Seit Horst Seehofer Bundesbauminister ist, gibt es nicht mehr, sondern weniger Sozialwohnungen.
IG BAU-STATEMENT ZUM WOHNGIPFEL: KRITIK AN DER "BILANZ DER WOHNRAUMOFFENSIVE" DER BUNDESREGIERUNG

Robert Feiger Bundesvorsitzende der Industriegewerk-schaft Bauen-Agrar-Umwelt,
  | Foto: Robert Feiger (© IG BAU, Alexander Paul Englert)
  • Robert Feiger Bundesvorsitzende der Industriegewerk-schaft Bauen-Agrar-Umwelt,
  • Foto: Robert Feiger (© IG BAU, Alexander Paul Englert)
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Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) stellt der Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis für deren Wohnungsbaupolitik aus: "Die Wohnraumoffensive von Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) ist gescheitert." Der Wohnungsbau habe nicht die notwendige Fahrt aufgenommen, so die IG BAU. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt habe sich für Mieterinnen und Mieter weiter verschlechtert. Sie sei für einen Großteil der Menschen, die eine Wohnung suchen, "schlichtweg verheerend".

Selbst Durchschnittsverdiener*innen könnten sich heute die meisten Neubauwohnungen nicht mehr leisten. Mit diesem Fazit geht die IG BAU jetzt auf die Bundesregierung zu. Denn Bundesbauminister Horst Seehofer will am heutigen Dienstag seine "Bilanz der Wohnraumoffensive" ziehen. IG BAU-Chef Robert Feiger wird dabei als Sprecher der Bauwirtschaft Position beziehen.

Dazu erklärt der Bundesvorsitzende der Industriegewerk-schaft Bauen-Agrar-Umwelt, IG BAU-Chef Robert Feiger:

Die Bundesregierung hat ihr Ziel selbst gesteckt: 1,5 Millionen Wohnungen und Eigenheime sollten in dieser Legislaturperiode gebaut werden. Sie ist damit gründlich gescheitert: Ende 2021 wird es bestenfalls 1,2 Millionen Neubauwohnungen geben – und damit mindestens 300 000 Wohnungen weniger als von der Bundesregierung versprochen. Um das einmal einzuordnen: Das Defizit ist damit so groß wie die komplette Wohnungsbaukapazität eines ganzen Jahres.

Fazit: Horst Seehofer ist beim Wohnungsneubau im Rückstand, er hinkt ein Jahr hinterher.

Im Rohbau und auf einer Baugenehmigung kann keiner wohnen

Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregierung ehrlich sagt, dass sie ihr Wohnungsbau-Versprechen nicht einhalten wird. Doch danach sieht es heute nicht aus: Bauminister Seehofer nimmt für seine Bilanz alle tatsächlich gebauten Wohnungen. Dazu addiert er dann alle Wohnungen, die gerade im Bau sind. Und er packt noch alle Wohneinheiten oben drauf, für die nur eine Baugenehmigung vorliegt.

So kommt er nach seiner "Wohnungsbau-Mathematik" auf 1,5 Millionen neue Wohnungen. Doch: Das ist ein unfairer Griff in die Trickkiste der Statistik.

Fazit: Dazu kann man nur klipp und klar sagen: Veto, Herr Seehofer! Im Rohbau kann man nicht wohnen. Und auf einer Baugenehmigung schon mal gar nicht.

Staat zahlt 1,9 Milliarden Euro Miete "zu viel"

Der Bund und die meisten Länder ignorieren seit Jahren die Not der Menschen, die keine bezahlbare Wohnung mehr finden. Sie haben den bezahlbaren und den sozialen Wohnungsbau vernachlässigt – ihn deutlich zu wenig gefördert. Gleichzeitig gibt der Staat aber enorme Summen über die Job-Center für die Kosten der Unterkunft aus. Er übernimmt dabei die Mieten für Haushalte, die auf Hartz IV angewiesen sind. Hier leidet der Bund selbst unter der Mietenexplosion: In den vergangenen sechs Jahren sind die Mieten für Wohnungen mit einfachem Standard, für die der Staat die Kosten der Unterkunft bezahlt, im Bundesdurchschnitt um 28 Prozent gestiegen: von 5,43 Euro Kaltmiete auf 6,96 Euro pro Quadratmeter (von Anfang 2015 bis Oktober 2020). Zum Vergleich: Die Verbraucherpreise haben in diesem Zeitraum um lediglich 7,5 Prozent zugelegt. Das ergibt eine Berechnung, die die IG BAU beim Pestel-Institut (Hannover) in Auftrag gegeben hat.

Wenn der Staat durch eine effektivere Wohnungsbaupolitik für mehr Neubau insbesondere von bezahlbaren Wohnungen und von Sozialmietwohnungen gesorgt hätte, dann würde es auch mehr preisgünstige Wohnungen auf dem Markt geben. Hierdurch hätte der Staat es schaffen können, den Anstieg der Mieten auf dem Niveau der Entwicklung der Verbraucherpreise zu halten. In diesem Fall würde er jeden Monat einen dreistelligen Millionenbetrag für die Kosten der Unterkunft weniger ausgeben: 160 Millionen Euro hätte der Staat so beispielsweise allein im vergangenen Oktober einsparen können. Aufs Jahr gerechnet sind das gut 1,9 Milliarden Euro. Auch das geht aus der Analyse des Pestel-Instituts hervor.

Die Brisanz dieser Zahlen: Bund und Länder haben zusammen in den zurückliegenden Jahren den gesamten sozialen Wohnungsbau gerade einmal mit 2,2 Milliarden Euro pro Jahr gefördert. Das hat viel mit einer "wohnungsbaupolitischen Milchmädchenrechnung" zu tun, die Bund und Länder da aufmachen. Sie unterstützen lieber Vermieter, die ihre Mieten immer weiter nach oben geschraubt haben, anstatt das Übel an der Wurzel zu packen: Der Staat investiert nur effektiv, wenn er Geld in die Wohnungsbauförderung steckt. Aber garantiert nicht, wenn er immer größere Summen für immer höhere Mieten auf die Konten von Vermietern überweist.

Fazit: Die Versäumnisse im Wohnungsbau kommen dem Bund teuer zu stehen: Der Staat zahlt über 1,9 Milliarden Euro pro Jahr "zu viel" an Vermieter – Geld, das er dringend in den bezahlbaren und sozialen Wohnungsbau investieren muss.

Staat und Bauland als Kostentreiber

Was die Sache noch schlimmer macht: Der Staat dreht selbst kräftig mit an der Preisspirale. So haben der Bund und die Länder den Wohnungsneubau durch Auflagen – etwa durch technische Normen und Anforderung unter anderen im Bereich der Energieeffizienz – in den vergangenen 20 Jahren um 13,6 Prozent teurer gemacht – für jeden Neubau-Quadratmeter bedeutet dies Zusatzkosten von 301 Euro. Das geht aus einer Untersuchung hervor, die die IG BAU beim schleswig-holsteinischen Bauforschungsinstitut ARGE (Kiel) in Auftrag gegeben hat. Der Bund mit seinen Gesetzen ist damit ein ähnlich intensiver Kostentreiber wie das Bauland: Die Grundstückspreise sind in der gleichen Zeit um 13,8 Prozent gestiegen. Dadurch mussten Bauherren umgelegt auf die Wohnfläche seit 2000 rund 304 Euro pro Quadratmeter mehr bezahlen.

Auch die Kommunen machen nach der ARGE-Untersuchung das Wohnen teurer: 5,8 Prozent sind die Preise durch kommunale Auflagen – wie zum Beispiel die Pflicht von Pkw-Stellplätzen – nach oben gegangen. Jeden Quadratmeter Wohnung hat das damit um 129 Euro teurer gemacht.

Fazit: Hohe Mieten und Kaufpreise – auch der Staat hat das Bauen und Wohnen erheblich teurer gemacht.

„Politischer Sündenfall“: Staatlicher Wohnungs-Ausverkauf

Dazu kommt ein schwerer Fehler: Vor gut zwanzig Jahren haben der Bund, Bundesunternehmen, Länder und Kommunen damit begonnen, mehr als 700 000 Wohnungen (!) zu verkaufen – Bahn-Wohnungen, Post-Wohnungen, Wohnungen der Deutschen Rentenversicherung … Gekauft wurden die günstigen XL-Wohnungspakete von rein profitorientierten Immobilienfonds, von Heuschrecken. Die haben damit ihre Geschäfte gemacht und die Mieten enorm nach oben getrieben. Bezahlt haben die Zeche am Ende nur sie: die Mieter.

Fazit: Es war ein "wohnungsbaupolitischer Sündenfall", dass der Staat seine Wohnungen im großen Stil abgestoßen hat.

Wohnungsneubau funktioniert nicht auf Knopfdruck

Der Wohnungsbau ist für die Bauwirtschaft seit Jahren ein "politischer Wackelkandidat": Die Bundesregierung beruft seit Jahren lieber Kommissionen ein und veranstaltet einen Wohnungsbau-Gipfel anstatt der Branche Perspektive und Verlässlichkeit zu geben. Klare Zusagen für feste Rahmenbedingungen – Fehlanzeige. Dabei sind Wohnungsbau und -modernisierung eine gesellschaftliche Daueraufgabe – völlig unabhängig von Wahlterminen.

Dabei lässt sich der Bau nicht per politischem Knopfdruck zu Beginn einer Legislaturperiode beliebig an- und danach wieder abschalten. Eine klare Perspektive und Sicherheit für die Beschäftigten am Bau ist nicht zu viel verlangt. Und: Wer Fachkräfte ausbildet, der will sie nach der Ausbildung auch weiterbeschäftigen.

Genau diese Perspektive gibt die Bundesregierung dem Bau aber nicht. Die Branche wartet seit Jahren vergeblich auf eine Politik, die dem Wohnungsbau über die jeweilige Legislaturperiode hinweg Planungssicherheit gibt. Dazu gehören vor allem klare mittel- bis langfristige Zusagen für die Förderung des sozialen und bezahlbaren Wohnungsbaus.

Auch beim Thema Bodenpolitik und Baulandmobilisierung hat die Große Koalition bis heute nicht geliefert. Das Baulandmobilisierungsgesetz droht wegen Streitigkeiten zwischen den Regierungsfraktionen im Bundestag steckenzubleiben. Gleichzeitig gehen die Baulandpreise in den Städten durch die Decke. Sie haben inzwischen – unter anderen in Berlin und Hamburg – historische Höchststände erreicht. Es wird deshalb höchste Zeit, dass das Gesetz beschlossen und alle Empfehlungen der Baulandkommission zügig umgesetzt werden.

Und ebenso u.a. auch die seit Jahren von den Verbänden und Organisationen der Bau- und Immobilienwirtschaft geforderte dauerhafte Verbesserung der Abschreibungsbedingungen – Stichwort: Erhöhung der Absetzung für Abnutzung (AfA) von 2 auf 3 Prozent. Ganz abgesehen davon, dass der tatsächliche Verschleiß am Bau die höhere AfA mehr als rechtfertigt.

Fazit: Der Bau braucht Perspektive und Kontinuität beim Wohnungsbau – mittel- und langfristige Zusagen. Erst dann kann der Staat damit rechnen, dass die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten wieder verlässlich hochfährt.

Alle 12 Minuten verschwindet eine Sozialwohnung vom Markt

Der Staat – und hier vor allem der Bund – hat viele Chancen vertan, den Wohnungsneubau zum Laufen zu bringen. Statt einer "Bilanz der Wohnraumoffensive" braucht Deutschland heute den Neustart einer effektiven Wohnraumoffensive, die ihren Namen auch verdient. Keine fürs politische Schaufenster, sondern eine, von der die Menschen auch etwas haben: nämlich vor allem mehr bezahlbare Mietwohnungen und mehr Sozialwohnungen. Wenn die Bundesregierung immer noch von einer Wohnraumoffensive spricht, dann hat das viel mit Etikettenschwindel zu tun. Denn es wird nach wie vor zu wenig gebaut, vor allem aber am Bedarf vorbei. Mieten und Kaufpreise sind für die meisten Haushalte nicht bezahlbar.

Bei der "Seehofer-Wohnraumoffensive" hat die Bundesregierung die soziale Realität im Land völlig ausgeblendet. Seit Horst Seehofer Bundesbauminister ist, gibt es nicht mehr, sondern weniger Sozialwohnungen. Der Schwund ist enorm: 43 000 Sozialwohnungen sind bundesweit in den vergangenen fünf Jahren vom Markt verschwunden – und zwar Jahr für Jahr. Das macht rechnerisch alle 12 Minuten eine Sozialwohnung, die in Deutschland verlorengeht. Mittlerweile haben wir die Marke von 1,1 Millionen Sozialwohnungen unterschritten. Nur zur Erinnerung: Ende der 80er-Jahre gab es noch 4 Millionen Sozialwohnungen – allein in der alten Bundesrepublik. Dann kam die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Für diese brauchen wir jetzt ein Comeback. Und dann muss für Sozialwohnungen gelten: einmal gefördert, immer gefördert. Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung.

Fazit: Was jetzt kommen muss, ist die Neuauflage einer echten Wohnraumoffensive – effektiver und sozialer als das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben.

Quelle: Pressemitteilungen des IG Bau Bundesverband

Autor:

Heinz Kolb (SPD aus Gelsenkirchen

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