„Anatevka“ geht ins Blut und in Herz
Andererseits - ist Anatevka, das was man einen Klassiker in der Sparte Musical nennen kann, denn es wurde 1967 uraufgeführt und allein am Broadway rund 8.000 mal gespielt. Andererseits - präsentierte das MiR hier eine Symbiose aus den bekannten und beliebten Ensemblemitgliedern des Hauses und ausgesprochenen Schauspielern aus Kino und Fernsehen. Andererseits - macht genau das den Erfolg von Anatevka am MiR aus.
Von Silke Sobotta
GE. Mit der Inszenierung von jerry Bocks und Joseph Steins Musical Anatevka bedient Regisseur Peter Hailer so ziemlich alles Wünsche, die man an an das Stück hätte stellen können. Und zwar von der Bühnengestaltung über die Rollenbesetzung bis hin zur Choreographie und Musik.
Da gab es den „Fiddler on the roof“, der sich wie ein roter Faden durch das Stück zog, den Flaschentanz, den das Ballett Schindowski erstklassig zur Klezmer-Klarinette des Gelsenkircheners Norbert Labatzki umsetzte. Den stimmgewaltigen Tevje alias Joachim Gabriel Maaß und auch verschmitzte Ideen, wie den Auftritt von Goldes Großmutter und Lazar Wolfs verstorbener Gattin, die Tevje angeblich im Traum erschienen sind, um seiner Tochter Zeitel den rechten Mann zu bescheren. Denn auch wenn Tevje, wie es die Tradition will, der Herr im Haus ist, muss er doch seiner Gattin seine einsamen Entscheidungen mitunter schmackhaft machen.
Durch Ideen wie diese erreichte Hailer immer wieder, dass das Stück nicht ins Sentimentale abglitt.
Denn in Anatevka dreht sich ja alles um Traditionen, deren Ursprung zwar niemand mehr kennt, die aber bindend sind. Jedenfalls meistens, wenn nicht gerade Tevje das „Andererseits mit dem Andererseits“ abwägt. Dann kann er auch schon mal selbst Tradition Tradition sein lassen und sich für die Liebe entscheiden.
Spitzbübisch sind auch Tevjes häufige Zwiegespräche mit Gott, der sein Pferd hat erlahmen lassen, so dass er nun den Milchkarren ziehen muss. Oder der nichts dagegen unternimmt, dass alle jüdischen Bewohner das Dorf Anatevka verlassen müssen und in alle Winde verstreut werden.
Da klingen durch die Kleidung und das Auftreten der „Russen“ im vorrevolutionären Zarenreich schon einmal Anspielungen an die deutsche Geschichte durch, die aber nur Parallelen vorführen, ohne das Stück zu sehr in die Realität zu holen.
Seine Verpflichtung von Schauspielern Lena Stolze als Golde erwies sich als ebenso glücklich wie die von Navid Akhavan als revolutionärem Studenten Perchik. Beide Schauspieler bereicherten die Inszenierung durch ihr Spiel an der Seite ihrer Sanges-Partner.
Um die drei großen Töchter, gespielt von Judith Jakob (Zeitel), Filipina Henoch (Hodel) und Dorin Rahardja (Chava), wurde Tevje sicherlich von so manchem im Publikum beneidet. Denn die drei spielten und sangen sich schnell in die Herzen des Publikums.
Der musikalische Leiter Bernhard Stengel führte die Neue Philharmonie Westfalen sicher durch die spritzige Komposition und Choreographin Kati Farkas trieb das Ballett Schindowski zu Höchstleistungen an.
Mit der Bühnengestaltung gelang Etienne Pluss mit wenigen Mitteln ein echter Hingucker.
Ein alles in allem unterhaltsamer, anregender und beeindruckender Premierenabend, an dem das MiR wieder einmal bewiesen hat, dass es zu den besten Musicalhäusern zählt.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
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