgeordnetenentschädigung, soziale Ungleichheit bekämpfen wollen?
6. Reflektion nach der Wahl:
Nach dem Wahldesaster vom 24.9.2017 sagten Sie der WAZ, dass die BürgerInnen die Themen Ihrer Partei nicht honoriert haben. Der Tenor des Artikels stellt dar, dass ein „weiter so“ nicht ginge. Dennoch ist eine der ersten Abstimmungen, die Sie im Deutschen Bundestag tätigen, ein falsches Zeichen an die Menschen, welche in „ihrer“ Stadt in Armut leben.
Meine Frage: Wieso stimmen Sie bei einem so sensiblen Thema genau in die Richtung, wieso die SPD vom Wähler abgestraft wurde? Ist das Ihr Signal? Wie Sie richtig erkennen, hat der Wähler Ihre Themen nicht honoriert. Das mag Gründe haben, die Sie mit Ihrem Abstimmungsverhalten noch vertiefen. Ist das Ihre Lösung, die SPD aus ihrem Tief herauszuholen?
7. AfD:
Es ist entsetzlich, dass gerade in Gelsenkirchen 17% der Wahlberechtigten die AfD gewählt haben. Auch das hat Gründe. Meine Anfrage im letzten Jahr an Frau Hannelore Kraft wurde mit dem Satz beantwortet:
„Der SPD muss niemand sagen, wie mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen umzugehen ist.“
Frau Kraft ist nun nicht mehr Ministerpräsidentin und die AfD dagegen im Landtag bzw. Bundestag. Irgendwas an meiner Anfrage scheint Sie nicht verstanden zu haben.
Haben Sie sich mal gefragt, wie Ihr Abstimmungsverhalten in dieser Sache bei den AfD-Wählern ankommt? Auch wenn Frau Kraft glaubt, man müsse der SPD nicht sagen, wie mit Rechtspopulisten umzugehen ist, scheint es doch bitter notwendig.
Sicher haben einige von den AfD-Wählern Protest gewählt. Wie unklug das ist, mag ich an dieser Stelle nicht näher kommentieren. Ist das Ihr Weg, diese Wähler wieder davon überzeugen zu wollen, NICHT die AfD zu wählen?
Dummerweise hat von der AfD im Bundestag niemand für die Regelung gestimmt. Es mag Kalkül dieser Partei sein, als „die Guten“ in dem Spiel auftreten zu wollen. Dabei wusste jeder Abgeordnete der AfD, dass diese Regelung mit „ja“ abgestimmt wird. Somit konnte die AfD Ihren Wählern wieder suggerieren, dass sie sich für die BürgerInnen (in ihrer Sprache „das Volk“) einsetzt.
Meine Frage: Haben Sie vielleicht nur einen Moment daran gedacht, dass die AfD genau diese Situation nutzen könnte, um sich über die etablierten Parteien erheben zu können? Und Sie geben mit Ihrem Abstimmungsverhalten Wasser auf die Mühlen der AfD-Wähler. Haben Sie überhaupt verstanden, welch ein Signal Sie nach Gelsenkirchen geben?
8. Mehreinnahmen sinnvoll und gemeinschaftlich einsetzen:
Im Gegenzug zur AfD, welche gegen die Anpassung der Abgeordnetenentschädigung gestimmt hat, hat die DIE LINKE agiert. Die Abgeordneten dieser Partei haben die Mehreinnahmen durch die Diätenerhöhung seit 2014 an das SOS-Kinderdorf gespendet. Es waren 100.000 Euro. Auch jetzt hat DIE LINKE gegen diese Regelung gestimmt.
Meine Frage: Werden Sie ebenfalls die Mehreinnahmen, welche ab Mitte 2018 für Sie zu erwarten sind, einem guten Zweck in Ihrer Stadt zukommen lassen? Vielleicht einem Verein, der sich gegen rechtspopulistisches Gedankengut stark macht? Wären Sie bereit, ein Signal zu setzen?
Herr Töns, Sie sehen, diese Anfrage kann nicht durch einen Mitarbeiter Ihres Büros beantwortet werden. Es geht um Ihr persönliches Reden und Handeln. Als Bürgerin der Stadt Gelsenkirchen verstehe ich Ihr Abstimmungsverhalten nicht. Das Signal, welches Sie aus Berlin in unsere Stadt geben, ist nicht das Signal von Bekämpfung sozialer Ungleichheit.
Ich werde meine Anfrage an Sie öffentlich halten und hoffe auf eine Antwort Ihrerseits. Dieser möchte ich eine Chance der Aufklärung in dieser Sache geben und werde sie ebenfalls öffentlich halten.
Vielen Dank im Voraus und
freundliche Grüße
Sandra Stoffers"
Autor:Sandra Stoffers aus Recklinghausen |
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