Menschen mit Behinderung
Wie das Inklusionsunternehmen georgs. plus Menschen mit Behinderung eine Perspektive auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bietet

2023-07-10-SozialwerkStGeorg-NinaJerabeck.jpg: Nina Jerabeck nach bestandener Qualifizierungsmaßnahme vor ihrer neuen Arbeitsstätte | Foto: Sozialwerk St. Georg-NinaJerabeck.jpg:
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Gruppenfoto. Stellten neue Angebote von georgs.plus vor: (von links) Vorstand Wolfgang Meyer, Vorständin Gitta Bernshausen, Alltagsbegleiterin Nina Jerabeck, Pädagogische Leitung Linda Wuttke und Geschäftsführer Adrian van Eyk | Foto: Sozialwerk St. Georg-Neue WegeIn Arbeit-
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Gelsenkirchen/NRW. – Der Mangel an geeignetem Personal betrifft inzwischen Unternehmen fast aller Branchen. Gleichzeitig finden Menschen mit Assistenzbedarf bzw. einer Behinderung keinen geeigneten Arbeitsplatz. Das Gelsenkirchener Inklusionsunternehmen georgs.plus, eine 100%ige Tochter des Sozialwerks St. Georg, bringt mit neuen Angeboten Menschen mit Assistenzbedarf oder einer Behinderung und Unternehmen zusammen: durch Qualifizierungen und eine enge Begleitung von Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen.

Nina Jerabecks berufliche Laufbahn wurde vor sechs Jahren nach einer schweren Krankheit plötzlich unterbrochen. Ihrem Job als Verkäuferin im Einzelhandel fühlte sie sich anschließend nicht mehr gewachsen und nach mehreren Stationen kam sie schließlich in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) in Gelsenkirchen, die Emscher-Werkstatt. Deren Ziel ist es, Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren oder, wie es im Gesetz steht: ihnen „die Teilhabe am Arbeitsleben“ zu ermöglichen. „Die Situation für Menschen mit Assistenzbedarf bzw. einer Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gestaltet sich bisweilen schwierig,“ berichtet Adrian van Eyk, Geschäftsführer jener WfbM. „Es ist eine kleinteilige, vielschichtige und ganzheitliche Herangehensweise gefordert, sie dort abzuholen, wo sie stehen. Genau das versuchen wir mit unseren neuen Angeboten umzusetzen.“

Teilhabe am Arbeitsleben: Endlich wieder dazugehören!

Als Nina Jerabeck 2019 in die Emscher-Werkstatt kam, ging es für sie zunächst darum, sich zu orientieren und Bereiche zu identifizieren, in denen sie sich einen künftigen Arbeitsplatz vorstellen konnte. Nach mehreren Praktika war für sie klar, dass sie „gerne etwas mit Menschen“ machen wollte. Mit dem Angebot, eine Qualifizierung zur Betreuungskraft zu machen, sah sie endlich wieder eine Perspektive für sich. „Die Maßnahme dauerte 18 Monate. Wir haben vier Tage in der Woche im Betrieb gearbeitet und an einem Tag am Theorieunterricht teilgenommen. Nach sechs Jahren aus dem Berufsalltag raus, musste ich also wieder voll einsteigen und das war nicht immer einfach.“ Während dieser Zeit stand ihr ein so genannter „Job- Coach“ in der Emscher-Werkstatt zur Seite.
Linda Wuttke ist pädagogische Leitung bei georgs.plus. Das Inklusionsunternehmen gehört im Verbund mit der Emscher-Werkstatt zum Angebot des Sozialwerks St. Georg für den Bereich Arbeit, Bildung und Beschäftigung in Gelsenkirchen. Sie begleitet Nina Jerabeck, seitdem diese ihre Qualifizierung abgeschlossen hat: „Wenn wir Menschen wie Frau Jerabeck auf ihrem Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützen, dann ist häufig eine enge Begleitung notwendig. Über das „Budget für Arbeit“ des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe können unsere Job-Coaches dies leisten. Sie sind gerade dann sehr wichtig, wenn es mal schwierig wird, wenn zum Beispiel Konflikte mit dem Arbeitgeber drohen. Außerdem zeigen sie den frisch gebackenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Perspektiven für ihre berufliche Zukunft auf.“

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Nina Jerabeck hat ihr Ziel, die Qualifizierung zur Betreuungskraft erfolgreich zu beenden, nie aus den Augen verloren und die Maßnahme Anfang dieses Jahres erfolgreich abgeschlossen. Die Mühe hat sich gelohnt, denn direkt im Anschluss konnte sie eine sozialversicherungspflichtige Arbeitsstelle als Alltagsbegleiterin in der Manufaktur Jürgen Sommerfeld der Emscher-Werkstatt antreten. Dort unterstützt und begleitet sie Menschen mit komplexem Assistenzbedarf in ihrem Arbeitsalltag. Unbefristet und in Vollzeit. „Was das für mich bedeutet, kann ich gar nicht beschreiben. Ich habe das Gefühl, gebraucht zu werden. Ich verdiene wieder gutes Geld. Und ich bin gleichberechtigter Teil eines Teams“, erzählt sie. „Endlich gehöre ich wieder dazu!“
Gitta Bernshausen, Vorständin des Sozialwerks St. Georg, bestärkt sie: „Wir qualifizieren, unterstützen und befähigen Menschen, eine Ausbildung durchzuhalten oder vollwertig am Arbeitsleben teilzuhaben. Frau Jerabeck steht hier stellvertretend für viele andere. Mit praxisnahen und kleinteiligen Qualifizierungsbausteinen und einer individuellen Unterstützung sowohl der Menschen mit Assistenzbedarf wie der Unternehmen bieten wir eine echte Alternative zu einer Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung!“

Unternehmen nehmen Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten noch zu wenig an
Adrian van Eyk ist froh über die Verstärkung durch Nina Jerabeck: „Wir suchen, wie die gesamte Gesundheits- und Sozialbranche, eigentlich ständig qualifiziertes Personal. Andererseits sehen wir viele Menschen mit einer Behinderung, die arbeitssuchend sind – allein in Gelsenkirchen waren es im Juni 2023 fast 1.700 Personen. Mit dem, was wir hier bei georgs.plus anbieten, können wir beide Seiten bedienen: Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen.“ Linda Wuttke ergänzt: „Wir spüren bei einigen Unternehmen eine gewisse Zurückhaltung, wenn es darum geht, Menschen mit einer Behinderung einzustellen. Vielen fehlt es an Erfahrung im Umgang mit dieser Zielgruppe. Das verunsichert sie. Außerdem kennen sie die Fördermöglichkeiten häufig nicht, die sie in Anspruch nehmen könnten. Diese gibt es ja durchaus, gerade wenn es darum geht, Menschen mit einer Behinderung aus einer WfbM heraus einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu bieten.“
Schlüssel zum Erfolg: individuelle, personenzentrierte Unterstützung
Genau hier hat georgs.plus einen Schwerpunkt für sich identifiziert. Linda Wuttke weiter: „Wir beraten, wenn es um die Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz geht. Wir coachen Menschen auf ihrem Weg ins Berufsleben, unterstützen sie beim Bewerbungsprozess und begleiten sowohl Menschen mit Behinderung als auch Unternehmen, wenn ein Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag zustande gekommen ist. Und seit kurzem sind wir auch ein anerkannter Bildungsträger, zum Beispiel für Qualifizierungen zur Betreuungskraft, wie Frau Jerabeck sie durchlaufen hat.“

Wolfgang Meyer, Vorstandssprecher des Sozialwerks St. Georg, sieht genau darin eine große Chance: „Als Inklusionsunternehmen kann georgs.plus auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgreifen, was das Miteinander von Menschen mit und ohne Assistenzbedarf im Arbeitskontext angeht. georgs.plus ist ja einerseits Arbeitgeber und gleichzeitig ganz nah an der Zielgruppe, den Menschen mit Assistenzbedarf oder einer Behinderung, dran. Wir kennen beide Positionen und so ist es nur folgerichtig, die Qualifizierungs-, Beratungs- und Coachingangebote bei georgs.plus anzusiedeln.“ Meyer ergänzt: „Die Situation von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt ist schwierig. So sind sie zum Beispiel wesentlich länger arbeitssuchend als Menschen ohne Behinderung. Die Bundesregierung hat zwar die Erhöhung der Ausgleichsabgabe für Unternehmen beschlossen, die trotz Verpflichtung keine Menschen mit einer Schwerbehinderung beschäftigen. Das begrüßen wir. Aber eine selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung kann nur gelingen, wenn wir deren Talente und Fähigkeiten erschließen und gleichzeitig die Türen der Unternehmen öffnen für diese Menschen. Dann leisten wir einen wirkungsvollen Beitrag für mehr Inklusion am Gelsenkirchener Arbeitsmarkt.“

Noch Plätze frei: Neue Qualifizierung zur Betreuungskraft im Herbst 2023
Zehn Teilnehmende können an der Qualifizierungsmaßnahme zur Betreuungskraft im Herbst 2023 starten. Linda Wuttke: „Wer in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung beschäftigt ist und sich vorstellen kann, in der Alltagsbegleitung zu arbeiten, kann sich gerne bei uns melden.“

Geplant: Netzwerk für die Gastro-Szene
Dabei soll es nach dem Willen von Adrian van Eyk nicht bleiben: „Auch die Gastronomie leidet als Folge des demografischen Wandels und nicht zuletzt nach der Corona-Pandemie extrem unter Personalmangel. In Kürze können wir in Kooperation mit einem Hotel in Bochum die praktische Qualifizierungsbausteine im Service und in der Küche anbieten. Und wir haben noch mehr vor: Wir wollen ein Netzwerk in der Gastro-Szene etablieren. Wir stellen uns vor, dass künftig mehrere Betriebe wie Hotels, Restaurants oder Cafés diese Praxiseinheiten anbieten und so die Menschen mit Behinderung während der Qualifizierungsmaßnahme verschiedene Unternehmen kennenlernen können. Mit einem breiteren Erfahrungsschatz im Rücken haben sie dann noch bessere Chancen auf einen dauerhaften Arbeitsplatz mitten in der Gesellschaft.“

Nina Jerabeck ist dort längst wieder angekommen. Sie plant, sich weiter zu qualifizieren und vielleicht bald in der Pflege zu arbeiten. Und sie wird Teil der nächsten Qualifizierungsmaßnahme zur Betreuungskraft bei georgs.plus werden, indem sie den Theorieunterricht mit gestaltet und von ihren Erfahrungen berichtet. „Meine wichtigste Mission dort wird werden, den Teilnehmenden Mut zu machen und sie zu bekräftigen, die 18 Monate durchzuhalten. Es lohnt sich in jedem Fall, man fühlt sich wie ein ganz anderer Mensch.“

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Autor:

Heinz Kolb (SPD aus Gelsenkirchen

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