60 Jahre deutsch-türkisches Anwerbeabkommen: Gelsenkirchen - bist du Heimat?
Grußworte, Diskussion und Musik rund um ein historisches Abkommen

Oberbürgermeisterin Karin Welge. | Foto: _Stadt Gelsenkirchen
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Rund 100 geladene Gäste aus Politik, Migrantinnen – und Migrantenorganisationen, dem Integrationsrat und einer Delegation aus der türkischen Partnerstadt Büyükcekmece hat Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge zu einer besonderen Veranstaltung am Sonntag,07. November, im stadt.bau.raum begrüßt. Besonders deshalb, weil es um ein Abkommen „mit großer Wirkung“ ging, so die Oberbürgermeisterin: „Das Abkommen von 1961 war der Beginn einer Geschichte, die das Leben von Millionen Frauen und Männern, Kindern und Jugendlichen, beeinflusst hat. Es war der Beginn einer Geschichte voller Emotionen, die enge und wichtige Verbindungen zwischen Menschen aus der Türkei und Deutschland gestiftet hat.“

Mit keiner anderen Stadt werde die Städtepartnerschaft so intensiv und freundschaftlich gepflegt wie mit Gelsenkirchen, hob Dr. Hasan Akgün, Bürgermeister von Büyükcekmece hervor.

Dr. Hasan Akgün und Oberbürgermeisterin Karin Welge.  | Foto: Stadt Gelsenkirchen
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Vor 60 Jahren dachte niemand an eine solche Entwicklung. „Die Gastarbeit sollte nur eine vorübergehende sein, und auch viele die kamen, dachten nicht an ein dauerhaftes Leben in Deutschland“, erläuterte Dr. Sara Demiriz von der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets und Tochter einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters, in ihrem Vortrag. Mit ihrer schweren, harten Arbeit, die Deutsche oft nicht mehr machen wollten, wollten die Gastarbeiter und auch Gastarbeiterinnen dafür sorgen, dass es ihre Kinder einmal besser haben.

Schaut man auf so manche Biografien der „Gastarbeiterkinder“, den nachfolgenden Generationen, dann stelle man fest, dass sich dieser Wunsch durchaus erfüllt hat, so Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen. Höhere Bildungsabschlüsse, viele Unternehmensgründungen, Immobilienerwerb und vieles mehr seien Indikatoren einer immer besseren Integration. „Objektiv immer besser integriert, haben viele dennoch das Gefühl, nicht dazuzugehören, erleben Diskriminierung und erfahren Zurückweisung“, fasste er zusammen.

Dr. Hasan Akgün und Oberbürgermeisterin Karin Welge.  | Foto: _Stadt Gelsenkirchen
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Ein Gefühl, das Mikael Zopi, Erhan Baz, Aleyna Demir und auch Dr. Sara Demiriz allzu gut kennen, obwohl sie zu unterschiedlichen Generationen gehören. Mikael Zopi wurde noch in der Türkei geboren und kam als Jugendlicher nach Deutschland, um wie so viele im Bergbau zu arbeiten. Er wurde einer der ersten türkischstämmigen Betriebsräte in Deutschland und Gewerkschaftssekretär. Erhan Baz, 1970 in Gelsenkirchen geboren, studierte in Bochum. Gemeinsam mit seinem Bruder ist er ein erfolgreicher Unternehmer mit rund 130 Beschäftigten geworden und betreibt „Mr. Chicken“. Aleyna Demir wurde 1999 in Gelsenkirchen geboren, studiert für ein Lehramt in Bochum und engagiert sich in der Fortbildung von Kindern mit Migrationshintergrund. Sie bekommt schon mal Sätze zu hören wie: „Eigentlich hasse ich Türken, aber dich mag ich.“ Erhan Baz berichtete, dass er, obwohl erfolgreicher Unternehmer, häufiger auf seine vermeintliche Herkunft reduziert werde. Mikael Zopi erinnert sich noch an eine Reaktion nachdem eine Zeitung über ihn als Gewerkschaftssekretär berichtete: „Aus einem Neger kann eben auch nie ein Weißer werden.“ Und dennoch schrieb Mikael Zopi ein Buch mit dem Titel „Das fremde Land wurde Heimat“.

Moderatorin der Gesprächsrunde Andrea Blome, Aleyna Demir, Mikael Zopi, Oberbürgermeisterin Karin Welge, Erhan Baz und Dr. Sara Demirez.  | Foto: _Stadt Gelsenkirchen
  • Moderatorin der Gesprächsrunde Andrea Blome, Aleyna Demir, Mikael Zopi, Oberbürgermeisterin Karin Welge, Erhan Baz und Dr. Sara Demirez.
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Doch was ist das eigentlich – Heimat oder Identität? Diese Frage hat sich auch Aleyna Demir gestellt, die bei einem Studienaufenthalt in den USA als Deutsche, als „Nazi“ beschimpft wurde. Ihre Antwort: „Ich habe mir das Beste aus den Herkünften und Erfahrungen herausgesucht und daraus meine Identität gemacht.“

Generalkonsul Ahmet Faik Davaz verband mit seinem Grußwort eine eindeutige Botschaft: „Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund geworden, und Deutschland sollte sich auch dazu bekennen. Rassismus, Diskriminierung und Antizionismus müssen wir gemeinsam bekämpfen.“

Mit Blick auf Gelsenkirchen sagte Oberbürgermeisterin Welge: „Viel wird in den kommenden Jahren davon abhängen, wie gut wir die heute jungen Menschen auf ihr Leben in unserer Stadt vorbereiten. Und wie stark sie bereit sind, sich selbst mit ihren Fähigkeiten und Talenten hier einzubringen.“

Für die musikalische Untermalung des Vormittags sorgten Musikerinnen und Musiker des Instituts für interkulturelle Musik und Bühnenkünste. Türkische Volksmusik erklang, aber auch das Steigerlied.

Unter der Überschrift „60 Jahre Merhaba in Gelsenkirchen“ führt das Institut für Stadtgeschichte gemeinsam mit dem Kommunalen Integrationszentrum Gelsenkirchen eine dreiteilige Veranstaltungsreihe durch. „60 Jahre Migration aus der Türkei: Die Anwerbephase zwischen 1960 und 1973 und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart“ ist das Thema des Vortrags von Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien, Essen. Er spricht am Donnerstag, 11. November, ab 18 Uhr im Wissenschaftspark, Munscheidstraße 14. Corona bedingt ist zur Teilnahme eine Anmeldung erforderlich: isg@gelsenkirchen.de, Telefon: 0209 169-8551

Autor:

Heinz Kolb (SPD aus Gelsenkirchen

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