Das Sommerinterview mit Oberbürgermeister Frank Baranowski

Die grüne Idylle täuscht: Vom Schönreden hält Oberbürgermeister Frank Baranowski nichts. Er sieht - auch den problematischen - Tatsachen lieber ins Auge. Foto: Gerd Kaemper
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Die Ferien sind fast zu Ende: Höchste Zeit fürs Sommerinterview mit Oberbürgermeister Frank Baranowski - die Sonne scheint, Tisch und Stühle stehen auf der Terrasse vor dem OB-Büro im Hans-Sachs-Haus bereit und die Themen können in einer stetig verrückter werdenden Welt kaum abgearbeitet werden.

Da war beispielsweise der große Zeit-Artikel „Der Häuserkampf“, der sich mit der Süd-/Ost-Zuwanderung, organisierter Kriminalität und deren Vorgehensweisen am Beispiel von Gelsenkirchen beschäftigte. Frank Baranowski las ihn während seines Urlaubs. „Ein gut recherchierter, brutaler Bericht, der - wie ich glaube - die Realität widerspiegelt“, schätzt er ein. „Man kann nachvollziehen, wie Mechanismen laufen.“ Für jeden normalen Bürger, der brav seine Steuern zahlt, geht er aber auch gegen das eigene Rechtsempfinden. „Das geht mir auch so. Die Stadtverwaltung tut alles, was in ihrer Macht steht, um diese Machenschaften zu unterbinden, aber um die wirklichen Hintermänner zur Rechenschaft zu ziehen, braucht es andere Machtbefugnisse“, gibt Frank Baranowski die Richtung vor. Auch wenn es in Gelsenkirchen zwischen Polizei und Stadt kurze Dienstwege gibt, benötigt dieses Thema landes- und bundespolitische Beachtung.

Zuwanderung aus dem EU-Osten

Es sei wichtig, das Thema nicht schönzureden. „Aber wir dürfen es auch nicht überdramatisieren“, weiß der OB. Die Stadt ist im Umgang mit schwierigen Vermietern Vorreiter: Sie überprüft Häuser, schließt sie, wenn Gefahren - beispielsweise durch freiliegende Stromleitungen - drohen. „Wir müssen bei der Städtebauförderung keine Gesetze ändern, aber an der einen oder anderen Stelle die Richtlinien“, fordert Frank Baranowski. Er meint damit das stellenweise extrem billige Wohnungsangebot. Das begünstigt die Süd-Ost-Zuwanderung in allen Städten mit günstigem Wohnraum und die damit einhergehenden Probleme - Gelsenkirchen ist beileibe nicht die einzige Stadt, um die es geht. „Würde man die Förderrichtlinien ändern, dann könnten wir die Schrottimmobilien, die uns dieses Problem bescheren, ankaufen und danach abreißen“, führt der Sozialdemokrat aus. „Nach der Wende war das im Osten Tagesgeschäft. Dieses Instrument brauchen wir wieder, um das Billigstwohnangebot zu verknappen.“
Bleibt die wichtige Frage, was man als Bürger macht, wenn man in der Nachbarschaft plötzlich auf überfüllte Häuser, Müllberge und mehr trifft. „Man sollte sich sofort an die Stadtverwaltung wenden“, rät Frank Baranowski. „Es gibt eigens eine Stabsstelle für solche Fälle, die diese dann überprüft und alle Maßnahmen ergreift, die man als Stadt ergreifen kann.“ Da werden Vermieter überprüft, ob diese für ausreichend Mülltonnen sorgen und so weiter.
Für die Zukunft wünscht der OB sich, dass die kriminellen Strukturen stärker von Seiten der Zoll- und Finanzbehörden in den Fokus gerückt werden. „Es kann nicht sein, dass es billiger ist, jemandem Kindergeld zu zahlen, als zu prüfen, ob er überhaupt berechtigt ist“, stellt er klar. „Das ist rechtlich und moralisch nicht in Ordnung und das sehen viele so.“ Apropos Kindergeld: „Es kann auch nicht sein, dass wir hier Kindergeld für Kinder, die in Rumänien leben, zahlen.“ Sozialleistungsmissbrauch und organisierte Kriminalität kann nur durch abgestimmtes Vorgehen aller Beteiligter begegnet werden“.

Kein Kind zurücklassen

Doch es gibt auch die positiven Momente: Regelmäßig geht Frank Baranowski in Kindergärten, denn Gelsenkirchen will kein Kind zurücklassen. „Kürzlich habe ich Kinder besucht, die auf die Schule vorbereitet werden“, schmunzelt er. „Das ist eine Freude, wenn die syrischen Kinder sich schon auf Deutsch verständigen können und fit für die Schule sind.“ Dass es auch andere Kinder gibt, das weiß der Oberbürgermeister auch. „Auch hier hadern wir mit den Richtlinien, denn tatsächlich sind nicht alle Kinder gleich und schnell fähig, in die Schule zu kommen.“ Schönreden liegt dem gebürtigen Gelsenkirchener eben nicht.
Auch nicht, wenn er über die Türkei spricht. „Es ist sehr schwierig die Situation in der Türkei einzuschätzen, wenn man - wie wir - von außen darauf schaut. Man darf ja nicht vergessen, dass dort Bomben explodiert sind, viele Menschen ihr Leben verloren haben und dass alles sehr emotional war für die Menschen, die dort wohnen, aber auch für die türkischstämmigen Gelsenkirchener. Es ist unakzeptabel, wenn ein demokratisch gewählter Staatschef mit militärischen Mitteln abgesetzt werden soll. Aber das darf nicht bedeuten, dass wir jetzt alles gutheißen, was dort passiert. Und dass die Auseinandersetzungen nach Deutschland überschwappen, ist absolut unakzeptabel. Gewalt ist immer unakzeptabel! Ganz egal, ob es um rivalisierende religiöse Gruppen geht: Alle, die sich friedlich und mit Argumenten auseinandersetzen wollen, dürfen das in Gelsenkirchen tun.“

Wenn Gelsenkirchen weit vorn ist

Diese Stadt, die oft so schlecht geredet wird, hat definitiv ihre guten Seiten - und geht ihre Probleme aktiv an. „Ich hätte auch gern, dass vieles schneller geht, aber wir sind eben eine Stadt, die nicht viel Geld hat und können nur Schritt für Schritt vorgehen“, gibt Baranowski zu. Umso mehr freut es ihn, wenn er bei einem Termin mit Vizekanzler Sigmar Gabriel, der auf Förderprogramme für Glasfaser-Vernetzung für Gewerbegebiete und Schulen hinweist, sagen kann: „Das haben wir in Gelsenkirchen alles schon.“ Es gibt eben doch Dinge, bei denen Gelsenkirchen weit vorne ist. Das sehen aber die Gelsenkirchener nicht immer so, oder? „Das ist ja mein Mantra, dass man das Glas als halbvoll und nicht als halbleer ansehen sollte“, grinst der 54-Jährige. „Doch das machen einige Gelsenkirchener nicht so gern, lieber meckern sie über ihre Stadt, in der sie dann aber gern ein Leben lang wohnen bleiben...“

Umgangston in sozialen Netzwerken

Worüber sich Frank Baranowski Sorgen macht, sind die Hasstiraden, die man in den sozialen Netzwerken findet, der Ton, mit dem man mittlerweile miteinander umgeht, No-Go-Formulierungen, die plötzlich salonfähig zu sein scheinen. „Gute Umgangsformen sind wichtig, aber plötzlich gelten Drohungen als politische Variante, das kann nicht richtig sein.“ Manchmal, wenn er sonntags Zeit hat, dann liest er DIE ZEIT - also die richtige Zeitung aus Papier - und da war kürzlich der Aufmacher: „Der Kampf um die Demokratie hat begonnen“... Diese Schlagzeile läuft Frank Baranowski, wie er nachdenklich einräumt, bis heute nach.

Pokemon fangen im Nordsternpark

Nach der Lektüre ging es zu einem Spaziergang durch den Nordsternpark. „Plötzlich standen wir vor einer ganzen Menschenansammlung und dachten: Was ist da los? Eine Spontan-Party?“ Aber nein, diese Menschen wollten nicht etwa den ersten Mann ihrer Stadt treffen, sondern Pokémons fangen... Solange es das in einem Gelsenkirchener Park noch gibt, kann es doch um die Stadt nicht allzu schlecht bestellt sein?! „Da stimme ich zu“, lächelt der Oberbürgermeister, den die Sorgen um sein Gelsenkirchen umtreiben, der sich aber auch beim Joggen am Kanal absolut entspannen kann. „Das ist am frühen Morgen ein wunderbarer Ort.“

Mit Schalkern auf dem Balkon...

Genauso wie die Schalke-Arena und der Balkon am Hans-Sachs-Haus... „Ja, genau! Jetzt mit der neuen personellen Konstellation beim FC Schalke hoffen wir natürlich, dass der Balkon endlich genutzt werden muss“, sagt der Stadt-Chef, dem Manuel Neuer einst den DFB-Pokal zuwarf. Und das, was so gut wie alle Gelsenkirchener eint, ist und bleibt die Liebe zu Königsblau - in guten und in schlechten und in verrückten Zeiten...

Die grüne Idylle täuscht: Vom Schönreden hält Oberbürgermeister Frank Baranowski nichts. Er sieht - auch den problematischen - Tatsachen lieber ins Auge. Foto: Gerd Kaemper
Gern erklärt Frank Baranowski seine Stadt auch vom Rathaus-Balkon aus - und ein paar Sehenswürdigkeiten von Tetraeder bis Gasometer aus den Nachbarstädten kann man auch sehen.Fotos: Gerd Kaemper
Autor:

Silke Heidenblut aus Essen

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