Wildgänse fühlen sich in Gelsenkirchen heimisch, aber nicht immer geliebt
Segen oder Fluch?
Seit einigen Jahren heißt es in Gelsenkirchen nicht mehr "Die Wildgänse kommen", wenn die Vögel im Frühjahr als Formationsflieger aus dem sonnigen Süden zurückkehren und hier schon als Frühlingsboten erwartet werden. Vielmehr zieht es die Gänse gar nicht mehr weg aus den Parks der Stadt, nicht immer zum Gefallen der Besucher, die sich durch Kot, durchaus auch aggressive Tiere und deren Gekreische gestört fühlen.
So kann es morgens auf dem Weg durch die Innenstadt schon mal passieren, dass man von einer kreischenden Gans, die sich auf dem Dach des Augustinushauses niedergelassen hat, lautstark begrüßt wird. Nichts gegen Vogelgezwitscher, aber das Gänseschnattern kann durchaus schon mal in ein unangenehmes Krächzen ausarten. Daran ist aber auch festzustellen, dass die Tiere immer mehr ihre Hemmungen und Ängste Menschen gegenüber verlieren, was nicht ganz unproblematisch ist.
Der Stadtspiegel erkundigte sich bei Stefan Lacher, dem Vorsitzenden der Kreisjägerschaft Gelsenkirchen, oft und wie die Population der Wildgänse kontrolliert werden kann.
"Bei uns in der Stadt hat sich, wie auch leider in großen Teilen des gesamten Landes, in der Vogelwelt vieles geändert. Insgesamt gibt es viel weniger Vögel als vor 40 bis 50 Jahren und das Artenspektrum ist erheblich zurückgegangen. Viele Arten kommen gar nicht mehr vor oder sind stark rückläufig, wie die Hauben- und Feldlerche, Rebhuhn, Teich-, Sumpfrohrsänger, Wiesenpieper, Feldschwirl, Waldlaubsänger, Pirol oder Gartenrotschwanz. Aber vereinzelt sind auch Arten dazugekommen oder kommen jetzt zahlreicher vor als früher, dabei denke ich an Uhu, Kormoran, Wanderfalke, Habicht oder Rabenkrähe. Zu den letzt Genannten zählen auch einige Gänsearten. Denn Kanada-, Grau- und Nilgans kamen früher bei uns nicht vor. Jetzt sind sie fast im ganzen Stadtgebiet zahlreich vertreten, zumindest was die Kanada- und Nilgans betrifft. Die Graugans kommt bei uns überwiegend nur im Norden der Stadt vor. Diese drei Gänsearten sind bei uns "Stand- bzw. Jahresvögel", das heißt sie halten sich ganzjährig bei uns auf. Vereinzelt kommen auch noch Nonnengänse oder Rostgänse vor. Während man die Graugans noch im weiteren Sinne als einheimisch ansehen kann, kamen alle anderen Gänsearten hier ursprünglich nicht vor. Es sind sogenannte Neozoen. Gebietsfremde Arten, die ausgesetzt, aus Zoos, Gehegen oder anderen Einrichtungen entflohen oder aus Nachbarländern eingewandert sind", erläutert Lacher.
Diese Neozoen sieht der Jäger als Problem, weil sie in Konkurrenz zu einheimischen Arten treten und diese auch verdrängen können. So bezeichnet er die aus Afrika stammende Nilgans als "extrem aggressiv, sehr anpassungsfähig und besitzt eine sehr hohe Reproduktionsrate. Was dazu führt, dass sie einheimische Entenarten und sogar die anpassungsfähige Stockente verdrängt." Die Kanadagans ist insgesamt verträglicher, aber auch da kommt es vor, dass kleinere Arten verdrängt und auch im Einzelfall getötet werden.
Lacher bestätigt die Meinung vieler Bürger, dass Gänse Schäden an der Vegetation anrichten und die Verkotung von Liegewiesen oder Badeseen ein Problem darstellen kann. Noch dazu kommt das Problem des Lebensraumes, wie Lacher erklärt: "Alle Lebensräume sind begrenzt. In jedem Lebensraum sind alle für eine Art wichtigen Ressourcen(Nahrung, Nist- oder Brutplätze, Verstecke usw.) ebenfalls begrenzt. Somit verfügt jeder Lebensraum, egal wie gut oder schlecht er ist, über eine gewisse "Lebensraumkapazität". Diese Lebensraumkapazität kann allenfalls kurzfristig, nie aber längerfristig und schon gar nicht dauerhaft überschritten werden."
Und da kommen die Jäger ins Spiel: "Die Jagd ist bei uns in erster Linie eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Nutzung von Wildtierbeständen. Es werden möglichst nur so viele Tiere erlegt, wie quasi "nachwachsen" bzw. quasi aufgrund der Anpassung an den Lebensraum eh gestorben wären."
Denn wie der Jäger schildert verändert sich die Lebensraumkapazität im Jahresverlauf stark. Im Frühjahr steigt die Kapazität, es grünt, blüht und summt, die Lebensbedingungen verbessern sich. Die Reproduktionszeit beginnt und die Tierbestände steigen an. Im Jahresverlauf verschlechtern sich aber die Bedingungen. Das Grün verwelkt, die Lebensbedingungen werden schlechter, die Lebensraumkapazität sinkt. Es gibt mehr Individuen als zu Beginn des Frühjahres, aber weniger Nahrung und weniger Versteckmöglichkeiten. Das große Sterben setzt ein, um die angewachsenen Tierbestände an die Lebensraumkapazität anzupassen. Der "Natur" ist es aber egal, wodurch oder durch wen dies geschieht. Der Jäger kann im Prinzip den Teil der Population durch Jagd entnehmen, der über der Lebensraumkapazität liegt und demzufolge eh gestorben wäre.
"Das Nachhaltigkeitsprinzip der Jagd beruht darauf, die natürliche Sterblichkeit quasi vorweg zu nehmen. Eine so durchgeführte Jagd wirkt sich nicht auf die Populationsdichte aus und gefährdet daher auch keine Art", erläutert Lacher.
Soll aber aufgrund von Schäden oder anderer negativer Einflüsse, wie der Verdrängung anderer Arten, eine Tierpopulation abgesenkt werden spricht man vom Wildtiermanagement und davon, dass der Eingriff so stark ist, dass er eben nicht mehr durch eine etwas gesteigerte Reproduktionsrate oder gesenkte Todesrate kompensiert werden kann. Heißt im Klartext: es müssen mehr Individuen erlegt werden, als durch erhöhte Reproduktion, Zuzug und verringerte Sterberate ausgeglichen werden kann.
Der Vorsitzende der Kreisjägerschaft weiß aber auch: "Gänse in der Stadt sind für viele Menschen eine "Bereicherung" und eine der wenigen Möglichkeiten, mit Wildtieren in "Kontakt" zu treten. Deshalb ist es auch verständlich, dass sich einige Menschen vehement gegen eine Bejagung aussprechen."
Denen, die die Gänse inzwischen eher als Plage sehen sei gesagt: Zur Zeit werden Gänse in den Jagdbezirken im Rahmen der gesetzlichen Jagdzeiten erlegt. Da aber im Stadtgebiet in vielen Bereichen, insbesondere in den Parkanlagen, nicht auf Gänse gejagt werden darf, ist somit eine Absenkung des gesamten Gänsebesatzes nicht möglich. Dazu müsste, wie dargelegt die Erlegungsrate deutlich gesteigert werden.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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