Chancen für Chantal - Stadt führt Sozialdienst Schule ein
„Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“, lautet eine afrikanische Weisheit. Der gesellschaftliche Wandel ist hierzulande soweit vorangeschritten, dass das Dorf die Verantwortung für die Erziehung der Kinder nicht mehr übernehmen kann.
von Harald Gerhäußer
GE. Mit dem Sozialdienst Schule (SDS) reagiert das Referat Erziehung und Bildung der Stadt Gelsenkirchen auf die prekäre Ausgangslage (s. Kasten „Hintergrund“) an den Grundschulen der Stadt. Damit erweitert sich die 2005 begonnene „ganzheitliche Präventionskette“ um ein weiteres Glied. Der SDS knüpft dort an, wo die bisherigen Sozialangebote - getreu des Mottos „Bildung und Erziehung von Anfang an“ - enden: Nach der vorgeburtlichen Betreuung (Familienhebammen) helfen bisher die Kindertagesstätten und Familienzentren sowie die Tagespflege.
Es braucht aktive Präventionspolitik
Der SDS sorgt nun seit August 2012 in den Grundschulen dafür, dass kein Kind auf der Strecke bleibt. „Denn für Bildungsgerechtigkeit ist eine aktive Präventionspolitik notwendig, da die Bildungschancen von Kindern, wie zuletzt in der Pisa-Studie belegt, im direkten Verhältnis mit der sozialen Herkunft der Eltern stehen“, sagt Oberbürgermeister Frank Baranowski in einem Pressegespräch zum neuen Sozialdienst Schule. Deswegen sei bei der Konzeption des SDS dem Ziel nachgegangen worden, finanzielle Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes strategisch so zu strecken, dass daraus langfristig eine Maßnahme zur Förderung der Chancengleichheit werde, so Baranowski.
Insgesamt 7,8 Millionen Euro Fördermittel des Bundes und Landes wurden auf sieben Jahre verteilt. Dadurch ließen sich 14 Stellen neu einrichten, so dass insgesamt 17 pädagogische Fachkräfte an 16 Schwerpunktschulen tätig sind. Von den Schwerpunktschulen aus werden die umliegenden Grundschulen nach dem Satellitenprinzip betreut.
„Immer offene Ohren“
Neriman Aksoy ist eine der insgesamt 17 pädagogischen Fachkräfte, die für den SDS tätig sind. Sie berichtet, dass die Familien das Gesprächs- und Beratungsangebot gerne annehmen. „Der Einstieg ist für uns immer, dass wir das Interesse am Wohl des Kindes betonen. Kein Elternteil will, dass es dem eigenen Kind schlecht geht. Da stößt man immer auf offene Ohren.“ Etwa 190 Familien wurden seit August 2012 betreut. „Dabei mussten auch die Lehrer an den Schulen umdenken“, berichtet Renata Jurgawka, Schulleiterin der Grundschule am Schloss Horst. Üblich sei es bisher schon gewesen, dass man im Lehrerzimmer über die Fehlzeiten der Grundschüler gesprochen habe. Allerdings sei der Vorschlag der Pädagogen des SDS, man könne bei unentschuldigtem Fehlen doch sofort gemeinsam zu der Familie fahren, für die meisten Lehrer zunächst eine große Herausforderung gewesen, schildert die Schulleiterin.
Aber auf diese Weise arbeitet der SDS. Neben dem Angebot an Sprechstunden an den Schwerpunktschulen wird den Eltern vor allem Hilfe zur Selbsthilfe gegeben. „Die meisten Probleme entstehen aufgrund der sozialen Herkunft in Verbindung mit fehlender Bildung. Die Hilfestellung des SDS führt dann meist zu einer schnellen Verbesserungen der Situation, weil meist schnell eine Lösung für die Probleme gefunden wird. Wenn zum Beispiel durch die fehlenden Deutschkenntnisse der Mutter Probleme bei den Kindern entstehen, kann der SDS Dolmetscher hinzuziehen, um an den Kern des Problems zu kommen“, schildert Eva Kleinau vom SDS.
Mit Projekten möglichst viel Kinder erreichen
Zu den Einzelfallberatungen kommen noch Projekte des SDS, mit denen eine weit größere Zahl an Grundschülerinnen und -schülern erreicht werden kann. In diesen Projekten werden vor allem Grundfähigkeiten der Schüler trainiert: Konzentration, Konfliktbewältigung, soziale Kompetenz, aber auch die Hygiene sowie das Selbstwertgefühl erlernen die Kinder spielerisch.
Eines dieser Projekte leitet der Künstler und Musikpädagoge der Folkwang-Universität, Ömer Bektas in Kooperation mit der Musiklehrerin Heike Krämer. Es heißt „Body Percussion“. Dabei lernen die Kinder mit den Händen und Füßen und dem Trommeln und Klatschen auf Brust und Oberschenkel Klänge zu erzeugen und werden rhythmisch und choreographisch zu einer Einheit.
Welche Fähigkeiten dabei ganz nebenbei geschult werden, merken die Schüler vor lauter spielerischem Spaß am Ende wahrscheinlich gar nicht. Aber das ist auch das Ziel des Sozialdienstes Schule: Hilfe ohne all zu viel theoretischen Ballast.
Hintergrund:
Mehr als ein Viertel (26,3 Prozent) aller Kinder in Gelsenkirchen wächst mit nur einem Elternteil auf. Fast jedes zweite Kind (48 Prozent) unter zehn Jahren und 50 Prozent aller Kinder, die 2012 eingeschult werden, haben einen Migrationshintergrund. Fast 19 Prozent der Einwohner beziehen Transferleistungen. Knapp 30 Prozent davon sind Familien mit drei und mehr Kindern. Über 12.000 Kinder unter 15 Jahren leben im SGB II Bezug (Hartz IV) , weitere 5.000 Kinder leben in Familien die andere Sozialleistungen beziehen. Etwa 42 Prozent der 2011 eingeschulten Kinder stammen aus Familien mit niedrigem Bildungsniveau.
Autor:Harald Gerhäußer aus Bochum |
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