Es gilt das gesprochene Wort
Gedenkrede von Oberbürgermeisterin Karin Welge am 9. November 2022
Es gilt das gesprochene Wort
Gedenkrede von Oberbürgermeisterin Karin Welge am 9. November 2022
Meine Damen und Herren,
liebe Gelsenkirchenerinnen und liebe Gelsenkirchener!
Ein ganz herzliches Willkommen am Ziel unseres heutigen Schweigezuges! Ich begrüße Sie und Euch sehr herzlich am Abend dieses 9. November; am Tag unseres Gelsenkirchener Gedenkens an die Opfer der Pogrome vom 9. November 1938!
Und ich sage vielen Dank allen, die vorhin beim Gang durch die Buersche Innenstadt mit dabei waren und die mit oder ohne Kippa ein klares Zeichen gesetzt haben und das auch hier tun: Dafür, dass wir uns in unserer Stadt gemeinsam an die dunklen Seiten unserer Vergangenheit erinnern – und dass wir zusammen die nötigen, die richtigen Lehren aus dieser Vergangenheit ziehen!
Wir haben soeben einmal das Buersche Zentrum durchquert und sind von einem Gedenkort zum zweiten gezogen: vom Alten Friedhof Mühlenstraße mit dem Mahnmal für die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung zum GustavBär-Platz, dem Standort der einstigen Synagoge.Unsere Route hat zwei stadtgeschichtlich wichtige Punkte verbunden, und gewählt haben wir sie mit Blick auf die Jahreszahl, denn 1922 war es, vor genau 100 Jahren also, dass die damals noch eigenständige Stadt Buer ihrer Jüdischen Gemeinde zur eigenen Synagoge verholfen hatte. Zu einem Haus, dem der damalige Oberbürgermeister Emil Zimmermann die schönen Worte mit auf den Weg gab, es werde künftig unter dem Schutz der Stadt stehen.
Es war ein schönes, aber kein tragfähiges Versprechen. Lediglich 16 Jahre diente das Haus als Synagoge. Anfangs recht gute Jahre, bald sehr schwierige, bis hin zum 9. November 1938. Bis zu dem Tag, an dem mit voller Brutalität spürbar wurde, dass die Stadt ihre jüdische Gemeinde und die Synagoge längst nicht mehr schützte, sondern stattdessen vollkommen schutzlos dem Nazi-Mob überließ!
Unsere Stadt überließ das Gebetshaus dem Nazi-Mob, weil auch in dieser Stadt viel zu viele Menschen nichts gegen die Nazis hatten; weil auch hier zu viele selbst mitmachten – und weil letztlich niemand mehr da war, der den Mut hatte, sich den rechten Schlägern in den Weg zu stellen!
Nur so wurde es möglich, dass am 9. November in Buer wie an so vielen anderen Orten in Deutschland tausende Menschen angegriffen und geschlagen, beschimpft und eingesperrt wurden. Und nur so wurde es möglich, dass auch diese Synagoge attackiert und angezündet wurde – und schließlich aus dem Stadtbild verschwand, ohne jemals wieder zurückzukehren!
Nein, die einstige Synagoge ist nicht mehr zurückgekehrt und wird das kaum mehr tun, nicht als gebautes Haus. Aber eine Erinnerungsorte-Tafel, die das Mahnmal von 1992 ergänzt, weist nun die Geschichte dieses Ortes hin und macht auch deutlich, wo genau die Synagoge stand, wo ihre Umrisse waren.
Diese Tafel wird allen Nutzerinnen und Nutzern des Hallenbades und anderen Passanten vermitteln: Hier stand einmal ein Haus der Gebete jüdischer Religion, das Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener hätten schützen müssen, das aber schon nach wenigen Jahren durch schändliche Gewalt zerstört wurde.
Für die Initiative zu diesem Erinnerungsort will ich den Stadtwerken und dem Institut für Stadtgeschichte herzlich danken – denn ist es wichtig, dass wir uns erinnern und dass unsere Erinnerung einen Ort hat; dass die Geschichte nicht einfach über die Orte der Gewalt hinweggeht; dass wir unsere Vergangenheit und begangenes Unrecht kennen und sensibel mit ihm umgehen!
Und sollte irgendjemandem diese elementare Tatsache vergessen haben oder sie etwas wohlfeil finden – die Formel, die wir so oft wiederholen: Wir müssen die dunklen Seiten unserer Vergangenheit kennen, um eine bessere Zukunft zu gestalten! – dann hat uns leider ausgerechnet das aktuelle Jahr, das Jahr 2022 auf brutale Art und Weise deutlich gemacht: Nein, auf diese Formel können wir nicht verzichten!
Wir blicken in diesem Jahr fassungslos auf Russland, auf den blutigen, fatalen Angriff gegen die Ukraine – und auch auf den zweiten Angriff, der damit eng verbunden ist: den Angriff gegen das eigene Land, gegen das zivile Russland – und wir sehen immer deutlicher: Möglich ist dieser Wahnsinn nur, weil sich das Land unter Putin nie ehrlich seiner Gewaltgeschichte gestellt hat; weil der Staat unter Putin eine so dringend nötige Aufarbeitung dieser Geschichte immer erschwert hat; weil Gruppen
wie Memorial, die jetzt den Nobelpreis erhalten haben, stets gegen den Staat arbeiten mussten und nie die Mehrheit der Gesellschaft erreichen konnten!
Wir verstehen immer mehr: Wer den Blick zurück, den Blick auf die Schattenseiten der Geschichte scheut, wer die Folgen von Gewalt nicht versteht, wer sie totschweigen will – der wird die Wunden der Geschichte niemals heilen können. Der muss weiter mit den alten und neuen Wunden leben. Und der scheint tatsächlich dazu verurteilt zu sein, alte Fehler zu wiederholen!
Darum ist es wichtig, gerade in aufwühlenden Zeiten wie diesen, dass wir an diesem Tag, am 9. November zusammenkommen; dass wir unsere Gedenkkultur das ganze Jahr über pflegen; dass wir wissen, woher wir kommen, welche Verantwortung wir tragen und welche Fehler wir niemals wiederholen dürfen.
Es ist wichtig, dass wir nicht müde werden, für Respekt, Menschenwürde und Demokratie einzutreten, gegen Gewalt und Diskriminierung – und ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie das heute abermals tun!
Quelle: Stadt Gelsenkirchen
Es war ein schönes, aber kein tragfähiges Versprechen. Lediglich 16 Jahre diente das Haus als Synagoge. Anfangs recht gute Jahre, bald sehr schwierige, bis hin zum 9. November 1938. Bis zu dem Tag, an dem mit voller Brutalität spürbar wurde, dass die Stadt ihre jüdische Gemeinde und die Synagoge längst nicht mehr schützte, sondern stattdessen vollkommen schutzlos dem Nazi-Mob überließ!
Unsere Stadt überließ das Gebetshaus dem Nazi-Mob, weil auch in dieser Stadt viel zu viele Menschen nichts gegen die Nazis hatten; weil auch hier zu viele selbst mitmachten – und weil letztlich niemand mehr da war, der den Mut hatte, sich den rechten Schlägern in den Weg zu stellen!
Nur so wurde es möglich, dass am 9. November in Buer wie an so vielen anderen Orten in Deutschland tausende Menschen angegriffen und geschlagen, beschimpft und eingesperrt wurden. Und nur so wurde es möglich, dass auch diese Synagoge attackiert und angezündet wurde – und schließlich aus dem Stadtbild verschwand, ohne jemals wieder zurückzukehren!
Nein, die einstige Synagoge ist nicht mehr zurückgekehrt und wird das kaum mehr tun, nicht als gebautes Haus. Aber eine Erinnerungsorte-Tafel, die das Mahnmal von 1992 ergänzt, weist nun die Geschichte dieses Ortes hin und macht auch deutlich, wo genau die Synagoge stand, wo ihre Umrisse waren.
Diese Tafel wird allen Nutzerinnen und Nutzern des Hallenbades und anderen Passanten vermitteln: Hier stand einmal ein Haus der Gebete jüdischer Religion, das Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener hätten schützen müssen, das aber schon nach wenigen Jahren durch schändliche Gewalt zerstört wurde.
Für die Initiative zu diesem Erinnerungsort will ich den Stadtwerken und dem Institut für Stadtgeschichte herzlich danken – denn ist es wichtig, dass wir uns erinnern und dass unsere Erinnerung einen Ort hat; dass die Geschichte nicht einfach über die Orte der Gewalt hinweggeht; dass wir unsere Vergangenheit und begangenes Unrecht kennen und sensibel mit ihm umgehen!
Und sollte irgendjemandem diese elementare Tatsache vergessen haben oder sie etwas wohlfeil finden – die Formel, die wir so oft wiederholen: Wir müssen die dunklen Seiten unserer Vergangenheit kennen, um eine bessere Zukunft zu gestalten! – dann hat uns leider ausgerechnet das aktuelle Jahr, das Jahr 2022 auf brutale Art und Weise deutlich gemacht: Nein, auf diese Formel können wir nicht verzichten!
Wir blicken in diesem Jahr fassungslos auf Russland, auf den blutigen, fatalen Angriff gegen die Ukraine – und auch auf den zweiten Angriff, der damit eng verbunden ist: den Angriff gegen das eigene Land, gegen das zivile Russland – und wir sehen immer deutlicher: Möglich ist dieser Wahnsinn nur, weil sich das Land unter Putin nie ehrlich seiner Gewaltgeschichte gestellt hat; weil der Staat unter Putin eine so dringend nötige Aufarbeitung dieser Geschichte immer erschwert hat; weil Gruppen
wie Memorial, die jetzt den Nobelpreis erhalten haben, stets gegen den Staat arbeiten mussten und nie die Mehrheit der Gesellschaft erreichen konnten!
Wir verstehen immer mehr: Wer den Blick zurück, den Blick auf die Schattenseiten der Geschichte scheut, wer die Folgen von Gewalt nicht versteht, wer sie totschweigen will – der wird die Wunden der Geschichte niemals heilen können. Der muss weiter mit den alten und neuen Wunden leben. Und der scheint tatsächlich dazu verurteilt zu sein, alte Fehler zu wiederholen!
Darum ist es wichtig, gerade in aufwühlenden Zeiten wie diesen, dass wir an diesem Tag, am 9. November zusammenkommen; dass wir unsere Gedenkkultur das ganze Jahr über pflegen; dass wir wissen, woher wir kommen, welche Verantwortung wir tragen und welche Fehler wir niemals wiederholen dürfen.
Es ist wichtig, dass wir nicht müde werden, für Respekt, Menschenwürde und Demokratie einzutreten, gegen Gewalt und Diskriminierung – und ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie das heute abermals tun!
Quelle: Stadt Gelsenkirchen
Autor:Heinz Kolb (SPD aus Gelsenkirchen |
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