GELSENBERG VOR 75. Jahre
Jahre Demontage von Gelsenberg Benzin 1949. Teil 2
Dienstag, den 31. Mai Demonstrationszug in Horst:
Alle Betriebe des Handels, des Handwerks, der Gaststätten und aller Firmen der gewerblichen Wirtschaft waren am Dienstag. 3. Mai. 1949 vom 14.30 bis 17.00 Uhr geschlossen, um sich durch diese Demonstration der großen Kundgebung anzuschließen, die auf dem Horster Sportplatz am Schollbruch gegen die Demontage von Gelsenberg Benzin protestieren.
Hauptredner war Landtags-Vizepräsident Alfred Dobbert SPD, der sich für dass man am Vormittag Besprechungen mit der Militärregierung über die Notlage geführt hätte.
Die Oberbürgermeister Geritzmann (Gelsenkirchen) und Lange (Gladbeck) wiesen nachdrücklieh auf die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Demontage hin und protestierten gegen die Schaffung neuer Trümmerberge. Domkapitular Propst Wenker verlas einen Brief des Bischof von Münster, Propst Riekes einen des Erzbischofs von Paderborn, die mit der Versicherung schlossen, alles, was in ihrer Macht stehe, zur Abwendung der Gefahr zu versuchen.
Superintendent Kluge gab bekannt, daß die Evangl. Kirche von Westfalen Verbindungen mit London und Stockholm aufgenommen habe. In die Abwehrfront reihten sich auch alle Verbände der Wirtschaft ein, als deren Vertreter Syndikus Confer sprach. Dass die Werksleitung nichts unversucht lassen werde, unterstrich Bergassessor Schulze-Buxloh. Auch Gewerkschaftssekretär Jarreck von der Industriegewerkschaft Bergbau, ein Mitglied des Betriebsrats des Hydrierwerks Scholven und Hans Böhm vom Hauptvorstand des DGB geißelten die kurzsichtige und einseitige Demontagepolitik. 10 000 Personen aus allen Kreisen der Bevölkerung, darunter auch viele Frauen, wohnten der Kundgebung bei.
Am 01. Juni. Besuchte Bischof Dr. Michael Keller in Begleitung von Generalvikar Dr. Pohlschneider das Hydrierwerk Gelsenberg Benzin. Nachdem er mit der Gewerkschaft und der Belegschaft gesprochen hatte, besichtigte er das Werk und gab abschließend eine Erklärung ab, in der er darauf hinwies, daß er sich als Bischof verpflichtet fühle, in einer so ernsten Stunde an das Gewissen derer zu appellieren, die über das äußere Schicksal der deutschen Bevölkerung zu bestimmen die Macht hätten. Nach seiner Überzeugung lasse es sich mit naturrechtlichen und christlichen Grundsätzen nicht vereinbaren, für Tausende von Menschen bewußt und freiwillig durch die Demontage des Werkes ein solches Elend herbeiführen. Daher richte er an alle einsichtigen und christlich denkenden Kreise die Mahnung und dringende Bitte, um Gottes und der Menschen willen alles zu tun, um noch in letzter Stunde das durch die Demontage drohende Unglück zu verhüten.
Durch den Stadtverordneten Löbbert ließ der Bischof der zu gleicher Zeit tagenden Stadtverordnetenversammlung seine Grüße übermitteln.
Die Stadtverordnetenversammlung protestierte gegen die beabsichtigte Demontage der Gelsenberg Benzin AG. Sie faßte einstimmig folgende Entschließung:
"Der Rat der Stadt Gelsenkirchen protestiert auf das entschiedenste gegen die Stillegung und Demontage der Hydrieranlagen des Werkes Gelsenberg Benzin. Es sieht in der Anordnung einen schweren Schlag gegen die junge deutsche Demokratie und einen Widerspruch zu den Versprechungen der Besatzungsmächte, Deutschland beim friedlichen Aufbau zu helfen. Die Werksstillegung macht Zehntausende von unschuldigen und durch die Kriegsereignisse genug gequälten Menschen brotlos. Sie untergräbt nicht nur die Lebensmöglichkeit der Werksarbeiter und ihrer Angehörigen, sondern auch die wirtschaftliche Grundlage der von den Werken und ihrer Belegschaft abhängigen Wirtschaftskreise. Sie vermehrt die sozialen Lasten der öffentlichen Hand und vermindert zugleich auf das empfindlichste die Steuereinnahmen und damit ihre Hilfsmöglichkeiten. Es verstößte gegen Treu und Glauben und jedes Rechtsempfinden, wenn zuerst die Genehmigung zur Verarbeitung von Rohöl gegeben, daraufhin der Aufwand von 17 Mill. DM zum Wiederaufbau zugelassen und nunmehr überraschend die Stillegung und Demontage befohlen wird. Die Überzeugung, daß die Demontage aus Sicherheitsgründen und nicht aus solchen der Beseitigung einer Konkurrenz erfolgt, kann durch derartig ungerechte und wirtschaftlich unvernünftige Maßnahmen nicht gefördert werden. Die Stadtverwaltung richtet daher an die Verantwortlichen die Forderung, die erteilte Betriebserlaubnis weitergelten zu lassen, die Demontage oder die Zerstörung zu unterlassen und damit dem Grundsatz der Menschlichkeit zum Siege zu verhelfen".
Diese Entschließung wurde dem Gouverneur von Nordrhein-Westfalen, allen anderen Besatzungsbehörden, dem Außenministerrat in Paris und den großen Arbeiterorganisationen in der Weltzugeleitet.
Auch die Obermeister der Innungen der Kreishandwerkerschaft Buer stimmten in ihrer Zusammenkunft dem Protest der Bevölkerung gegen die geplante Demontage der Hydrierwerke Gelsenberg Benzin und Scholven einmütig zu. Donnerstag, den 9. Juni forderte der britische Gouverneur von Nordrhein-Westfalen, General Bishop, alle deutschen Stellen auf, bis Sonntag 0.00 Uhr den Widerstand gegen die angeordneten Demontage-Maßnahmen einzustellen; anderenfalls werde die Militärregierung sich gezwungen sehen, die Werke gänzlich zu schließen, um einen sicheren und ruhigen Verlauf der Abbauarbeiten zu erreichen. Bezüglich des Hydrierwerkes der Gelsenberg Benzin AG und des im Zusammenhang mit der angeordneten Demontage vorgebrachten Arguments, daß nach der Währungsreform noch 17 Mill. DM investiert worden seien, erklärte General Bishop, die deutschen Stellen seien verschiedentlich davor gewarnt worden; die Militärregierung habe nicht garantiert, daß diese Anlagen erhalten bleiben würden.
Die Essener Abbruchfirma Sulzbach legte eine eidesstattliche Erklärung vor, daß sie die Demontagearbeiten bei Gelsenberg Benzin nicht übernehmen werde, Die Firma habe im Einverständnis mit den Betriebsräten von Gelsenberg und Scholven sowie mit den zuständigen Gewerkschaften die Ausführung der Arbeiten ausdrücklich abgelent.
Bei der Gelsenberg Benzin AG traf am Samstag 11. Juni. die Mitteilung ein, daß die Demontage der Hydrieranlage bis Mitte August ausgesetzt worden sei. Damit war allerdings noch längst keine Beruhigung in der Belegschaft eingekehrt, weil das Schreckgespenst der Arbeitslosigkeit nicht endgültig vertrieben war. Sie wollte kein Stillhalteabkommen, sondern die endgültige Abwendung der 10 000 Menschen bedrohenden Demontage.
Fraktionsvorsitzender Sandmann der CDU wandte sich in einem ausführlichen Schreiben an den ehemaligen britischen Premierminister Churchill. Er bat ihn im Namen der 3 000 Belegschaftsangehörigen und ihrer Familien, sich im Sinne der Verhinderung der Demontage bei den maßgebenden Stellen in England und in der Welt einzusetzen.
Gewerkschaftssekretär Scharley gab von einem Schreiben Kenntnis, wonach der Präsident der amerikanischen Automobilgewerkschaft sich persönlich an Präsident Truman gewandt habe mit der Bitte, die sinnlose Zerstörung wirtschaftlicher Kapazitäten in Deutschland einzustellen; das sei eine wichtige Voraussetzung zur Schaffung eines gesunden demokratischen Deutschland.
Auch der Jugendring der Stadt Gelsenkirchen wandte sich mit einem Schreiben wegen der drohenden Demontage der Gelsenberg Benzin AG an die drei größten britischen Jugendorganisationen, in dem es u.a. hieß: 11Wir können der Behauptung der Besatzungsmacht keinen Glauben schenken, daß diese Demontage aus Sicherheitsgründen notwendig sei, neigen vielmehr zu der Überzeugung, daß der Beweggrund dieser Maßnahmen Konkurrenzgründen bestimmter Wirtschaftskonzerne entspringt. Wir Vertreter der Jugendverbände betrachten den Befehl unserer Besatzungsmacht, die dieser Jugend jetzt die Arbeitsplätze und den Glauben an einen sinnvollen Neuaufbau Europas nimmt, als einen Schlag ins Gesicht aller Gutgesinnten. Wir rufen die Jugend der Welt, vornehmlich die englische Jugend, auf, alles zu tun, um eine ungerechte und unvernünftige Maßnahme zu verhindern, die eine breite Schicht unschuldiger Jugend in Verzweiflung stürzen und den Gedanken von Haß und Rache in die Arme treiben würde".
Eine englische Abordnung mit fünf Vertretern der Chemiebranche und dem Gelsenkirchener Stadtkommandanten Mr. Abbey an der Spitze erschien im Hydrierwerk Gelsenberg Benzin, um der Direktion und dem Betriebsrat mitzuteilen, daß sich das Werk endgültig mit der Demontage der Hydrierabteilung abfinden müsse. Bis zum 15. August müßten die Rohölvorräte aufgearbeitet sein, damit anschließend demontiert werden könne.
In dem Stillegungsbefehl hieß es u.a., daß von der Stillegung am 15. August die Anlagen zur Herstellung von Montan-Wachs und Ammoniumsulfat sowie das Kraftwerk ausgenommen seien. Bei diesen Anlagen handelte es sich indessen um schon seit Jahren stillliegende Betriebe, die sich als nicht wirtschaftlich genug erwiesen hatten.
In diesen Werksteilen konnte auch künftig bei einer Demontage der übrigen Teile die Arbeit nicht wieder aufgenommen werden.
Am Abend des 09. Juli. traten im Lokale Seifen in Buer die Betriebsräte von Gelsenberg Benzin und Hydrierwerk Scholven mit Oberbürgermeister Geritzmann und DGB-Ortsausschuß-Vorsitzenden Scharley zu einer Aussprache über die daraufhin zu treffenden Maßnahmen zusammen. Dabei machte Oberbürgermeister Geritzmann erstmalig mit den Plänen bekannt, die für den Fall, daß die Demontage von Gelsenberg Benzin tatsächlich unabänderlich sein sollten, ein umfangreiches Notstandsprogramm vorsahen, an dessen Ausarbeitung auch Arbeitsminister Halbfell, Wirtschaftsminister Prof. Nölting und Wiederaufbauminister Steinhoff mitgearbeitet hatten. Es bestand aus Wohnungsbau und Straßenbau, Brückenbau, Hebung des Horster Überschwemmungsgebietes und Instandsetzung zahlreicher Sportplatzanlagen. Die Kosten sollten zu einem Viertel von der Stadt, zu einem weiteren Viertel vom Arbeitsministerium und zur Hälfte vom Land Nordrhein-Westfalen getragen werden.
Auf einer außerordentlichen Betriebsversammlung lehnte die Belegschaft des Hydrierwerks Gelsenberg Benzin einmütig das englische Angebot ab, die Demontage, die am 16. August beginnen sollte, selbst vorzunehmen. Der Betriebsrat des Werkes wandte sich neuerdings an Kardinal Frings in Köln und an den Bischof von Münster, die Tragödie der Demontage abwenden zu helfen.
Quelle. Chronik der Stadt Gelsenkirchen für das Jahr 1949
Autor:Heinz Kolb (SPD aus Gelsenkirchen |
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