Prälat Ferdinand Schulte Berge gestorben
Bischof Overbeck würdigt langjährigen Dompropst als wachen Zeitzeugen der Geschichte des Ruhrbistums
Er war der dienstälteste Priester im Bistum Essen, einer der ältesten Katholiken im Ruhrbistum überhaupt und ein wacher Zeitzeuge der Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft von den 1930er Jahren bis heute. Im Alter von 103 Jahren ist der frühere Essener Dompropst Prälat Ferdinand Schulte Berge am heutigen Sonntag, 3. April, gestorben. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck würdigte Schulte Berge als „einen wachen Zeitgenossen, der die Geschichte des Bistums Essen wesentlich mitgestaltet und mitgeprägt hat“. „Neugierig und immer wandlungsfähig geblieben zu sein“ sei ein Kennzeichen des Lebens und Wirkens des langjährigen Dompropstes gewesen, so der Bischof weiter. Schulte Berge habe nicht nostalgisch nach hinten geblickt, sondern stets wach und sensibel das Heute und Morgen beobachtet und auch kommentiert. „Bis zuletzt hat sich Ferdinand Schulte Berge seine westfälische Bodenständigkeit und seinen Humor bewahrt. Er war einer, der gerne gelebt hat“, so Overbeck.
Der langjährige Dompropst genoss es, die Übersicht zu haben. Von oben sieht manches eben anders aus, wusste Schulte Berge, der jahrzehntelang im obersten Stockwerk des Hauses Zwölfling 14 zu Hause war, mitten im Zentrum von Essen, zwischen Rathaus und Dom. „Hier sehe, hier höre ich die Stadt“, hat er einmal gesagt. Und auch wenn er schon seit vielen Jahren kein offizielles Amt mehr im Bistum Essen bekleidet hat: Ein aufmerksamer Beobachter seiner Umgebung ist der langjährige Hausherr des Essener Doms bis weit ins hohe Alter geblieben.
1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges, wird Schulte Berge in Gladbeck geboren. Nachdem sein Elternhaus einem Feuer zum Opfer gefallen war, wächst er auf dem Bauernhof der Schwester seines Vaters und ihres Mannes auf. Anders als vom Onkel geplant, der ihn schon als Nachfolger auf dem Hof sieht, entschließt sich Schulte Berge, nach dem Abitur 1937 jedoch Theologie zu studieren, Priester zu werden.
Kein populärer Schritt in jenen Tagen angesichts der heftigen ideologischen Auseinandersetzungen der Nationalsozialisten mit der Kirche. Am Palmsonntag hört der junge Abiturient in der Gladbecker St.-Marien-Kirche zusammen mit hunderttausenden Katholiken in Deutschland, wie Papst Pius XI. in seiner Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vor der Nazi-Diktatur warnt und deren Ideologie von Volk und Führer als „Irrlehre“ und „Götzenkult“ verurteilt. In einem Geheim-Coups hatte der Vatikan die Enzyklika nach Deutschland transportiert und auf konspirativen Wegen an die Gemeinden verteilt. „Wir haben aufgeatmet und uns über die klaren Worte gefreut“, erinnert sich Schulte Berge später über die Reaktionen – auch wenn die Nationalsozialisten sich mit Durchsuchungsaktionen und Verhaftungen an der Kirche gerächt haben. Schulte Berge wählt dennoch den Weg ins Priesteramt – und sein Ziehvater ist ihm nicht böse. Im Gegenteil: „Du musst das tun, was Dir Freude macht“, gibt er ihm mit auf den Weg.
Drei Jahre später muss er sein Studium in Münster unterbrechen, wird als Soldat an die Ostfront geschickt, erlebt schwere Verwundungen und Gefangenschaft. 1946 kann Schulte Berge sein Studium wieder aufnehmen und wird am 22. Mai 1948 von Bischof Michael Keller zum Priester geweiht. Nach Stationen in Warendorf und Münster kommt er 1957 als Kaplan an St. Joseph und Religionslehrer am St.-Hildegardis-Gymnasium nach Duisburg.
Wenige Monate später gehört Duisburg zu dem am 1. Januar 1958 gegründeten Ruhrbistum, dessen erster Bischof Franz Hengsbach schon bald auf den großgewachsenen Kaplan Schulte Berge aufmerksam wird. Hengsbach holt ihn in die Bischöfliche Verwaltung nach Essen. Dort übernimmt Schulte Berge zunächst eine Aufgabe im Referat „Schule“ des Bischöflichen Generalvikariates, dessen Leiter der damalige Dompropst Professor Alois Reiermann ist. Bald darauf wird Schulte Berge Domvikar, Domkapitular und am 1. April 1978 schließlich Reiermanns Nachfolger im Amt des Dompropstes. In dieser Funktion ist er Vorsitzender des Domkapitels, des „Senats des Bischofs“, der diesem bei der Leitung des Bistums zur Seite steht.
Daneben trägt Ferdinand Schulte Berge die Verantwortung für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bistums Essen. Schon früh hat er erkannt, wie wichtig die Medien für die Vermittlung der kirchlichen Botschaft in einer zunehmend säkularer und pluraler werdenden Welt sind. Und er fördert sie rückhaltlos, wo er kann. Ob als Diözesanbeauftragter für den privaten lokalen Rundfunk, als Vorsitzender der Gemeinsamen Kommission der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der nordrhein-westfälischen Landeskirchen und Diözesen oder als Aufsichtsratsvorsitzender des „Rheinischen Merkur“. Mit großer Gelassenheit und Organisationstalent meistert er sein umfangreiches Arbeitspensum. Auch die Ökumene, die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche, ist ihm in all den Jahren ein wichtiges Anliegen.
Weltoffen und geradlinig vertritt er die Position seiner Kirche – und wird so ein gefragter Gesprächspartner und Ratgeber. Er weiß, dass der liebe Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreibt. Mit scharfem Verstand und großer Übersicht versteht er es, bei Konfrontationen Kompromisse zu finden, das einmal richtig Erkannte konsequent durchzusetzen.
Nur ungern entspricht Hengsbachs Nachfolger, Bischof Hubert Luthe, 1993 Schulte Berges Bitte, ihn zu seinem 75. Geburtstag von seinen Aufgaben im Generalvikariat und als Dompropst zu entpflichten. Von einem Wechsel aufs „Altenteil“ ist der „Emeritus“ da aber noch weit entfernt. Über viele Jahre wirkt er als „Pfarrer im besonderen Dienst“ in der von Essens vorletzter Äbtissin als Waisenhaus gegründeten Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung im Stadtteil Steele. Die Kinder, Jugendlichen und ihre Erzieher finden in ihm einen engagierten Fürsprecher und Seelsorger, ebenso die dort lebenden alten und kranken Menschen. Für sie ist er immer nur „Herr Pastor“, am liebsten dann auch „Du, Pastor“. Tatkräftig engagiert er sich viele Jahre auch als Vorsitzender des Essener „Fördervereins für Kinder in Not – Rumänienhilfe“.
Optimismus, Humor und westfälische Bodenständigkeit
Lange Jahre hält er sich vor allem mit ausgedehnten Spaziergängen und durch regelmäßiges Schwimmen im benachbarten Hauptbad neben der Alten Synagoge fit. Beides musste er kurz vor seinem 100. Geburtstag aufgeben. Das Bad ist inzwischen geschlossen und das Laufen fiel ihm zunehmend schwerer. Dennoch waren die altersbedingten Beschwernisse für ihn kein Grund zu klagen. „Warum auch?“, in seinem Alter sei das doch ganz normal, sagte er kurz vor seinem Jubiläum, das er 2018 noch mit zahlreichen Gästen – darunter dem aktuellen Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und seinem Vorgänger, dem heutigen Bischof von Münster, Felix Genn – gefeiert hat.
Seinen unbedingten Optimismus, seinen besonderen Humor und seine westfälische Bodenständigkeit hat sich Schulte Berge bis zuletzt bewahrt. Und auch die liebenswürdige Eigenschaft, sich und sein Wissen niemandem aufzudrängen. Vielleicht war sein Rat gerade deshalb stets gefragt. Auf die Frage, mit welchem Rezept man ein so hohes Alter erreichen kann, musste der 100-jährige Schulte Berge jedenfalls nicht lange überlegen. „Du darfst dich nicht ärgern“, sagte er nur. „Dann freuen sich nur die anderen.“
Autor:Heinz Kolb (SPD aus Gelsenkirchen |
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