Die Science Fiction-Autorin Dr. Alice B. Sheldon brillierte unter dem männlichen Pseudonym in der Szene - neues Buch von Hans Frey
Eine Dame namens James Tiptree Jr.
Was tut eine für ihre Zeit ungewöhnliche Frau, wenn sie ihrer Passion nachgehen möchte, die leider von Männern bestimmt wird? Ganz einfach: Sie legt sich ein Pseudonym zu, erklimmt als „Mann“ die Erfolgsleiter, bleibt im Hintergrund und gibt so reichlich Anlass zu Spekulationen über ihre (männliche) Person. Und wenn sie dann entlarvt wird, ist sie zu erfolgreich, um noch über ihr Geschlecht zu „stolpern“.
Der Gelsenkirchener Hans Frey hat sich in seinem jüngsten Buch „James Tiptree Jr. - Zwischen Entfremdung, Liebe und Tod“ mit genau dieser bemerkenswerten Dame, die sich hinter James Tiptree Jr. verbarg, beschäftigt und ihre durchaus schwierige Person beleuchtet.
„Als James Tiptree Jr. erstmals 1968 in der Science Fiction-Szene auftauchte, also seine Erzählungen abgedruckt wurden, dachte alle Welt, dass es sich um einen jungen Mann mit langen Haaren handeln müsse. Es entstanden Gerüchte, dass er undercover leben würde, um seine wahre Identität als CIA-Agent zu verheimlichen. Und es gab keinerlei Zweifel, dass James Tiptree Jr. ein lebendiger und existierender Mann ist“, schildert Hans Frey.
Als dann bekannt wurde, dass Tiptree, den Namen hatte die Autorin übrigens bei einer britischen Marmeladenmarke adaptiert, eine bereits nicht mehr ganz junge Dame ist, war die Verwunderung in der Macho-Szene der Science Fiction (SF) groß. Denn Tiptree hatte mit der kompletten amerikanischen SF-Schriftsteller-Szene einen regen Briefverkehr geführt, natürlich als Mann.
„Damals gab es in der Macho-Szene der SF kaum Frauen. Wenn Frauen auftauchten, dann in der Literatur selbst und zwar gern als blonde Dummchen, die ständig aus irgendwelchen Gefahren gerettet werden mussten“, erinnert Frey an die Zeit des Aufbruchs, in der die Rechte der Frauen gerade erst begannen auch als solche wahrgenommen und gelebt zu werden.
Doch es gab eben auch Ausnahmen von dieser Regel, eine davon war Ursula Kroeber Le Guin. Die Amerikanerin veröffentlichte 1962 ihre erste Erzählung in einem SF-Magazin und 1966 erschien ihr erster Roman. Auch sie war ein enger Brieffreund von Tiptree und nicht nur das, die für den Literatur-Nobelpreis avisierte Autorin war eine echte Vorreiterin der SF.
In der Einleitung zu seinem Buch schreibt Frey: „Als brillanter Shootingstar der SF-Literatur war mir James Tiptree Jr. selbstredend ein Begriff und ich genoss ab und an seine Geschichten, so wie sie mir in die Hände fielen.“ Dabei war er jetzt nicht wirklich ein Fan des Autors, sondern erfreute sich eher an den unkonventionellen Ideen und des eigenwilligen Stils.
„Als ich dann Ende der 1970er erfuhr, dass Tiptree in Wirklichkeit eine Frau mit Namen Alice B. Sheldon war, amüsierte mich das, weil ich die ganze Sache für einen gelungenen Werbegag hielt, der nebenbei die ausgeprägte Chauvi-Szene der SF ganz schön ins Schleudern gebracht hatte. Immerhin behielt ich seitdem James Tiptree Jr. alias Alice B. Sheldon als SF-Unikat besonders im Gedächtnis“, heißt es weiter in der Einleitung.
Erst bei der Arbeit zu seinem Buch „Philosophie und Science Fiction“ stieß Hans Frey wieder auf Tiptree als er nach einem Werk suchte, das die Ambivalenz der Aufklärung thematisierte. Er erinnerte sich an „Unser Dämon vor Ort“, eine Story, die ihn schon bei ihrem Erscheinen beeindruckt hatte, ihn nun aber regelrecht begeisterte.
„Er zu diesem Zeitpunkt dämmerte mir, dass ungleich mehr hinter dem Werk der Sheldon steckte, als ich gedacht hatte. Bisher hatte ich sie mit einer wohlwollenden, aber sträflichen Oberflächlichkeit behandelt und das wurde mir schlagartig klar“, schreibt Frey in seinem Buch.
Und so kam es, dass er sich nun der Person Alice B. Sheldon widmete, die bereits als 13-Jährige SF-Leserin und Fan war. Sie hatte verschiedene Schreibversuche gewagt, aber ohne Erfolg, bis sie mit 52 die SF für sich entdeckte und ihre Skripte an einschlägige Magazine versandte. Und siehe da: Sie wurden gedruckt und feierten sogar Erfolge.
In seinem Buch widmet er den ersten Teil dem Leben der Autorin, die als Kind begüteter Eltern in Chicago aufwuchs und von der übermächtigen Mutter mehr als nur behütet wurde. Bereits im Alter von sechs Jahren war ihr eine erste große Reise vergönnt und sie besuchte mit ihren Eltern den schwarzen Kontinent. Durch den Aufenthalt im Kongo lernte sie früh, dass es Menschen gab, die ganz anders lebten als sie es aus Amerika und hier eben Chicago gewohnt war. Eine weitere Reise führte sie nach Asien und als Teenager hatte sie bereits mehr von der Welt gesehen als manch alter Mensch.
Trotz aller Offenheit dem Neuen und Fremden gegenüber war Sheldon ein Kind ihrer Zeit und stark bestimmt von der übermächtigen Mutter, der sie nachzueifern versuchte. Genau das führte zu psychischen Problemen und depressiven Phasen bei der jungen Frau.
Sie hatte einen regen Männerverschleiß und man könnte meinen, dass sie zwischen den Welten der Geschlechter schwamm und ihre Rolle darin suchte. Der zweite Weltkrieg eröffnete ihr als Frau neue Möglichkeiten und sie wurde sogar Agentin der gerade neu gegründeten CIA. Am Ende entschied sie sich für die Wissenschaftskarriere als Psychologin, promovierte und entdeckte schließlich für sich die SF als ihre wahre Berufung.
Im zweiten Teil des Buches widmet sich Frey genau den Werken, die in ihrer kurzen, aber produktiven Zeit als Autorin unter dem Pseudonym James Tiptree Jr. entstanden.
Alles in allem schildert der Gelsenkirchener Autor eine wirklich spannende Lebensgeschichte einer ungewöhnlichen Frau und das nicht nur zu ihrer Zeit. Freunde der SF-Literatur, aber auch alle anderen interessierten Leser kommen bei der Lektüre des spannenden, wie auch lockeren Buches auf ihre Kosten und werden sich sicherlich nicht langweilen. Denn Alice B. Sheldon war wahrlich eine Frau zwischen Entfremdung, Liebe und Tod und das bis in den Tod.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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