Der ungebetene Gutmensch
Serbische Oper Nahod Simon erlebte Welturaufführung
Das Thema wiegt schwer: doppelter Inzest. Kann eine Oper mit solchem Inhalt zu einem unvergesslichen Meisterstück werden? Sie kann! Die serbische Oper „Nahod Simon“ präsentierte sich in ihrer Welturaufführung am vergangenen Freitag als gelungene Einheit von Musik und Geschehen und als bühnentechnische Meisterleistung.
Die Oper beginnt ganz still ohne Ouvertüre: Eine junge Frau steht am Kai, wiegt ihr Kind – hin und hergerissen zwischen Trennung und Einheit. Der Nebel über dem Fluss, die beiden dicken Abflussrohre aus der Kaimauer: Schmutz wird in den Fluss geleitet und so wird letztendlich auch das Baby aus der Inzestbeziehung von Bruder und Schwester in den Fluss ausgesetzt ...
Mosesgleich ausgesetzt
Die Geschichte von Simon Findelkind ist schnell erzählt: Das Baby wird von Mönchen gefunden, von einer Amme aufgezogen, die einen eigenen Sohn hat und in ihrer Liebe zwischen beiden Kindern schwankt. So wird Simon aus dieser Gemeinschaft vertrieben, wie er auf seinem weiteren Lebensweg immer wieder vertrieben wird und in seiner Güte und Liebenswürdigkeit stets auf Hass trifft, zumindest bei den Männern.
Von Frauen wird er geliebt. Von seiner Mutter im doppelten Sinn: als Kind und später als Geliebter. Gebrochen am Leben und den Menschen zieht er sich in die Berge zurück und vegetiert als Eremit. Zum Schluss heilt er seinen unbekannten Vater, der als Reisender immer wieder in der Geschichte auftaucht, und fährt jesusgleich in den Himmel auf.
Herausforderung für Bühnentechnik
Die mythische Geschichte wurde in eine moderne Form gebracht. Da ist das Bühnenbild: sehr zurückhaltend in der Ausstattung und dennoch wegen der zahlreichen kurzen Szenenbilder eine Herausforderung an die Bühnen- und Lichttechniker, die zum Ende der Oper zu Recht mit auf der Bühne standen. So wie die Technik gefordert war, diese Bilder in hoher Geschwindigkeit aufzubauen, so war auch der Zuschauer gefordert, sie für die Geschichte zu verinnerlichen, weil sie zum Teil nur Sekunden zum Verweilen gestatteten.
Und dennoch hinterließen sie einen starken Eindruck: die Darstellung von Simons Angst, als er im Park auf einer Bank saß und sich im schwarzen Himmel hinter ihm katzenaugenähnliche riesige Augenpaare erleuchteten. Die Zuschauer schienen vor der Leinwand in einem Filmkino zu sitzen, die mit der entsprechenden Beleuchtung den Blick auf die Szene im Bühneninneren freigibt oder als graublaue Wand den Zuschauer raten lässt, wie das folgende Bild wohl aussehen wird.
Dramatisch wie grotesk
Auch wenn diese temporeiche Bildfolge fast den Atem nahm, auch weil sie einerseits intensiv dramatische und andererseits wieder grotesk ironische Situationen zeigte, präsentierte sich die Oper als eine gelungene Einheit von Musik, Bild und Text. Gesungen wurde in serbischer Sprache, die einen schönen Klang hat, andererseits aber für das Verstehen des auf philosophische Kerngedanken reduzierten Textes des Librettos über der Bühne gelesen werden musste. Bei dieser Oper ein störendes Angebot, weil damit der Blick von den kraftvollen Szenen weggelenkt wurde.
Die Musik, sehr modern und möglicherweise fremd für hiesige Ohren, erwies sich als breit gefächerte musikalische Sprache der Komponistin Isidora Zebeljan. Sie war nah am Geschehen, woran zu merken war, dass die Komponistin sehr am Erzählen der Geschichte interessiert war. Sie komponierte eine Oper, die ohne große Arien auskommt.
Grandios besetzt
Die Rolle des Simon mit Pjotr Procher, der Sensibilität und Zerbrechlichkeit genauso wie Stärke ausstrahlte, war gut besetzt. Intensive Emotionalität zeigte auch Gudrun Pelker als ältere Anna, Somons Mutter. Den Erfolg der Uraufführung kann sich jedoch das gesamte Darstellerteam auf die Fahnen schrei-ben, vom Einzeldarsteller über den Kinderchor mit seinen kräftigen Stimmen bis zu den Musikern, zu denen auch die auffällig kostümierte serbische Banda gehörte. Unter ihnen als Oboespieler Borislac Cikovacki, der das Libretto zur Oper geschrieben hat.
Nahod Simon ist eine moderne Oper, bei der man sich nach dem Schlussapplaus in einen Sessel setzen, die Augen schließen und noch einmal sämtliche Bilder und Texte Revue passieren lassen möchte. Sie lässt einen nicht sofort los und reiht sich damit zu den Aufführungen von „Charlotte Salomon“ und „Rigoletto“. Ein Werk, nach dessem Ende man das Theater nicht leichtfüßig, sondern gedankenschwer verlässt, weil es irgendwie mit einem selbst zu tun hat.
Autor:Silvia Dammer aus Hagen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.