Karl-Heinz Gajewskys fünftes Lesebuch beleuchtet das Leben von Hans Dieter Baroth
"Jedes Wort ist wahr"
"Onkel Heinz zeigte mir ein Buch, das vorne auf dem Bücherregal lag. "Aber es waren schöne Zeiten" von Hans Dieter Baroth. Ich dachte an die Abermillionen Toten, an die Trümmerlandschaften und Hungerjahre. Was soll denn daran schön gewesen sein? Nein, dieses Buch würde ich niemals lesen!" So beschreibt Karl-Heinz Gajewsky seine erste "Begegnung" mit Baroth, bei einem Besuch eines Onkel Ende der 70er Jahre. Erst Jahrzehnte später, als er Baroth kennen lernt, versteht er, dass es sich bei dem Titel um das verklärende Zitat einer Kriegerwitwe handelt und blickt hinter die Kulisse des Romans.
Es war vermutlich nicht zuletzt diese Erkenntnis, die dazu führte, dass Gajewsky nun genau diesem zunächst abgelehnten Baroth sein fünftes Lesebuch in der Reihe "Nylands Kleine Westfälische Bibliothek" des Aisthesis Verlages, herausgegeben von Walter Gödden widmet.
"Ich lernte Hans Dieter Baroth Anfang 2007 kennen. Er war von meiner Idee, die Literatur aus und über das Ruhrgebiet weltweit im Internet auf meiner Literaturplattform www.reviercast.de vorzustellen, begeistert. So wurde er einer meiner ersten ideellen Freunde und Förderer", schildert der Gelsenkirchener seine erste persönliche "Begegnung" mit Hans Dieter Baroth.
Hans Dieter Baroth wurde, wie Karl-Heinz Gajewsky im Nachwort seines Lesebuches verrät, als Dieter Schmidt am 12. Februar 1937 in Oer-Erkenschwick geboren und starb am 16. Juli 2008 in Berlin. Der Sohn eines Bergmanns musste aus wirtschaftlicher Not, der Vater war im Alter von nur 42 Jahren verstorben, direkt von der Volksschule ebenfalls im Bergbau arbeiten.
Nach fünf Jahren verließ er die Zeche Ewald, jobbte und begann für Zeitungen zu schreiben. Später war er zwei Jahre lang in Baden Württemberg Landesjugendsekretär einer Gewerkschaft ehe er als Journalist in verschiedenen Positionen tätig wurde. 1964 begann er mit dem Dreh von Dokumentarfilmen, 1977 erschien sein erstes Sachbuch und 1978 seiner erster Roman "Aber es waren schöne Zeiten".
Es folgten weitere 16 Werke, darunter viele Fußballbücher. Er wurde ausgezeichnet von den Sportfilmtagen Oberhausen und der Dokumentarfilmwoche Mannheim. Unter seiner Chefredaktion erhielt die "ran"-Redaktion 1972 den Deutschen Journalistenpreis und er wurden 1992 mit dem Literaturpreis Ruhrgebiet ausgezeichnet.
Mit Hans Dieter Baroth widmet Karl-Heinz Gajewsky einem Mann ein Lesebuch, der "meine Geschichte aufgeschrieben hat. Ich wollte meinen Enkelkindern, die in London aufwachsen, in Aufzeichnungen dokumentieren, wie ich aufgewachsen bin und stellte dann fest, dass es meine Geschichte schon gibt. Denn es gibt sehr viele Parallelen zwischen Baroth und mir", erklärt der Gelsenkirchener.
"Baroth ist eine echte Ruhrgebietspflanze. Trotzdem zog es ihn aus seinem geliebten Ruhrgebiet zunächst nach Düsseldorf und später mit seiner Frau, der Historikerin Astrid Brand, nach Berlin", berichtet Gajewsky. In seinen Büchern taucht das Ruhrgebiet aber immer wieder auf, ebenso wie der Fußball und später dann die Politik, die er in Berlin hautnah erlebt.
"Wobei politisch war Baroth immer schon. So schrieb er schon früh ein Schwarzbuch über Arbeitsbedingungen und fehlende Rechte in verschiedenen Industriezweigen, "Mit Politik und Porno" über die Verquickung von Politik und Porno-Magazinen und in "Nie mehr Wattenscheid, oder: Merkel trägt kein Toupet" über die Politik in Berlin", schildert Gajewsky.
In dem Lesebuch lässt Karl-Heinz Gajewsky Baroth chronologisch zu Wort kommen. Dabei geht es ihm darum, die Neugier der Leser zu wecken für das Gesamtwerk Baroths. Gajewsky weiß: "Er war kein Literatur-Nobelpreisträger, aber er war immer wahrhaftig, einfach authentisch. Dabei kannte er kein Pardon, weder für sich selbst noch für andere und berichtet auf eine beinahe schon schonungslose Art."
Im Nachwort zu dem Lesebuch schreibt Karl-Heinz Gajewsky: "Vierzig Jahre nach dem geschilderten Verwandtenbesuch lese ich seine Romane, Erzählungen und politischen Schriften. Plötzlich sind sie wieder da, die fünfziger, sechsziger und siebziger Jahre. Ich sehe mich in kurzer Leserhose, schmecke das Graubrot mit den immer gleichen Aufstrichen, lausche den Erzählungen über den im Bergwerk verschütteten Urgroßvater, frage mich, warum Großvater neben drei kaiserlichen Vornamen einen Hitlerbart trug. Ich spüre die Ängste meines kriegsversehrten Vaters, höre meine Mutter mit dem Satz: "Karl, wir schaffen das schon." Ich bin wieder klein, drücke die Schulbank, stehe vor der Seltersbude und bin hoffnungslos in das Nachbarsmädchen verliebt. Hans Dieter Baroths Geschichten sind auch eine Erzählung über meine Jugend, meine Familie, meine Freunde und Nachbarn."
Das Lesebuch Hans Dieter Baroth
Das "Lesebuch Hans Dieter Baroth" ist in der Reihe Nylands Kleine Westfälische Bibliothek erschienen, herausgegeben im Auftrag der Nyland-Stiftung und der Literaturkommission für Westfalen.
Es kostet im Handel 8,50 Euro und hat die ISBN: 978-3-8498-1712-1.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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