GELSENBERG VOR 75. Jahre
Demontage von Gelsenberg Benzin 1949. Teil 1

Die Bevölkerung wehrte sich  mit Händen und Füßen gegen  die Demontagearbeit.  | Foto: Stadtarchiv Gelsenkirchen
  • Die Bevölkerung wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Demontagearbeit.
  • Foto: Stadtarchiv Gelsenkirchen
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Die Gelsenberg Benzin AG, war die größte Hochdruck-Hydrierwerk des Westens, und begann mit der Verarbeitung von Erdöl-Rückständen aus dem Ausland. Bei einer Jahreskapazität von 300 000 t erhielten 3 000 Menschen Arbeitsmöglichkeiten.

Dagegen sah das Washingtoner Abkommen der Alliierten vor, dass die wenigen Werksanlagen, die vom Hydrierwerk Scholven noch existierten, entweder demontiert oder dem Erdboden gleichgemacht werden müssten. Eine Welle des Widerstandes erhob sich gegen diese drakonischen Bestimmungen.

Unter Führung des Vorsitzenden des Ortsausschusses des DGB, Scharley, des Sekretärs der Industriegewerkschaft Chemie, Hriba und der Betriebsratsvorsitzenden Itzek der Gelsenberg Benzin AG fuhr eine Gewerkschaftsabordnung aus Horst am 20. Mai, 1949 nach Düsseldorf, um dort bei den Landtagsfraktionen wegen der beabsichtigten Demontage des Werks der Gelsenberg Benzin AG vorstellig zu werden.

Unter Vorlegung einer Denkschrift des Werkes gab die Abordnung den Fraktionen Kenntnis von der Bedeutung des Werkes und den schweren sozialen und volkswirtschaftlichen Gefahren, die durch eine Demontage drohten.

In der erwähnten Denkschrift nahm die Werksleitung Stellung gegen die dem Werk auf Grund des Washingtoner Abkommens drohende Demontage, während das nach dem gleichen Bergius-Verfahren arbeitende Werk Wesseling erhalten bleiben sollte. Die Werksleitung wandte sich gegen die ungleiche Behandlung der beiden Betriebe, die eingeführtes Erdöl hydrieren, und betonte, dass die für die Demontage des Gelsenkirchener Werks angeführten Sicherheitsgründe der-Alliierten auch auf Wesseling zutreffen müssten. Während Wesseling aber mit der holländisch-britischen Shell AG Lieferungsverträge über Erdöl abgeschlossen hatte, erhalte Gelsenberg Nahost-0 von den beiden amerikanischen Gesellschaften "Deutsche Vakuum 01 AG" und "Deutsch-amerikanische Petroleum AG". Schon die jetzige Produktion erspare, so führte die Denkschrift weiter aus, jährlich 7 Mill. Dollar Einfuhren. Bei voller Kapazitätsausnutzung im Gelsenberg-Werk würden die Ersparnisse sogar 20 Mill. Dollar betragen.

Ein etwaiger Umbau ·der Anlagen auf die erlaubte Crackmethode, die in der Denkschrift als weniger wirtschaftlich bezeichnet wurde, würde Jahre dauern und in der Zwischenzeit die Einfuhr von Fertigtreibstoff und damit höhere Devisenaufwendungen notwendig machen. Das Werk erklärte sich schließlich bereit, die noch aus früherer Zeit vorhandenen, jetzt aber unbenutzten Anlagen zur Kohlehydrierung zu vernichten, um auf diese Weise dem Sicherheitsbedürfnis der Alliierten zu genügen.

Ohne vorherige Verständigung der Werksleitung erschien am 25. Mai die Demontage-Firma Sulzbach aus Essen im Werk der Gelsenberg Benzin AG 1 in Horst, um mit der Demontage zu beginnen.

Die Belegschaft geriet verständlicherweise in große Erregung.

Der von der Werksleitung befragte Offizier der englischen Inventarisierungskommission erklärte, dass er durch seine vorgesetzte Dienststelle den Befehl zur sofortigen Demontage erhalten habe. Die Werksleitung wies demgegenüber darauf hin, dass ohne höchste Gefahren für Menschenleben nicht plötzlich mit der Demontage eines zur Hälfte unter 70 atü Druck laufenden chemischen Werkes begonnen werden könne.

Während der Verhandlungen ergriff die Belegschaft die Initiative und brachte die Demontage-Kolonne ruhig, aber entschieden aus dem Werksgelände heraus, das vom deutschen Werksschutz abgesperrt wurde.

Am Abend lud der Horster Einwohnerverein  die leitenden Vertreter öffnetlicher Körperschaften und die Leitung der Gelsenberg Benzin AG ein, um über die Lage nach der Verkündigung der Demontage und über die Möglichkeiten zu beraten, diese Gefahr abzuwenden. An der Versammlung, die unter der Leitung des Vereinsvorsitzenden Düsing stand, nahmen Oberbürgermeister Geritzmann, der Chef der Polizei Sowein, der Sekretär des DGB-Ortsausschusses, Scharley, Propst Wenker und Pfarrer Becker, Vertreter von Betriebsleitung und Betriebsrat des Werkes, von Handwerker- und Kaufmannschaft und anderer Organisationen teil. Zum Sprecher aller machte sich Stadtv. Hugo Löbbert.

Am Samstag. 28. Mai erklärte ein Vertreter des Ortsausschusses und des DGB dem englischen Demontage-Offizier Brindley Clerk: "Wir werden mit allen Mitteln gegen die Demontage der Hydrierwerke Gelsenberg und Scholven kämpfen und nur der nackten Gewalt weichen!
Der Betriebsrat der Gelsenberg Benzin AG berief eine Protestversammlung der Belegschaft ein, auf der der Bezirksvorsitzende der Industriegewerkschaft Chemie, Hribar, die sofortige Einstellung der Demontage forderte, weil sie ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei.
Oberbürgermeister Geritzmann erklärte, dass die Stadt mit bangem Herzen der Entwicklung folge. In Telegrammen an die Patenstadt Newcastle und an den britischen Wirtschaftsminister Sir Stafford CrippA habe er um Aufhebung der Demontage gebeten.

Die Werksangehörigen nahmen einstimmig eine Protest-Entschließung an, in der u.a. hieß: "Die Belegschaft der Gelsenberg Benzin AG protestiert aufs schärfste gegen die Demontage ihrer Arbeitsstätte. Sie kann nicht verstehen, dass vier Jahre nach Kriegsende immer noch das Fallbeil der Demontage über den deutschen Arbeitsstätten hängt. Wir sind gewillt und bereit, jede für den Krieg geeignete Anlage zu zerstören. Unverständlich erscheint uns jedoch die Zerstörung von Anlagen die für die Friedenswirtschaft von größter Bedeutung sind. Die Belegschaft der Gelsenberg Benzin AG bittet, Vernunft walten zu lassen und die Demontage rückgängig zu machen, um 3 000 Schaffenden den Arbeitsplatz zu erhalten."

In dem Telegramm des Oberbürgermeisters an die Patenstadt Newcastle hieß es nach einer kurzen Schilderung der Sachlage und der Folgen, die eine Demontage nach sich ziehen würde, u.a. "Die Arbeiterschaft des Werkes und die ganze Bevölkerung empfindet es als unerklärlichen Widerspruch, dass auf ausdrückliche Weisung hin zunächst die Erneuerung des Werkes und die Umstellung auf Rohölverarbeitung mit erheblichem Aufwand durchgeführt
und jetzt im Gegensatz dazu, ohne dass inzwischen eine Änderung der Sachlage eingetreten wäre, die Entfernung der Anlagen geplant werden soll. Die Begründung, dass das Verbot der Kohlehydrierung die Entfernung der Anlagen erforderlich mache, ist jedenfalls nach allgemeiner Auffassung nicht überzeugend, denn mit diesem Verbot, das die Errichtung der Anlagen nicht hinderte, sollte auch ihre Entfernung nicht gerechtfertigt werden können".

Der Oberbürgermeister gab dann der Hoffnung Ausdruck, bei dem Oberbürgermeister von Newcastle Verständnis für seine Bemühungen zu finden, die Folgen der angekündigten Maßnahmen abzuwenden, und bat ihn zum Schluss, für das Anliegen der befreundeten Stadt Gelsenkirchen mit den ihm geeignet erscheinenden Mitteln einzutreten.

Zur Zeit der Kundgebung verhandelte der Ortsausschuß des DGB in Buer mit der Demontage-Firma Sulzbach. Der Sekretär des Ortsausschusses, Hubert Scharley, erklärte später, er bezweifele, ob die Firma Sulzbach über geeignete Kräfte für die Demontage einer so komplizierten Hydrieranlage verfüge.

Der Ortsausschuß habe an die amerikanischen Gewerkschaften (CIO, AFL und Automobilgewerkschaft) Telegramme gesandt, in denen darauf hingewiesen wurde, dass durch die Demontage 4 500 Arbeiter erwerbslos würden, die nicht anderweitig untergebracht werden könnten. Die deutschen Gewerkschaftler würden darum die amerikanischen Kollegen bitten, ihnen im Kampf um die Erhaltung ihrer Existenz zu helfen.

Am Sonntag, 29. Mai wurde in allen Gottesdiensten der evangelischen Gemeinden des Kirchenkreises Gelsenkirchen von den Kanzeln eine Erklärung verlesen und zu einer Fürbitte gebet gegen der durch die Demontage von Gelsenberg Benzin drohenden besonderen Not in der Stadt aufgerufen. In der Kanzelerklärung hieß es u.a. "Obwohl mit ausdrücklicher Genehmigung der beiden Militärregierungen das Werk Gelsenberg Benzin wiederhergestellt und dabei 17 Mill.DM ausgegeben wurden, soll jetzt mit der Demontage begonnen werden.
Bei einer Belegschaft von rund 3 000 Mann sind in den Stadtteilen Horst, Beckhausen und Gladbeck-Brauck rund 10 000 bis 15 000 Menschen von der Gefahr der Vernichtung ihrer Existenzgrundlage betroffen. Sie sind damit zur völligen Hoffnungslosigkeit verurteilt, weil keine andere Arbeitsmöglichkeit für sie geschaffen werden kann. Deshalb rufen wir die Gemeinden auf, Fürbitten der von schwerer Sorge bedrängten Brüder zu gedenken und Gott zu bitten, die drohende Arbeitslosigkeit von unserer Stadt abzuwenden und die Herzen der Machthaber so zu lenken, dass nicht durch eigennütziges und ungerechtes Handeln das Vertrauen zu der vielgerühmten Menschlichkeit und zu den gegebenen Versprechen zerstört und die sich anbahnende Völkerversöhnung gehemmt wird."

Quelle. Chronik der Stadt Gelsenkirchen für das Jahr 1949

Autor:

Heinz Kolb (SPD aus Gelsenkirchen

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