Schwere Opern-Kost
Mit Standing Ovations des begeisterten Pubklikums für Zofia Posmysz, der 93-jährigen Holocaust-Zeitzeugin und Autorin der Romanvorlage, endete die Premiere der Oper „Die Passagierin“ von Mieczyslaw Weinberg im Großen Haus des MiR.
Damit endete auch eine musikalische Geschichtsstunde, die den Besuchern die Gräuel der Geschehnisse im Vernichtungslager Auschwitz vor Augen hielt, aber auch die Verdrängungstaktik der dort Tätigen, die ja „nur ihre Pflicht erfüllten und Befehle befolgten“, wie SS-Frau und KZ-Aufseherin Lisa.
Als sich 1960 auf einem Kreuzfahrtschiff in Richtung Brasilien die Schönen und Reichen bei Tanz und Cocktails amüsieren, wird Lisa mit ihrer Vergangenheit konfrontiert und ihr Gewissen, sehr schön umgesetzt durch eine Stimme „aus dem Off“ sowie den Gesang des Opernchores vom zweiten Rang aus, regt sich. Und noch während sie sich rechtfertigt vor sich und ihrem Gatten, dem Diplomaten Walter, entwickelt die Oper eine Art Eigendynamik.
Walter ist in Sorge um seine Karriere, wenn heraus kommt, dass er mit einer ehemaligen SS-Frau liiert ist und befürchtet von Marta, der einstigen KZ-Insassin, die als Passagierin an Bord ist, bloßgestellt zu werden. Das wäre das Ende seiner Karriere.
Lisa sieht sich gezwungen, ihre Version der Geschehnisse zu erzählen und nimmt im Salon des Kreuzfahrtschiffes Platz, die Bühne daneben wandelt sich mit wenigen Handgriffen in das Lager und dort lernen die Besucher Katja, Krystina, Vlasta, Hannah, Yvette, Bronka und die verwirrte Alte, hervorragend gespielt und gesungen von Christa Platzer, kennen.
Auf diese Art wird die Erzählung Lisas direkt in Zweifel gestellt, denn hinter ihrem Wohlwollen gegenüber Marta verbirgt sich nichts anderes als eiskalte Kalkulation. Dass Marta dieses Spiel durchschaut und ihrerseits Lisa etwas vorspielt, bleibt der SS-Frau verborgen.
Die der Verzweiflung nahe Lisa, die im Glauben war, dass Marta wie so viele andere den Tod gefunden hatte, wird gespielt von Hanna Doria Sturludöttir, der man die kühle, blonde SS-Frau gut glaubt und die die innere Zerrissenheit der einstigen Lageraufseherin beeindruckend darbietet.
Marta, gesungen von Ilia Papandreou, bringt den Schmerz um das Wissen des bevorstehenden Todes und zwar nicht nur ihres eigenen, sondern auch den ihrer Mitgefangenen und ihres Verlobten Tadeusz, mit einer Intensität auf die Bühne, die sie selbst am Ende zu Tränen rührt. Eine mitreißende Darbietung.
Das gesamte Ensemble hinterließ beim Publikum das Gefühl, dass es sich mit dem realen Stoff dieser Oper identifizierte und überzeugte mit wunderbaren Stimmen in jedem einzelnen Lied sowie mit einem herzergreifenden Spiel, das durch seine Intensität die Grausamkeit der historischen Geschehnisse vor Augen führte. Beeindruckend auch die in polnischer Sprache gesungenen Partituren von Liedern aus der Heimat.
Die Bühne, im schlichten Holz-Stil der End-Fünfziger Jahre gestaltet, die Cocktail- und Abendkleider, aber auch die Uniformen der SS-Leute bis hin zum deutschen Schäferhund der Lageraufseherin, trugen ihren Teil zum Gelingen der Oper bei.
Valtteri Rauhalammi am Pult der Neuen Philharmonie inspirierte die Musiker zu einem Feuerwerk der Klänge von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt.
Ein Oper mit selten dagewesenem Tiefgang, die auch als historische Erinnerungsstunde und Gedenken ihren Auftrag erfüllt, wie der bewegende Auftritt der Autorin auf der Bühne bewies. Die Inszenierung von Gabriele Rech überzeugt auf ganzer Linie.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.