Früher am alten Bahnhofsvorplatz
Zu meinem nach mehreren vergangenen Jahrzehnten unternommenden Besuch in meinem Kindheits- und Jugendstadtteil Ückendorf gehörte im Sommer 2012 auch ein Gang die Bochumer Straße entlang zum Hauptbahnhof.
Dieser Weg von Ückendorf "in die Stadt " war früher für uns obligatorisch und wurde regelmäßig unternommen, lockten doch als Ziel zunächst die Kaufhäuser (wie WOOLWORTH und WEKA) in der Bahnhofstraße, später auch noch die Kinos der Alt- und Neustadt, beginnend mit dem REGINA am Bahnhofsvorplatz und dem BALI im Hauptbahnhofsgebäude.
Um den Bahnhof herum nahm man Bus oder Straßenbahn, stieg in eine andere Linie um oder fuhr mit dem Zug, nachdem man die (heute abgerissene) gründerzeitliche Bahnhofshalle durchschritten und die Bahnsteige treppenhoch erreicht hatte.
Am Bahnhofsvorplatz hielt unter anderem auch die Straßenbahnlinie 2, die noch heute (unter einer anderen Zahl) die Stadt Bochum und den nördlichen Gelsenkirchener Stadtteil Buer verbindet. In meiner Kindheit pflegten wir aus Sparsamkeit die weite Strecke von Ückendorf bis zum Bahnhof meist zu laufen. Später brachte mich „Die 2“ nicht nur regelmäßig zur Buerer Berufsschule, sondern auch zum Vergnügen in die andere Richtung, über die Stadtgrenze hinaus. Auch die damals noch vielfach dampfenden Züge lockten, und das Taschengeld wurde oft für Fahrkarten ins nähere oder auch weitere Ruhrgebiet ausgegeben. Die Straßenbahn unten und die Züge oben verhießen Erfüllung der Neugier und des ungestillten Entdeckerdrangs.
Ich gestehe, mich im vergangenen Sommer kurz vor dem Wiederfinden der Bahnhofstraße nicht mehr ausgekannt und zunächst verlaufen zu haben, bis ich den Zugang zur Bahnhofstraße entdeckt hatte. Das seelenlose, austauschbare Betonlabyrinth des heutigen Bahnhofs könnte überall sonst stehen, es kann mit dem strengen Charme und der unverwechselbaren Fassade der früheren gründerzeitlichen Eingangshalle bei weitem nicht konkurrieren.
Bei Recherchen fand ich dann ein altes Schwarzweiß-Foto, das die damalige Örtlichkeit treffend wiedergab und mich zu einem Gemälde anregte, mit dem ich „meiner“ Linie 2 ein kleines Denk-Mal der Dankbarkeit zu errichten versucht habe. Es zeigt den Bahnhofsvorplatz, wie ich ihn aus den 50-ern und 60-ern erinnere: Dabei geht der Blick von der Treppe des Bahnhofsgebäudes (von dem man links noch eine Säule sieht) auf die Straßenbahnhaltestelle der Linie 2. Nach links geht die Bochumer Straße am Haus der Westfälischen Rundschau mit ihren zeitungsbestückt-grünschimmernden Leuchtkästen vorbei in einer dunklen Unterführung unter den Gleisen hindurch; oben sieht man die Bahnsteige im Nebelgrau, das eine große Straßenlampe nur wenig zu durchdringen vermag. Das Grau in allen Schattierungen dominiert, Menschen und Gebäude sind in Nachkriegsfarblosigkeit getaucht, Farbe und Licht sind spärlich, nur der Straßenbahnwagen der Linie 2 leuchtet auf, tröstlich und mutmachend.
„Verheißung III: Die 2“
Gemälde von Wolfgang Moritz
(70 x 50 cm, Öl auf Leinwand, 2012)
Autor:Wolfgang Moritz aus Gelsenkirchen |
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