WAR REQUIEM als Oper im MIR
Der Krieg ist tot, man trägt ihn zu Grabe und singt ihm die Totengesänge: "Requiem aeternam..." Ewig soll seine Ruhe währen, nichts ihn mehr erwecken, selbst nicht die Posaunen des Dies irae, nie soll er wieder auferstehen.
Dieser Text war im Münchener Merkur anlässlich der deutschen Erstaufführung am 6. Juni 1963 zu lesen. Aber kann man einen Krieg zu Grabe tragen? Sicherlich nicht, und man darf diesen Worten auch nicht Glauben schenken, so wie sie geschrieben stehen. Benjamin Britten war überzeugter Pazifist und hatte England mit Beginn des Krieges verlassen, um an keiner kriegerischer Handlung teilhaben zu müssen.
Sein War Requiem wurde ein Jahr zuvor in der neu erbauten Kathedrale von Coventry am 30. Mai 1962 uraufgeführt. Der Vorgängerbau wurde durch das Bombardement der deutschen Luftwaffe bei der Luftschlacht um England im zweiten Weltkrieg weitgehenst zerstört. Brittens Werk sollte aber mehr sein, als ein Mahnmal gegen Krieg und Gewalt, sondern es sollte ein Zeichen setzten der Versöhnung. Es war daher vorgesehen, dass die drei Solopartien durch Sänger und einer Sängerin aus den Ländern besetzt werden sollten, die im Krieg verfeindet waren: der englische Tenor Peter Pears und der deutsche Bariton Dietrich Fischer-Dieskau, der ebenfalls bei der deutschen Erstaufführung gesungen hatte, und die russische Sopranistin Galina Wischnewskaja, die allerdings von der russischen Regierung keine Ausreisegenehmigung bekam. Deren Part übernahm dann kurzfristig die englische Sopranistin Heather Harper.
Aber es stellt sich noch eine Frage. Kann man ein Requiem, eine Totenmesse szenisch darstellen? Elisabeth Stöppler hatte sich dieser Aufgabe gestellt und am Samstag den 28.Mai 2011 im Musiktheater im Revier bewiesen, dass es funktioniert und dann mit Bravour, wie der Beifall am Ende des Stücks bewies. Es war sicherlich kein leichtes Unterfangen, denn das Stück bietet keine Handlung. Im Vergleich zu anderen Requien, ist das War Requiem von Benjamin Britten eine Komposition, die aus Teilen des Textes zur Missa pro Defunctis, der lateinischen Liturgie, und aus Gedichten von Wilfred Owen, der diese während des ersten Weltkriegs in den Schützengräber schrieb, besteht. Elisabeth Stöppler gelang es ein Handlungsgespinst zu weben, durch dessen Fragmente sich ein roter Faden zieht, mit dem sie den gleichen Appell und Hoffnung wie Britten erreichen will. Die Handlung des Stücks, das über weite Teile, trotz großer Besetzung, ein Werk stiller Trauer ist und ein Andenken an die Millionen von Kriegstoten sein soll, findet in unserer Gegenwart statt.
Die Inszenierung beginnt damit, dass eine Familie – Vater, Mutter und zwei Kinder – vor dem Fernseher sitzt und sich eine Reportage über ein Kriegsgeschehen ansieht. Plötzlich bricht der Krieg in ihr Wohnzimmer ein, indem ein Soldat durch den Schrank ins Zimmer fällt und zusammenbricht. Reine Fiktion? Sicher nicht, wenn man bedenkt, dass Auswirkungen von Kriegen auch schon in deutsche Wohnzimmer ihren Einzug gehalten haben; wo deutsche Soldaten im Ausland ihr Leben lassen mussten. Aber das Stück macht betroffen, nimmt einem teilweise die Luft zum Atmen, wirkt emotional. Hier ist Theater – Kunst - das nicht unterhalten will. Nimmt man Owens Worte:
"My subject is War, and the pity of War, The Poetry is in the pity ...
All a poet can do today is warn."
"Mein Thema ist der Krieg und das Leid des Krieges. Die Poesie liegt im Leid ...
Alles, was ein Dichter heute tun kann, ist: warnen."
und überträgt sie auf diese Inszenierung, so kann man diese ebenfalls als Appell sehen. Die Handlung bietet keinen Platz für Gloria und Heldentum, sondern stellt jeden Protagonisten so dar, dass Jeder, Täter gleichzeitig Opfer ist und jedes Opfer zum Täter wird. Im Krieg gibt es keine Sieger sondern nur Verlierer, das verdeutlichen die Szenen. Die Leinwände auf der Bühne dienen keineswegs dazu, Bilder zu zeigen, die aus dem Fundus der Abartigkeiten der Kriegsberichterstatter stammen, sondern kommentieren in subtiler Art und Weise das Geschehen auf der Bühne und lassen durch Großaufnahmen das Publikum näher an der Handlung teilhaben. Sie wirken aber niemals aufdringlich, bedrohlich oder störend, sondern sind sublime Frequenzen; haben manchmal fast lyrischen Charakter. Im Großen und Ganzen kann man behaupten, dass hier eine Symbiose geschaffen wurde, zwischen Musik und Schauspiel. Keines wirkt störend auf das Andere. Im Gegenteil, die Aktionen auf der Bühne lassen die Musik viel intensiver ausfallen und im Gegenzug dazu verstärkt die Musik die Emotionen der Handlung.
Doch auch die Ausstattung und das Bühnenbild von Kathrin-Susann Brose integrierte sich in das Thema. Die Bühne als Kreuz gestaltet, sicherlich ein Attribut an die vielen Millionen Menschen die in den Kriegen ihr Leben lassen mussten und immer noch lassen. Lässt als Zeichen Christi Hoffnung aufkeimen. Aber auch ein Zeichen der Begegnung. Hier, im Schnittpunkt treffen sich die Liturgie Texte der missa pro Defunctis mit den Gedichten von Wilfred Owen im Dialog, begegnen sich Freund und Feind, Tod und Hoffnung.
Aber auch die Umsetzung der Partitur sicher ein Kraftakt, die zwei Orchester vorsieht. Das Symphonieorchester im Orchestergraben und ein 12-köpfiges Kammerorchester, das seinen Platz auf der Bühne gefunden hat. So galt es eine annehmbare Kommunikation zwischen den zwei Dirigenten herzustellen. Doch Rasmus Baumann, der die musikalische Leitung hat, im Orchestergraben und Clemens Jüngling auf der Bühne, bestritten ihre Aufgabe meisterhaft und bewiesen Stärke im pianissimo bis zum fortissimo.
Beifall gab es dann auch für die Solisten, Petra Schmidt, Sopran/Mutter, William Saetre, Tenor/Vater und Bjørn Waag, Bariton/Soldat, sowie für die Statistenkinder. Grandios und überwältigend jedoch die Chöre: Opern- und Extrachor des MIR, unter der Leitung von Christian Jeub und der Gelsenkirchener Kinderchor, unter der Einstudierung von Alfred Schulze-Aulenkamp.
Um es auf einen Nenner zu bringen: ein außergewöhnlich sehens- und hörenswerter Abend, der hoffentlich noch viele Zuschauer in seinen Bann bringen wird.
Autor:Uwe Müller aus Gelsenkirchen |
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