Der Iraker Matti Zora und der Iraner Mehdi Salimpour gehören zum Team der Laiendarsteller der „Passion 2020“
Anders und doch vertraut

Bei der Taufe Jesu durch Johannes den Täufer bildeten Matti Zora (vierter von links) und Mehdi Salimpouri (vierter von rechts) einen Teil des versammelten Volkes beim Spiel "Die Passion".  | Foto: Gerd Kaemper
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  • Bei der Taufe Jesu durch Johannes den Täufer bildeten Matti Zora (vierter von links) und Mehdi Salimpouri (vierter von rechts) einen Teil des versammelten Volkes beim Spiel "Die Passion".
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Natürlich erkennt man auf den ersten Blick, dass Matti Zora und Mehdi Salimpour nicht zur sogenannten Mehrheitsgesellschaft gehören. Und doch sind sie ein Teil von ihr, wenn man bedenkt, dass wir uns hier im christlichen Abendland befinden. Denn die beiden Geflüchteten sind Christen.

Leider gab es bisher nur die Premiere von „Die Passion“ in der evangelischen Kirche an der Steeler Straße 48 zu sehen und damit auch nur einmal den Einsatz der beiden in Gelsenkirchen lebenden Christen aus dem Iran und Irak. Und doch hinterließen sie einen großen Eindruck bei den Besuchern, allein schon durch ihr „ausländisches“ Aussehen, das bei der Lebens- und Leidensgeschichte Jesu schon ins Auge sprang.
Im Gespräch mit den beiden Herren klärt sich auch gleich ein Rätsel auf. Denn bei der Passion spricht Jesus alias Julian Wangemann, wie man in der Bibel sagen würde, „mit fremder Zunge“. Was der Laie für Hebräisch, die Sprache der Juden, halten könnte, war aber Aramäisch. Kein anderer als Matti Zora hatte Julian Wangemann die Worte „eingeflüstert“ und erzählt mit einem strahlenden Lächeln: „Das war ein ganz spontaner Einfall und Ulrich Penquitt, unser Regisseur, war sofort begeistert.“ Mindestens ebenso begeistert zeigen sich die beiden Geflüchteten von ihrem Engagement im Team der Passion.

Als Christ aus dem Irak geflohen vor dem IS

Matti Zora ist heute 59 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und seinen drei erwachsenen Kindern in Erle. Zum Gottesdienst geht er in die St. Barbara-Gemeinde und er singt im Chor der St. Ludgerus-Gemeinde. Er kannte das Ruhrgebiet aus dem Erdkundeunterricht in seiner irakischen Heimat und ahnte nicht, dass er hier einmal eine neue Heimat finden würde.
Als Christ oder besser Chaldäer, was dem katholischen Glauben entspricht, floh Matti Zora 2014 aus seiner Heimat, einem christlichen Ort in der Nähe von Mossul. Denn im Sommer 2014 wurde Mossul vom IS eingenommen und sehr viele Christen fielen der Terrorgruppe zum Opfer. Nach sehr kurzen Aufenthalten in anderen Städten kam der Iraker Ende Juli 2014 nach Gelsenkirchen und blieb.
„Die Menschen aus meinem Ort sind in den Nord-Irak, also das Kurdengebiet, und die Türkei geflüchtet, als der IS Mossul und Umgebung vom Christentum 'gereinigt' hat. Ich habe mich sehr gefreut, als meine Frau und meine Kinder ein Jahr später ebenfalls nach Gelsenkirchen kommen konnten“, erzählt der Iraker.
Bis etwa 2003 gab es nach seiner Schilderung rund eine Million Christen im Irak. Allein in Mossul gab es ein katholisches, ein orthodoxes und ein chaldäisches Bistum. Der IS stellte die Christen vor die Wahl, das Land zu verlassen oder zum Islam zu konvertieren.
Matti Zoras Leben ist geprägt von den Kriegen. Da gab es den Krieg zwischen Iran und Irak, den Kuwait-Krieg und schließlich die Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten. Als Minderheit waren die Christen immer wieder die Verlierer, egal wie die Kriege ausgingen.
Natürlich musste auch Zora in den Krieg ziehen, danach studierte er Maschinenbau und einige Semester Theologie und lehrte an einer Berufsschule. Später verdiente er als Schreiner, Buchbinder und zum Schluss als Mitarbeiter der Caritas, und zwar im Irak, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie.
„Ich habe in den 90er-Jahren bei der Caritas angefangen und dort gearbeitet, bis ich 2014 geflohen bin. Am Ende waren es 23 Jahre. Die christliche Geschichte ist eine sehr lange im Irak, auch wenn es hier nicht so bekannt ist“, schildert Matti Zora.
Der Iraker ist Mitglied der iraker und aramäischen Schriftstellerunion und war Sekretär des Chefredakteurs des Quartalsmagazins „Weinberg“. Dafür schrieb er Texte auf Arabisch und Aramäisch. In Gelsenkirchen fand er seine bisher einzige Tätigkeit als Ein-Euro-Jobber im Awo-Zentrum an der Grenzstraße.
„Ich war begeistert, als ich im Stadtspiegel gelesen habe, dass Ulrich Penquitt Darsteller für die Passion suchte. Ich habe ihn sofort angerufen und er hat sich gefreut und mich zu den Proben willkommen geheißen“, strahlt der 59-Jährige. „Das war für mich eine ganz tolle Erfahrung. Umso schlimmer war es, dass ich wegen einer Operation die Proben für einen Monat unterbrechen musste. Mir hat richtig etwas gefehlt.“
Seine bis dahin einzige Theatererfahrung hatte er in der Schule gesammelt. Aber er hatte für seine Kirche Texte über Jesus geschrieben und war mit der Passionsgeschichte bestens vertraut. Das Skript von Wolf-Rainer Borkowski zur Passion gefällt ihm sehr gut. Umso mehr hofft er, dass die Passion nicht gänzlich dem Coronavirus zum Opfer fällt.

Mitten im Iran zum Christentum gefunden

Mehdi Salimpour ist 36 Jahre alt, verheiratet und Vater einer fünfeinhalb Jahre alten Tochter. Seine Frau und Tochter leben im Iran. Der Iraner lebt seit 19 Monaten in Deutschland und seit etwa 13 Monaten in Gelsenkirchen. In Bismarck fand er eine Wohnung, in der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde eine neue religiöse Heimat.
„Ich hatte erfahren, das in der Buerschen Gemeinde ein Ehepaar aus dem Iran anzutreffen war und weil ich neu in Gelsenkirchen und der deutschen Sprache noch nicht so mächtig war wie heute, war das für mich eine gute Gelegenheit, Kontakte zu schließen“, berichtet Mehdi Salimpour.
Sein Weg zum christlichen Glauben war nicht von Geburt an vorgegeben wie bei Matti Zora. Vielmehr wuchs der Iraner in einer muslimischen Familie auf und fand erst als Erwachsener zum Christentum. Eine nicht ungefährliche Entscheidung im Iran. Denn während seine durchaus gläubige Familie beinahe ein halbes Jahr brauchte, um seine Entscheidung zu respektieren, findet sie vor den Mullahs, die das Land regieren, keine Gnade.
„Meine Frau und Tochter sind ebenfalls Christen und es tut mir im Herzen weh, dass ich sie zurücklassen musste. Aber ich bin wegen unseres Glaubens aus dem Iran geflohen. Denn seit 2008 steht im Iran auf den Übertritt vom Islam zum Christentum die Todesstrafe. Wir durften keine Kirche besuchen, stattdessen haben wir uns in kleinen Kreisen von fünf bis sieben Leuten getroffen und Gottesdienste gefeiert. Meine Taufe habe ich erst hier in Deutschland empfangen, weil das im Iran nicht möglich gewesen wäre“, erzählt der junge Mann.
Trotz seines muslimischen Elternhauses fehlte ihm der Bezug zum Islam. Er schildert, dass er regelrecht Angst vor Allah hatte, und erklärt: „Die Jahre als Christ sind die besten meines ganzen Lebens. Den Islam konnte ich nicht akzeptieren, das Christentum aber umso mehr.“ Und er zitiert im folgenden aus der Bergpredigt das Gleichnis vom Licht unter dem Scheffel.
Im Iran hat er als Elektriker gearbeitet. Seine Zeugnisse liegen hier zur Anerkennung vor und er möchte nicht die Hände in den Schoß legen, sondern lieber heute als morgen arbeiten. „Ich versuche keine Zeit zu verschwenden und versuche alles, um eine Arbeit zu finden“, sagt er. Derzeit ist sein Status noch nicht geklärt und er hofft weiterhin auf eine Duldung, wenn nicht Anerkennung seines Asylverfahrens.
Und so hat er sich auch schon als Statist in der Oper „Schwanda“ und bei „Fuga Perpetua“ am Musiktheater betätigt, allerdings scheiterte das Engagement nach einem Monat daran, dass er keine Arbeitserlaubnis hatte. Dafür hat er als Laiendarsteller bei „Alfred und Margarethe Zingler - Ein Leben im Widerstand“ und einem Theaterstück der Awo mitgewirkt.
Die Mitwirkung an „Die Passion“ war für Mehdi Salimpour einfach unglaublich: „Es ist mir eine große Freude, an der Geschichte Jesu Christi teilzuhaben. Das gefällt mir sehr.“
Und es passt zur Geschichte, denn das Jerusalem zu Zeiten Jesu war ein ähnlicher Schmelztiegel der Menschen aus aller Herren Länder wie heutzutage das Ruhrgebiet und Jesus machte keinen Unterschied zwischen Juden und anderen.

Achtung: Absage der Passion 2020!

In Absprache mit der Kirchengemeinde und Pfarrerin Kirsten Sowa hat Regisseur Ulrich Penquitt schweren Herzen die Passion für dieses Jahr abgesagt.
„Alle Beteiligten sind traurig und enttäuscht, aber Anbetracht der jetzigen Situation, ist die Verschiebung die einzige Lösung“, beklagt Penquitt, aber er sagt auch: „Wir spielen im nächsten Jahr wieder in der evangelischen Kirche an der Steeler Straße 48.“
Alle gekauften Karten sollten bitte möglichst bis zum 25. April bei den Vorverkaufsstellen zurück gegeben werden. Regieassistent und Pontius-Pilatus-Darsteller Alexander Welp erklärte zur Absage der Passion: "Die Arbeit mit der Gruppe und gerade auch diesen beiden Darstellern war so hervorragend, dass man sie nicht einfach dem Virus opfern kann. Und wenn die Passion erst im nächsten Jahr wieder gespielt werden kann, zu sehen sein wird sie auf jeden Fall!"

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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