"Wochenendrebellen" stellen ihr Buch vor: Wie findet man seinen Lieblingsfußballclub?
Die Frage aller Fragen
Wie kann man Fan eines Fußballvereins werden, wenn man gar nicht alle Vereine kennt? Diese vollkommen logische Frage stellte Jason mit sechs Jahren, seitdem bereist er die Fußballstadion der Nation und darüber hinaus, um ihn zu finden: "Seinen Verein".
Davon erzählt er, wenn er zusammen mit seinem Vater am Samstag, 17. August, 18 Uhr auf Einladung des Sozialwerks St. Georg die Kaue Schacht Bismarck, Uechtingstraße 79e, besucht. Die beiden berichten von ihrem Projekt - und lesen aus dem daraus entstandenen Buch "Die Wochenendrebellen".
Leben mit dem Asperger-Syndrom
Doch das ist nur die Hälfte der Geschichte, denn Jason hat das Asperger-Syndrom, unter dem er ausdrücklich nicht leidet. "Gäbe es ein Medikament, mit dem man das Asperger-Syndrom "heilen" könnte, müsste ich nicht lange überlegen, um zum Schluss zu kommen, es nicht zu nehmen", erklärt er in besagtem Buch. "Das liegt daran, dass das Asperger-Syndrom Behinderungen, aber auch Vorteile beinhaltet."
Das Buch, das Vater Mirco und Sohn Jason vorstellen, erzählt auch die Geschichte der Eltern eines aufgeweckten Kindes mit merkwürdigen Eigenheiten, die erfahren, dass ihr Kind Autist ist. Wie alle Eltern wollen auch Jasons das Beste für ihr Kind - und beginnen mit aller Liebe herauszufinden, was das wohl ist.
Und dann war der Sechsjährige bei einem Fußballspiel und stellte die Frage aller Fragen, die man in Gelsenkirchen mit: "Das wird man nicht, das passiert einem. Und das ist dann so ein Leben lang," beantwortet. Seitdem erkunden Vater und Sohn, Jason ist inzwischen 14 Jahre alt, die Stadien der Welt.
Der Besuch auf Schalke
Auf Schalke waren sie selbstverständlich auch: " Der Moment, als ich jedoch realisierte, was wir uns da vorgenommen hatten, welche Chancen sich daraus ergeben könnten, welchen Risiken Jason sich dadurch aber auch immer wieder aussetzt, diesen sehr klaren Moment hatte ich bei Schalke. Auf Schalke wurde ich süchtig nach dem Anblick meines faszinierten Sohnes", so beginnt die Geschichte über den Besuch der Arena, der mit dem Anblick mehr oder weniger alkoholisierter Schalke-Fans am Bahnhof in Gelsenkirchen beginnt. "Die Nordkurve war knappe 45 Minuten vor dem Spiel picke-packe-voll! Das war nicht nur bezüglich der Gesamtmenge an Zuschauern neu für uns. Keine der Heimkurven der zuvor besuchten Vereine war so früh dran, so voll, so aktiv, so stimmungsvoll. ... "Gehensema da runner zu de annere Kinners", sagte der sehr freundliche Ordner, und doch klang es durch den Dialekt ruppig. Ich war, wenn überhaupt, nur die Gesichtsausdrücke und das testosteronelle Verhalten der Securitys gewohnt, die eher auf eine martialische oder eiskalte Mimik Wert legten. Das war auf Schalke schon auffällig zuvorkommend, vielleicht aber auch unserer offensichtlichen Hilflosigkeit geschuldet. ... Jason blickte völlig gebannt und entgeistert in Sekundenabständen in unterschiedliche Richtungen. Überall passierte etwas, Gesänge, Fahnen und Gehüpfe. Zwischendurch guckte er sich fest und man sah die Faszination in seinen Augen über die Geschehnisse um ihn herum. Das war alles andere als sein bevorzugtes Umfeld. Laut, unberechenbar, eng. Er hasst solche Rahmenbedingungen. Hier stand er auf der Schalke Nord und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Der Rahmen war ihm scheißegal. Er genoss es einfach. ... Das Gegentor zum 1:1, welches ja direkt vor der Nordkurve fiel, ließ dann aber auch die letzten Dämme brechen. Vermutlich trat nun das zum Vorschein, was Schalke von anderen Vereinen wie RB Leipzig, der TSG 1899 Hoffenheim oder dem VfL Wolfsburg unterscheidet und hier so besonders anmutete. Man kann da sicherlich zehn weitere Bundesligavereine nennen, wo es ebenfalls emotional, impulsiv und enthusiastisch zugeht, aber eben doch ein anderes Maß an Intensität aufweist als auf Schalke.
Hier wird gelitten und es herrscht aufrichtige Betroffenheit. ... "Steht auf, wenn ihr Schalker seid …", hallte es ins Rund, als ich sah, dass Jason auf dem Boden saß. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, da ich dachte, er wäre eben doch überfordert ob all der Reize und ich hätte ihm die Entscheidung zu bleiben oder zu gehen nicht selbst überlassen dürfen. Ich kniete mich zu ihm runter und fragte, ob ich ihn raustragen sollte oder ich ihm irgendwie helfen konnte. Er antworte ruhig und sachlich, und sein Blick wies keinerlei Anzeichen von Angst, Unbehagen oder Panik aus, was aber auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht ungewöhnlich war. Ich beherrschte es eben einfach noch nicht, seine Mimik und seine Reaktionen zu verstehen. "Ich muss sitzen. Ich bin kein Schalker."
Steh' auf, wenn Du Schalker bist
Jason nimmt vieles wörtlich, das durfte ich schon spüren, als ich ihm sagte, ich glaubte, ich stünde im Wald, oder er mir einen Bärendienst erwiesen hatte, und da alle Schalker nun aufstehen mussten, setzte er sich eben hin. Auf den Stehplätzen der Nord. Dann fiel das 2:1 für Schalke. ... Nie zuvor erlebte ich Menschen, die den Fußball so leben, ihre Mannschaft so lieben und so mit dem Team leiden. ... Die Nordkurve imponierte ihm, und ich bin mir sicher, dass Jason sich unter klassischeren Voraussetzungen an diesem Tag entschieden hätte, Schalke-Fan zu werden."
Lesung am Samstag, 18 Uhr
Für ihr Projekt "Wochenedrebell" wurden Vater und Sohn letztes Jahr mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet, ihre Lesereise ist eine Aufklärungsreise in Sachen Autismus, aber auch eine Benefizreise, denn sie sammeln Geld für die Neven-Subotic-Stiftung, die tolle humanitäre Dinge tut, auch wenn sie einen schwarz-gelben Beigeschmack hat. Mirco und Jason von Juterczenka sammeln für einen Brunnen und sanitäre Anlagen für eine Schule in Äthiopien, rund 30.000 Euro haben sie schon zusammen.
Der Eintritt zu der Lesung am Samstag in Bismarck ist frei.
Autor:Silke Heidenblut aus Essen |
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