„neunzehnvierundachtzig“ macht Big Brother zum Konzern
Beängstigende Zukunftsaussicht

Winston leidet, aber er rückt nicht von seiner Wahrheit ab, nur um konform zum Konzern zu sein. Foto: Trias Theater Ruhr
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 „Ich schreibe mein Tagebuch analog und nicht digital, weil nichts mehr privat ist... Die Überwachung ist überall, vielleicht sogar in den Gedanken...“, erklärt Winston Smith sein Vorhaben zu Beginn des Theaterstücks „neunzehnvierundachtzig“ des Trias Theaters Ruhr und wie recht er damit hat, erfährt der Zuschauer im weiteren Verlauf.

Als George Orwell 1948 seinen Roman „1984“ schrieb, lag dieses Jahr noch weit in der Zukunft, inzwischen gehört es für uns zur Vergangenheit, und die Szenarien, die Orwell vor mehr als 70 Jahren erdachte, haben uns inzwischen längst eingeholt.
Regisseur Jens Dornheim schafft mit nur drei Darstellern und einer minimalistischen Bühne ein Szenario, das dem Zuschauer regelrecht unter die Haut geht. Kaum einer im Premierepublikum hätte sich wohl träumen lassen, dass drei weiß gekleidete Schauspieler, ausgestattet von Angela Heid-Schilling, auf einer Bühne, die von Martina Flößer und Mirco Heinen einfach mit weißen Würfeln und Rechtecken bestückt ist, derart bedrohlich wirken können.
Dabei erlebt der Zuschauer eine Achterbahn der Gefühle, die von der Depression Winstons über seine Liebe zu Julia, ihre gemeinsame Begeisterung für den mutmaßlichen Widerständler O‘Brien bis hin zum Eintreten von Winstons schlimmsten Vorahnungen reicht. Dem Zuschauer bleibt dabei aber immer noch genügend Raum zum Nachdenken über die Figuren, ihre Funktionen und Aktionen.
Da gibt es die Denk-Polizei, eine Anti-Sex-Liga, Liga der Wahrheit und das Ministerium der Liebe. Winston philosophiert über Freiheit, die für ihn mit Wahrheit und Fakten einhergeht. Doch er muss sich belehren lassen, dass die einzige Wahrheit die ist, die der Konzern vorgibt, und da steht auch schon mal eine Fünf für eine Vier.
Die allseits bekannte Geschichte um „Big Brother is watching you“ wurde von Ulrich Penquitt als komprimiertes Skript verfasst und somit, wie Jens Dornheim es ausdrückt, „auf seine Essenz reduziert“. Der Regisseur ergänzte noch ein paar Stellen und fertig war die modifizierte, dem Jahr 2019 angepasste Fassung.
Da werden Politik und Konsum zum Opium fürs Volk, es gibt Schlepperbanden und Flüchtlingswelle und alles gehört zum „System, über das das himmlische Auge des Konzerns wacht“.
Das Team von bs-Films sorgte für die „Konzern-TV“-Einblendungen, die den Zuschauer über die Erfolge des Konzerns und der damit verbandelten Mitarbeiter informiert, aber auch über den Feind des Konzerns, den Ajatollah. Dadurch wird der Konzern allgegenwärtig und hält auch Einzug in die Privatsphäre seiner Mitarbeiter, was durch den „Weckruf“ an Winston verdeutlicht wird, der aufgerufen wird zu Leibesübungen, die dann auch kontrolliert werden.
Die Musik zum Stück steuerte Danny-Tristan Bombosch bei und schafft damit einen weiteren Beitrag zur ebenso surrealen wie beängstigenden Szenerie. Die Schauspieler Lesley Higl als Julia, Ulrich Penquitt als Winston und Frank Tengler als O‘Brien begeistern durch ihr Spiel. So wird Julia zur liebes- und lebenshungrigen Konzernmitarbeiterin, die sich auch vom Konzern nicht unterkriegen lässt. Winston lässt die Zuschauer teilhaben an seiner inneren Zerrissenheit zwischen Mut und Angst, aber auch seiner Kapitulation vor dem Konzern. Und dann ist da noch O‘Brien, der wahrlich diabolisch erscheint, zwischen Zuckerbrot und Peitsche lavriert und mit seiner Stimme den Willen des Konzerns in die Köpfe der Mitarbeiter pflanzt, auch gegen deren Willen.
Eine weitere Gelegenheit, "neunzehnvierundachtzig" zu sehen, gibt es am Mittwoch, 13. November, um 20 Uhr im Kulturraum "die flora", Florastraße 26. Eintrittskarten gibt es zum Preis von 14 Euro, ermäßig 12 Euro bei der Stadt- und Touristinfo im Hans-Sachs-Haus, Ebertstraße 11, Reservierungen sind möglich unter Telefon 169-9105.

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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